Preisverleihung ▶ Senkrechtstarter SENKRECHTSTARTERIN 2020 David gegen Goliath Katharina Jünger gründete mit 24 Jahren – direkt nach bzw. noch während der Uni – ihr eigenes Telemedizin- Unternehmen. TeleClinic ist heute Deutschlands führende Online-Arztplattform und wurde jüngst an den DocMorris-Mutterkonzern verkauft. Die Businessfrau und Mutter bleibt CEO. Dafür hat die Thieme Group sie gemeinsam mit dem Club der Gesundheitswirtschaft zur „Senkrechtstarterin 2020“ gekürt. Freitag, 11 Uhr: Das Ende einer langen Woche – für Katharina Jünger jedoch steht noch einiges auf dem Programm: zunächst Skype-Intervietermin mit der kma. Die smarte Wahl-Münchnerin sitzt in einem der wenigen abgegrenzten Büros in der Bayerischen Metropole am Computer und sagt gleich zu Beginn, dass sie um 13 Uhr schon den nächsten Termin hat. Katharina Jünger, eine Powerfrau Ende Zwanzig, die weiß, was sie will und wie sie dahin kommt. Sie ist gerade heraus – nicht nur in ihrem Lebenslauf, sondern auch bei der Beantwortung der Fragen. Aber das muss sie auch sein, wenn sie Business und Mutterdasein unter einen Hut bringen will. Ihr Vorbild hat sie dabei immer vor Augen: ihre Mutter. Abenteurerin weitab einer Praxis Apropos Mutter – diese, genauso wie ihr Vater, ihre jüngere Schwester und auch ihr jüngerer Bruder sind oder werden Ärzte. Und trotzdem – oder genau des- halb – schlägt sie diesen Weg nicht ein. „Ich wollte immer mein eigenes Ding machen. Schon in der Schule haben mich Sprachen, Politik und Wirtschaft mehr interessiert als Biologie oder Chemie“, ver- rät die gebürtige Freiburgerin mit einem Lächeln im Gesicht, das selbst über den Bildschirm absolut hinreißend und natür- lich rüberkommt. Und so zog es sie aus dem Süden Deutschlands erst einmal nach Berlin und London, wo sie Jura studierte. Nachdem sie ihr erstes Staatsexamen mit sehr gutem Ergebnis in den Händen hält, fragt sie sich, wie es nun weitergehen könnte. Eine gute Kanzlei wäre die nächst- gelegene Option gewesen, aber Jünger liebt die Herausforderung und will diesen vorhersehbaren Weg daher nicht gehen. Sie selbst beschreibt es so: „Ich mag tat- sächlich das Gefühl der Überforderung. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.“ Sie klärt das auch gleich auf, nämlich dass sie es liebt, sich ständig neuen Situationen auszusetzen und mit ihren Fähigkeiten, die sie bei sich unter anderem in der Kommunikation und im analytischen Denken sieht, Lösungen für Probleme zu finden. „Das macht mir total Spaß.“ Wenn es zu vorhersehbar werde, „bin ich schnell frustriert“, schiebt sie nach. Ihr beruflicher Weg hat sie schluss- endlich zu ihrem ersten eigenen Start-up, der Tele Clinic, geführt. In der Umgebung der Start-up-Welt stehe man jeden Tag vor neuen Herausforderungen, man werde tagtäglich mit Dingen konfrontiert, die man noch nicht gemacht hat. „Man ist ständig in der Überforderung. Das ist die Umgebung, in der ich mich extrem wohl fühle“, erklärt sie die Wahl ihres „Abenteuers“. Dass sie dies zumindest im ärztlichen Bereich sucht, ist nicht wirk- lich überrasschend. Aus einer Arztfamilie kommend weiß sie, was es heißt, wenn das Wartezimmer überfüllt ist und man ewig auf einen Facharzttermin warten muss. Und dass ein Arzt mit den richtigen Fragen – auch am Telefon – bereits viel diagnostizieren kann, hat sie quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Denn am heimischen Küchentisch hat sie mehr als einmal mitbekommen, wie Freunde am Telefon ihre Mutter um ärztlichen Rat gebeten haben. Aus dem Dornröschenschlaf geküsst Als sie TeleClinic gründete, war Jünger gerade 24 Jahre jung und die Umstände Die Customer Jour- ney beim Arzt vor Ort ist einfach sehr antiquiert. Deshalb die Idee, die Vor- züge des Internets zu nutzen, um den Zugang zu ärztli- cher Versorgung zu verbessern.“ Katharina Jünger, CEO TeleClinic in Deutschland alles andere als berau- schend, um eine App für einen digitalen Arztbesuch auf den Markt zu bringen. 2015 galt in Deutschland noch ein Fern- behandlungsverbot. Natürlich gab es in den Nachbarländern bereits Dienste wie Kry, Doctolib oder Medgate. Aber aufgrund der unter- schiedlichen Marktanforderungen sah und sieht die CEO der TeleClinic kaum Synergien mit anderen Ländern und dor- tigen Dienstleistern. Sie hat auch von den Wettbewerbern gelernt; so ist ihr Ziel, sich als Telemedizin-Unternehmen auf den deutschen Markt zu fokussieren. „Bei dem Versuch, in vielen Ländern als Anbieter aktiv zu sein, haben viele Wettbewerber bereits viel Geld verbrannt“, erklärt Jünger. Denn der Markt in Deutschland ist „brutal reguliert“. Doch genau da kommt ihr auch das Jura studium zugute, in dem sie sich stark auf europäisches Wirtschaftsrecht spezialisiert hat. Sie versteht die regula- tiven Rahmenbedinungen des deutschen 10 © 2021. Thieme. All rights reserved. kma Sonderausgabe Thieme Management Award | Januar 2021