
Die Mainzer Universitätsmedizin will in den kommenden Jahren die ambulante Behandlung von Patentinnen und Patienten deutlich ausbauen und hat dafür ein großangelegtes Projekt zur Ambulantisierung auf den Weg gebracht. Es gehe darum, Ressourcen effizienter zu nutzen, den Wünschen der Patientinnen und Patienten zu entsprechen und stationäre Kapazitäten für andere Aufgaben zu gewinnen, erklärte der Vorstandsvorsitzende Norbert Pfeiffer am 27. November in Mainz.
Durch den Baumasterplan, in dessen Rahmen die Universitätsmedizin bis 2038 mehr als zwei Milliarden Euro in eine neue bauliche Infrastruktur investiert.
Ambulante Klinikbereiche müssten anders konzipiert werden als die für stationäre Behandlungen. Die Wege müssten kürzer sein, der Patient laufe quasi fast bis zum OP-Tisch, es brauche Verweilräume für Angehörige, eine Rezeption sowie Spinde und Umkleiden für Patienten. All das müsse schon jetzt mitgedacht werden.
Die Ausgangssituation könnte laut Unimedizin Mainz nicht besser sein. „Durch den Baumasterplan, in dessen Rahmen die Universitätsmedizin bis 2038 mehr als zwei Milliarden Euro in eine neue bauliche Infrastruktur investiert, bekommen wir die Möglichkeit, innovative ambulante Versorgungskonzepte von Anfang an mitzudenken und in den neuen Gebäuden umzusetzen“, so Pfeiffer. Das Projekt werde für das Haus mehr verändern als einst die Einführung des DRG-Systems, also des Systems mit Fallpauschalen, sagte Pfeiffer.
1,1 Millionen ambulante Patienten im Jahr 2035
Die Zahl der ambulanten Behandlungen an der Unimedizin – darunter fallen alle in irgendeiner Form betreuten Patienten, die nicht über Nacht bleiben – ist in den vergangenen Jahren bereits deutlich gestiegen. Waren es 2018 rund 530 000, rechnet die Unimedizin im laufenden Jahr mit etwa 570 000. Wenn man von einem jährlichen Anstieg der Zahl um fünf Prozent ausgehe, müsse die Unimedizin im Jahr 2035 mit rund 1,1 Millionen ambulant zu behandelnder Menschen rechnen. Im Vergleich dazu zählt das Haus aktuell etwa 60 000 stationäre Behandlungen im Jahr. Schätzungsweise könnten 20 Prozent davon künftig ambulant erledigt werden, sagte Pfeiffer.
In Deutschland gebe es viel mehr Kliniken und Krankenhausbetten als in europäischen Nachbarländern. Es werde aber immer schwieriger, für all diese Häuser genügend Fachpersonal zu finden. In Nachbarländern werde heute schon viel mehr ambulant behandelt. Auch die medizinische Technik schaffe mittlerweile mehr Möglichkeiten für ambulante Behandlungen. Narkosemittel ließen Patienten früher wieder aufwachen, auch Operationen seien verträglicher als früher, es gebe weniger Nachblutungen, und es brauche weniger Schmerzmittel. Zudem sei der Katalog der für Kliniken abrechenbaren ambulanten Leistungen zuletzt erweitert worden und werde dies im kommenden Jahr weiter.
Ambulante Behandlungen schaffen Platz im stationären Bereich
Viel Potenzial, um bisher stationäre Behandlungen künftig ambulant vornehmen zu lassen, sieht Pfeiffer etwa in der Herzmedizin, der Gynäkologie, der Urologie oder der Orthopädie. „Mit den Erkenntnissen aus dem Ambulantisierungs-Projekt werden wir in die Lage versetzt, auf anstehende gesundheitspolitische Maßnahmen schnell und flexibel reagieren zu können.“ So würden etwa viele sehr komplexe Behandlungen in Zukunft nur noch an Universitätskliniken erbracht werden.
Durch vermehrte ambulante Behandlungen schaffe die Universitätsmedizin die dafür notwendigen Kapazitäten im stationären Bereich. Diese können dann vermehrt für sehr spezielle Eingriffe wie etwa Transplantationen oder die operative Behandlung von Speiseröhrenkrebs genutzt werden, die eine hochspezialisierte Ausstattung, wie zum Beispiel einen Operationsroboter, und spezielle Expertise benötigen.
Es wird niemand vor die Tür geschubst.
Die vom Bundesgesundheitsministerium vorgesehene Krankenhausreform sieht vor, dass Kliniken künftig in Leistungsgruppen eingeteilt werden. Diese sollen einheitliche Qualitätsvorgaben etwa bei Ausstattung, Personal und Behandlungserfahrungen absichern und so letztlich auch bestimmen, welche Häuser welche Leistungen erbringen. Abzusehen sei, dass beispielsweise komplexe Krebstherapien, fachgebietsübergreifende Behandlungen, bestimmte Herztherapien, die Behandlung von Risikopatienten oder auch Fälle, bei denen die Behandlung und Diagnostik technisch aufwendig sei, bei Häusern wie der Unimedizin Mainz blieben, sagte Pfeiffer, der auch medizinischer Vorstand ist. Trotz des Trends zum Ambulanten werde aber auch künftig für Patienten gelten: „Es wird niemand vor die Tür geschubst.“
Drei Schritte zum Erfolg
Im Zuge des angestoßenen Ambulantisierungs-Projektes plant die Universitätsmedizin Mainz (UM) die erforderlichen Maßnahmen in drei Projektphasen:
- Projektphase 1: Wie ist der Status Quo, was ist in den Fachabteilungen sofort nötig, möglich und machbar?
