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ForschungDer Wettlauf um den Corona-Impfstoff hat begonnen

Seit Anfang März ist klar: Die Corona-Pandemie ist nicht zu stoppen. Wissenschaftler auf der ganzen Welt suchen fieberhaft nach einem Impfstoff, der eine weitere und möglicherweise schlimmere Infektionswelle abschwächen könnte. Auch in Deutschland werden aussichtsreiche Impfstoffkandidaten entwickelt.

Labor
Pixabay/Michal Jarmoluk
Symbolfoto

Die Impfstoffforschung läuft auf Hochtouren. Nach Angaben des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) sind weltweit mindestens 47 Impfstoffprojekte gestartet. Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) unterstützt mehrere dieser Impfstoffprojekte finanziell, darunter  Projekte des deutschen Unternehmens Curevac, der US-Unternehmen Inovio, Moderna und Novavax sowie Projekte der australischen University of Queensland und der britischen University of Oxford. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat 145 Millionen Euro zusätzlich für die Forschung zum Coronavirus bereitgestellt. Dieses Geld soll nach Bekunden von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek größtenteils an die internationale Impfstoff-Initiative CEPI fließen.

In Deutschland liefern sich die beiden Pharmaunternehmen Biontech und Curevac ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Entwicklung von Impfstoffen auf der Basis von mRNA. mRNA steht für Boten-Ribonukleinsäure (englisch: Messenger-RNA), die als Biomolekül in der Zelle die Aufgabe hat, genetische Informationen in Proteine umzuwandeln. Die Impfstoffe sollen Körperzellen dazu anregen, Wirkstoffe zur Abwehr des Virus zu erzeugen. 

Ganz vorn mit dabei sind auch die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Bei der Suche nach einem Vakzin setzen sie auf Vektoren-Impfstoffe. Vektoren sind abgeschwächte Viren, die einen anderen Impfstoff ins Innere von Körperzellen transportieren. Die DZIF-Forscher greifen dabei auf Erfahrungen zurück, die sie bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Ebola und das Mers-Coronavirus, das mit dem jetzt auftretenden Sars-Cov-2 verwandt ist, gesammelt haben. Das Team um den Virologen Professor Gerd Sutter arbeitet mit dem „Modifizierten Vacciniavirus Ankara“ (MVA), einem Impfvirus, das vor mehr als 30 Jahren an der LMU als Impfstoff gegen Pocken entwickelt wurde. Die MVA-Viren haben sich bereits bei einem Impfstoff gegen das Mers-Coronavirus bewährt, der sich zurzeit in der klinischen Prüfung befindet. 

Bewährte Vektoren mit neuen Bauteilen ausstatten

Anstatt mit einem Mers-Coronavirus-Bauteil wollen die Forscher den MVA-Vektor dieses Mal mit einem Sars-Cov-2-Bauteil kombinieren. Ihre Wahl ist auf das Spike-Protein gefallen, das an der Oberfläche des gefürchteten Virus sitzt. Spike ist so etwas wie ein Schlüssel, mit dessen Hilfe das Virus die menschlichen Zellen aufschließen kann. Dringt der Spike-MVA-Impfvirus in die Zellen ein, wird es vom Immunsystem als „fremd“ erkannt. Die körpereigene Abwehr formiert sich und bildet Antikörper und T-Zellen gegen das Spike-Protein. Sie verhindern eine Infektion, wenn zu einem späteren Zeitpunkt Coronaviren in den Körper eindringen.

In einem weiteren Impfstoff-Forschungsprojekt des DZIF will PD Dr. Michael Mühlebach den Masernimpfstoff als Vektor einsetzen. „Wenn wir die Eignung eines auf dem Masernimpfvirus basierenden Impfstoff-Kandidaten in einem halben Jahr erforscht haben, kann danach die Entwicklung eines entsprechenden Sars-Cov-2-Impfstoffs von anderen Forschergruppen vorangetrieben werden“, wagt Mühlebach eine erste Prognose. 

