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SpitzenpflegeDer steinige Weg zum Magnet-Krankenhaus und wie er gelingen kann

Seit vielen Jahren wird hierzulande darüber diskutiert, ob das amerikanische Magnet®-Konzept auch ins deutsche Gesundheitswesen übertragen werden kann. Die Autoren sind sich dessen sicher und auf einem guten Weg Richtung Zertifizierung.

Magnetsiegel RKU
RKU
Abb. 1: Phasen und Prozesse auf dem Weg zum Magnetsiegel.

Wie kam es überhaupt dazu, an den RKU – Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm gGmbH über Magnet® nachzudenken? Auslöser war die Teilnahme am Hospitationsprogramm Pflege der Robert-Bosch-Stiftung vor einigen Jahren an der UF Health Jacksonville in Florida, USA. Durch die Erfahrungen aus diesem Magnetkrankenhaus und der entstandenen Partnerschaft mit den Kollegen aus den USA erwuchs der Wunsch, das Konzept in Ulm umzusetzen. Parallel herrschte Pflegepersonalmangel in deutschen Kliniken, gepaart mit einer hohen Unzufriedenheit der Berufsgruppe und gleichzeitiger Unzufriedenheit der Ärzte mit der Pflege. Die Suche nach einer Möglichkeit, „das Schiff zu drehen und auf neuen Kurs zu bringen“, mündete schließlich in der Erkenntnis: Spitzenmedizin braucht Spitzenpflege.

Spitzenmedizin braucht Spitzenpflege

Die Hospitation der Pflegedirektorin in einem Magnetkrankenhaus trug im Folgejahr erste Früchte: Beim 1. Ulmer Pflegemanagementkongress 2015 kamen über 200 Pflegeexperten ins RKU, um sich gemeinsam mit amerikanischen Kollegen zum Thema Magnetkrankenhaus auszutauschen. Hierbei entwickelte sich ein besonderer Spirit, der letztendlich Ansporn dafür war, im Austausch zu bleiben. 2016 entschieden sich am RKU die Geschäftsführung, Pflegedirektion und der Ärztliche Direktor im Einvernehmen mit den Stationsleitungen, die Reise zum Magnetkrankenhaus zu beginnen. Stationsleitungen und Mitarbeiter wurden in Workshops zum Thema transformationales Leadership eingebunden, und die Vision Magnetkrankenhaus wurde publik gemacht.

Rückblickend war es die richtige Entscheidung, mit der disziplinären Entwicklung der Pflege zu beginnen.

Besonders förderlich war, dass ein Projektantrag durch den Vorstand der Sana Kliniken AG im Juli 2016 befürwortet wurde und das Konzept in der Entwicklungsarbeit durch den zentralen Bereich Unternehmensstrategie Pflege mit einer pflegewissenschaftlichen Stelle unterstützt wurde. Weiterer positiver Faktor: Beim Qualitätsmanagement gab es in vielen Punkten Übereinstimmungen mit den Schlüsselkomponenten von Magnet®. Rückblickend war es die richtige Entscheidung, mit der disziplinären Entwicklung der Pflege zu beginnen. Dabei war es selbstverständlich, interdisziplinäre Projekte mit allen am Behandlungsprozess Beteiligten zu bearbeiten: die Magnet-Vision „Pflege auf Augenhöhe“ wurde im Laufe der Zeit zur Selbstverständlichkeit.

Magnet4Europe-Studie

Im Rahmen der Magnet4Europe-Studie wurde 2019 mit der Billings Clinic in Montana, USA, eine Twinning-Partnerschaft geschlossen, die einen regelmäßigen Austausch in verschiedenen Ebenen (disziplinär Pflege, Pflegeexperten, Ärzte) in der Klinik über Themen zu Magnet® und Exzellenzentwicklung in der Patientenversorgung ermöglicht und so eine stetig lernende Organisation darstellt, die die Qualität der Patientenversorgung sowie die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter im Fokus hat.

