Es muss ein seltsames Wechselbad der Gefühle sein, in das Karl Max Einhäupl, Vorstandschef der Berliner Charité, jeden Tag eintaucht. Außerhalb von Berlin habe die größte deutsche Universitätsklinik einen Heiligenschein, sagt er. Da werde sie als "Marke" wahrgenommen, gern auch mal bewundert. In der Hauptstadt aber muss Einhäupl ein dickes Fell haben. Da gilt die Charité als Sorgenfall mit Schuldenberg. Rund 20 Millionen Euro Defizit hat sie 2010 gerade wieder angehäuft. Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) zweifelte öffentlich an Einhäupls Kompetenz.
Dabei steht die Charité vor ähnlichen Problemen wie fast jede öffentlich finanzierte Klinik in Deutschland: Die Gelder für die Infrastruktur, die im dualen Krankenhaus-Finanzierungssystem von Gemeinde, Stadt oder Land kommen müssen, reichen nicht aus. Denn auch dort drücken die Schulden. In Berlin sind es inzwischen satte 62 Milliarden Euro.
Dazu kommt noch ein typisches Hauptstadtproblem: An der Charité, zusammengelegt aus den Medizinbereich der Freien Universität aus dem Westen und der Humboldt-Universität aus dem Osten, gab es lange Zeit vieles doppelt. Die Begehrlichkeiten aller Kliniken waren groß, sie waren im Westen wie im Osten subventionsverwöhnt. Bis es zum Abbau der Doppelstrukturen kam, verging Zeit. Politik wie Charité scheuten sich, ganze Standort zu schließen. So blieb es bei vier Komplexen.
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts komme die Charité aus ihrer Klemme nun kaum mehr heraus, betont Einhäupl. Denn sie darf keine Kredite am Markt aufnehmen und muss sich bei Investitionsideen immer mit mehreren Senatsverwaltungen abstimmen. "Wir sind organisiert wie das Gartenbauamt eines Berliner Bezirks", beklagt Einhäupl. So könne man einfach kein Unternehmen wie die Charité führen - mit einem Umsatz von 1,2 Milliarden Euro und gut 13.000 Mitarbeitern. "Das ist so, als ob wir mit durchtrainierten, privaten Krankenhausträgern am Start stehen und dieses Rennen mit gefesselten Händen und Füßen sowie verbundenen Augen gewinnen sollen."
Sinnbild sind die platzenden Rohre an der Charité. Sie sind zu marode, um den Heizdruck im Winter auszuhalten. Bis die Handwerker zur Stelle sind, bekämpfen Krankenschwestern die Fluten. Allein 4,5 Millionen Euro gab die Charité allein 2010 für Havarieschäden aus.
Nun hat der Senat der Charité die kommenden Jahre 330 Millionen Euro zugesagt, einen Großteil davon für die dringende Sanierung des Bettenhochhauses nahe dem Hauptbahnhof. Die Uni-Klinik gibt sich dankbar. Ein wenig Zähneknirschen ist dennoch zu spüren. Nach Einhäupls Berechnungen braucht die Charité mittlerweile jedes Jahr 100 Millionen Euro, um ihre Infrastruktur in den Griff zu bekommen. Schützenhilfe bekommt Einhäupl von Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD). "Es ist kein Geheimnis: In die Charité ist über lange Jahre hinweg zu wenig investiert worden", sagt er. Aber mehr als 330 Millionen Euro sind bei Berlin Haushaltslage eben nicht drin.
Um ein neues Defizit zu vermeiden, wird an der Charité weiter gespart. "Es geht inzwischen um Maßnahmen, die in einem Klinikum so gerade noch tolerabel sind", sagt Einhäupl. Betriebsbedingt kündigen kann die Uni-Klinik nicht. Aber aus Klinikbereichen, die keine Gewinne machen, sollen Betten abgezogen werden. Und Einhäupl hat gerade seine gesamte Führungsetage um einen Gehaltsverzicht von fünf Prozent gebeten.
Vor allem aber will er mittelfristig aus dem Korsett der Charité- Rechtsform heraus. Er will keinen Verkauf an einen privaten Träger, wie an der Uni-Klinik Marburg Gießen. Einhäupl schlägt eine Aktiengesellschaft, eine Stiftung oder eine GmbH vor. Dann könne die Klinik freier wirtschaften. Alle Vorschläge dieser Art aber sind bisher an der Landesregierung abgeprallt. Und im Herbst sind erst einmal Wahlen in Berlin.


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