Gute Erfolgsaussichten für deutsche Impfstoffprojekte

Professor Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, spricht im Podcast „ÄrzteTag“ der Ärzte Zeitung den deutschen Projekten große Chancen zu.  Ein Impfstoff auf Basis von Vektoren oder Botenmolekülen könne schneller entwickelt und hergestellt werden als ein herkömmlicher Impfstoff. „Konventionelle Konzepte machen keinen Sinn“, sagte Cichutek, „es dauert zu lange, Lebendimpfstoffe zu entwickeln.“ In der Tat legen die Unternehmen eine große Eile an den Tag. Biontech hat angekündigt, im April mit der klinischen Prüfung zu beginnen. Auch der amtierende Curevac-Chef Franz Werner Haas stellte in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ in Aussicht, dass bereits ab Herbst im Rahmen einer Studie zehntausende Menschen gegen das Coronavirus geimpft werden könnten. Die entsprechenden Daten dafür würden spätestens Ende September vorliegen. „Wenn die Daten gut sind und die Behörden ihr Okay geben, können wir noch dieses Jahr eine größere Studie starten.“ Ob der Impfstoff für die breite Masse dann noch in diesem Jahr oder ab 2021 verfügbar sei, hänge vom Ausgang der klinischen Studie und der Entscheidung der Zulassungsbehörden ab. Pro Jahr könnten „zwischen 200 und 400 Millionen Impfdosen“ hergestellt werden, der erste Produktionsgang laufe bereits.

Eile mit Weile

Der Charité-Virologe Christian Drosten, der zu einer der prägendsten Stimmen in der Corona-Krise geworden ist, plädierte in seinem täglichen „Coronavirus-Update“ des NDR dafür, regulative Vorgaben außer Kraft zu setzen: „Wir müssen schauen, wo wir einen Impfstoff herbeizaubern, der schon relativ weit entwickelt ist.“  Andere Wissenschaftler warnen jedoch davor, die Einführung eines Impfstoffes zu überstürzen. „Die Entwicklung eines Impfstoffs ist ein langwieriger, mühsamer Prozess, vor allem die klinische Prüfung für die Zulassung eines Kandidaten. Das geht nicht in ein paar Wochen“, betont Professor Stephan Becker von der Universität Marburg; er koordiniert die Forschungen am DZIF. Um die Genehmigung für eine klinische Studie zu beschleunigen, bietet das Paul-Ehrlich-Institut immerhin die Möglichkeit eines „Rolling Review“, erläutert Cichuteck im „ÄrzteTag“-Podcast. Das heißt, Unternehmen können die Unterlagen, die sie für die Genehmigung einer Studie beim PEI einreichen müssen, in mehreren kleineren Portionen vorlegen und nicht wie sonst erforderlich an einem Stück. Das PEI erwäge außerdem eine Vorprüfung der Unterlagen, damit der Antragsteller gegebenenfalls seinen Antrag frühzeitig nachbessern kann. „Wir müssen sicherstellen, dass die Probanden nicht unnötigen Risiken ausgesetzt werden“, unterstreicht Cichutek. 

Die Macht des Zufalls

Ins Zentrum der wirtschafts- und gesundheitspolitischen Aufmerksamkeit war Curevac schon vor dem „Wirtschaftswoche“-Interview gerückt. Mitte März häuften sich die Medienberichte, US-Präsident Donald Trump habe dem schwäbischen Start-up ein milliardenschweres Angebot gemacht, um die Rechte an dem Curevac-Impfstoff exklusiv für den amerikanischen Markt zu sichern. Curevac weist das von sich. Es habe kein Kaufangebot gegeben, twitterte das Unternehmen entschieden. Unbestritten ist jedoch, dass Gespräche stattgefunden haben. Am 3. März hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Daniel Menichella mit Trumps Coronavirus-Task-Force und anderen Pharma- und Biotechmanagern Strategien und Möglichkeiten zur schnellen Entwicklung und Produktion eines Impfstoffes diskutiert habe. Neun Tage später teilte Curevac mit,  Menichella sei von Unternehmensgründer und Aufsichtsratsvorsitzendem Ingmar Hoerr abgelöst worden. Hoerr wird mittlerweile vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Franz-Werner Haas vertreten, weil er aus gesundheitlichen Gründen längere Zeit ausfalle. Das alles habe nichts mit den Gerüchten rund um das Kaufangebot zu tun, beteuerte Haas bei einer telefonischen Pressekonferenz am 16. März, sondern sei lediglich eine Aufeinanderfolge von Zufällen. 

Wie es der Zufall will, hat die Europäische Kommission nach Menichellas Weggang Curevac 80 Millionen Euro für die weitere Forschung am Impfstoff angeboten. „Die EU hat deren Forschung früh unterstützt und wird nun wieder finanziell helfen“, twitterte Ursula von der Leyen. „Wir müssen so schnell wie möglich einen Impfstoff finden, der der ganzen Welt hilft.“

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