Erfahrungen zu Leadership und transformationaler Führung konnten 13 Kolleginnen und Kollegen vom RKU 2022 bei einem Besuch an der Billings Clinic machen. Einige Ideen konnten bereits am RKU etabliert werden: etwa „Low-Hanging-Fruits“, in dem Fall das Anbringen von Sturz-Symbolen an den Zimmern oder transparente Qualitätsdaten auf den Stationen über Monitore, die anspornen, sich ständig zu verbessern. Zu den sogenannten „High-Hanging-Fruits“, den schwer erreichbaren Früchten zählen die Etablierung von Shared Governance, und die Etablierung von Councils. Dabei geht es um einen Wandel in der Unternehmenskultur zu einem agilen, dynamischen und selbstbestimmten Unternehmen, in dem die Mitarbeiter stolz sind, was sie und das Unternehmen leisten. Besonders einprägsam während der Hospitation waren die vielen Visualisierungshilfen, die im amerikanischen Klinikalltag mit wenig Aufwand einen hohen Benefit schaffen.

Umsetzung von Shared Governance

Darüber hinaus ging es bei der Umsetzung des Strategieplans nach der GAP-Analyse (Schwachstellenanalyse) darum, eine Shared- Governance-Struktur zu etablieren bzw. zu erweitern. „Shared Governance“ heißt so viel wie „geteilte Verantwortung“. Das Konzept gibt der Pflege mehr Autonomie und Pflegenden die Möglichkeit, Probleme selbst zu lösen. Hier ging es am RKU darum, an den bereits etablierten Strukturen wie Multiplikatoren- Systeme anzuknüpfen und eine Struktur mit Councils aufzubauen. Diese Gremien oder Räte orientieren sich am Bedarf der Praxis. Pflegekräfte sind hier gefordert, Entscheidungen selbst zu treffen und Lösungen zu finden, wodurch sie mehr Autonomie und Selbstwirksamkeit im Alltag erleben.

Am RKU etablierten wir das Executive Council (Bereichsleitungen), das Leadership Council (Stationsleitungen) und das Quality Council (Qualitätsräte). Ein Retention- und Akquise-Council ist derzeit in Entwicklung (Council für Ideen, um Mitarbeiter zu binden und zu akquirieren). Für das Qualitätscouncil wurden Mitarbeiter aus den Teams gewählt. Es gibt einen Koordinator, der die Agenda schreibt, sowie einen Protokollanten. Um den Informationsfluss zu halten, nimmt jeweils eine Bereichsleitung am Council teil. Hier ein Beispiel.

Autonomie am Beispiel Sturz

Das Problem häufiger Stürze in der neurologischen Abteilung wurde im Council durch eine Mitarbeiterin eingebracht. Das Council eruierte anschließend die Zahlen und stellte sie im Plenum vor. Hier wurden verschiedene Optionen für Interventionen (Sturzmatte, Kontinenztraining, Türschild-Sturzprävention etc.) durchgesprochen und dann in Abstimmung umgesetzt. Dabei wurde diskutiert, ob das Thema Sturz nur für den Bereich oder die ganze Einrichtung relevant ist. Die Intervention wurde umgesetzt, und die Sturzraten haben sich seither nachweislich reduziert.

Rückblickend war die disziplinäre Entwicklung der Pflege der erste Schritt in der Organisationsentwicklung. Durch die dynamische Entwicklung der Pflege (Phasen und Prozesse auf dem Weg zu Magnet® siehe Abbildung 1) können nicht nur die Pflegenden, sondern auch die Ärzte besser arbeiten, und jeder kann sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren. Nicht zuletzt haben viele weitere Berufsgruppen von der Vorreiterrolle der Pflege profitiert, so dass auch in anderen Berufen Karrierewege unterstützt wurden und wir im RKU uns zunehmend als lernende Organisation verstehen und entsprechend handeln.