- Projektphase 2: Wie stellt sich die UM für einen mittelfristigen Zeitraum von drei oder vier Jahren auf? Wie können bestehende ambulante Strukturen, vor allem im Hinblick auf ambulante Operationen, optimiert werden?
- Projektphase 3: Wie sieht eine optimale ambulante Krankenversorgung an der UM in den dann fertig gestellten neuen Gebäuden ab 2030 aus und welche Weichen müssen dafür jetzt gestellt werden?
Wie die Unimedizin zur optimalen ambulanten Versorgung gelangen will
Konkret bedeute dies: Zunächst wird im Rahmen von Projektphase 1 bis Mitte 2024 festgestellt, was in den Fachabteilungen derzeit stationär und ambulant geleistet und angeboten wird und wie hier verstärkt ambulant gearbeitet werden kann. Dazu brauche es vor allem die Mitarbeit derer, die den Alltag vor Ort kennen und erleben. „Mitarbeiter*innen aus dem Ärztlichen Dienst, Funktionsdienst, Pflegedienst mit Einsatz in den Ambulanzen, aus Administration und IT wissen am besten, wo etwas verändert werden könnte“, so Norbert Pfeiffer, „also zum Beispiel wo Räume, Ausstattung und Strukturen angepasst werden könnten, wo es Potential gibt, ambulant zu behandeln oder eine Kooperation mit anderen Abteilungen und Fachrichtungen Sinn macht und Synergien schaffen würde.“
In der zweiten Projektphase gehe es darum zu prüfen, ob und wie bereits in der aktuellen baulichen Struktur OP-Kapazitäten für ambulante Eingriffe räumlich konzentriert werden können. Dies sei wichtig, da ambulante Patient*innen andere Bedürfnisse haben als stationäre: Hier gelte es kurze Wege zu realisieren und eine bestmögliche Infrastruktur, zum Beispiel Park-und Versorgungsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe anzubieten.
Die dritte Projektphase sei die größte und umfangreichste: Darin würden die existierenden Ambulanzflächen untersucht. Wie sind sie ausgelastet, sind sie überhaupt für den Ambulanzbetrieb geeignet, wo liegen Synergien? Auf Basis dieser Analyse soll ein fachabteilungsübergreifender Ambulanzbetrieb entstehen, der in einem späteren Neubau optimal realisiert werden kann.
Analysephase steht aktuell im Vordergrund
In Bezug auf Projektphase 1 gebe es mittlerweile eine Analyse hinsichtlich des Potenzials für ambulante Leistungen, die in einer ersten Gesprächsrunde mit den Einrichtungsleitungen bereits diskutiert worden sei. Im Ergebnis wurde der Umfang von neun auf elf Fachgebiete erweitert und das bestehende Portfolio an Leistungen in Gruppen eingeteilt, also etwa „Leistung muss aus medizinischen Gründen stationär erfolgen“, „Leistung wird präferenziell stationär erbracht“, „Leistung wird ambulant erbracht“. Die Konkretisierung erfolge ab Anfang 2024. „Wir stehen dabei auch im engen Austausch mit unseren Partnern“, so Norbert Pfeiffer. „Dazu gehören niedergelassene Kolleginnen und Kollegen, ambulante OP-Zentren sowie die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen.“
Im Rahmen von Projektphase 2 – also beispielsweise der organisatorischen Optimierung ambulanter OP-Kapazitäten in der bestehenden baulichen Struktur – würde die Versorgung von Notfallpatienten ebenso in den Blick genommen wie die Behandlung elektiver Patientinnen und Patienten.
„Die Ergebnisse aus Projektphase 3 schließlich – auch hier haben wir bereits erste Analysen durchgeführt – fließen unmittelbar in die Baumasterplanung der Universitätsmedizin Mainz ein und sind mit dieser eng verzahnt. Hier wird uns zusätzlich auch das gesammelte Know-how aus allen Arbeitspaketen sehr helfen“, verdeutlicht Nobert Pfeiffer. „Ganz konkret wird dies bereits im nächsten Jahr, denn wir bereiten gerade die Einholung von Gutachten zu bestimmten Teilbereichen vor, die sozusagen die Leitplanken für die architektonische Gestaltung eines künftigen Zentralgebäudes vorgeben.“ Es gehe dabei etwa um die Betriebsorganisation in einem solchen Zentralgebäude – „und da ist es von unschätzbarem Wert, wenn wir aktuelle und professionelle Analysen in Bezug auf eine moderne ambulante Versorgung von Anfang an miteinbeziehen können.“





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