Journey to Magnet® @DHZB

2019 startete das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) seine Entwicklung zum Magnetkrankenhaus – zeitgleich mit dem Start des neuen Pflegedirektors Sebastian Dienst, der die Idee, das DHZB zu einem Magnetkrankenhaus zu entwickeln, als persönliche Vision mit in seine neue Position gebracht hatte. Klar war: Diese Vision benötigte eine ehrliche Analyse, Support aus dem Vorstand, Veränderungsbereitschaft und ein starkes Team. 2020 beschloss das Team der Pflegedirektion einen klaren Fahrplan in Richtung Magnet®: Seither wird jedes Projekt, jeder Schritt und jede Handlung mit dieser Zielsetzung gelenkt.

Bei unserer ersten Analyse kristallisierte sich heraus, dass das DHZB historisch bedingt ein starkes Fundament besitzt und bereits in der Vergangenheit in vielen Aspekten „ magnetisch“ gewesen war. Was sind dabei aber die modernen Anforderungen? Fakt ist: Die Generationen Y und Z stellen unsere bisher bestehenden Arbeitssysteme in Frage. Starre Systeme, steile Hierarchien oder kaum Zeit für Familie und Freizeit sind nicht mehr akzeptabel. Aber genau das zeichnete deutsche Kliniken oft aus. Wir mussten also zunächst bei uns selbst beginnen und Führung in der Pflege komplett neu denken, und zwar transformational. Dies gelang uns zum einen durch ein extern gestütztes Kommunikationstraining für alle Leitungen sowie dank der gemeinsamen Werteentwicklung der Führungskultur.

Dabei spielte die Entwicklung des Führungskompasses eine zentrale Rolle: Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern der Pflegedirektion und Stationsleitungen, entwickelte diesen Wertekompass, nach dem sich jede Führungskraft ausrichtet. Dabei werden Fragen gestellt, die der Selbsteinschätzung des eigenen Führungsstils dienen und helfen, sich in transformationalem Leadership zu entwickeln. Zusätzlich werden festgesetzte KPIs geprüft, die der eigenen Bewertung als neutrale Faktoren unterstützend zur Seite stehen. Diese Einschätzungen lassen sich ebenso als Feedbackgrundlage nutzen: Auch der Pflegedirektor des DHZB lässt sich im Rahmen der jährlichen Klausurtagungen von seinem Pflegedirektions- und Leitungsteam einschätzen und Feedback geben.

Multiprofessionelles Team

Die von Magnet4Europe bereitgestellten Analysetools ergaben, dass wir uns nicht nur im Führungsbereich weiterentwickeln konnten: Um die Vision Magnetklinik leben zu können, mussten wir multiprofessionell denken und die gesamte Klinik in die Entwicklungen einbeziehen. Wir gründeten ein interdisziplinäres Projektteam: das Q2M Team – Qualitätsmanagement, Magnet und Merger. Hier wird jede Station, jeder Funktionsbereich und jede Fachrichtung von einer Person vertreten, die täglich in die reguläre Patientenversorgung eingebunden ist. Die Teammitglieder treffen sich wöchentlich für mehrere Stunden und arbeiten intensiv an verschiedensten Projekten.

Eine der Herausforderungen stellte der Zeitplan dar. Der Weg zur Magnetklinik ist kein Jahresprojekt, sondern zieht sich über mehrere Jahre. Im Jahr 2023 steht für das DHZB allerdings die Fusion mit der Charité an und somit die Transformation ins DHZC (Deutsches Herzzentrum der Charité). Die Kolleginnen und Kollegen der Charite wurden folglich ins Projekt integriert – und Strukturen von Grund auf– immer unter Magnetaspekten neu gedacht.

Die zweite Herausforderung bestand im Qualitätsmanagement: Wir konnten in unserer Analyse feststellen, dass viele Magnetkomponenten im Qualitätsmanagement verankert sind. Wir arbeiteten also Synergien heraus und verankerten diese in unseren Maßnahmenplan. Dies gelang durch unsere Q2M-Teams, die im Sinne von Magnet® gemeinsame Entscheidungen finden und immer die Kollegen von der Basis einbeziehen.

Projekte des Q2M-Teams

Eines der ersten großen Projekte der Q2M Anfang 2022 war das Thema Delirmanagement. Denn: Wir haben gute SOPs (Standard Operating Procedure) rund um das Thema Delir, gleichzeitig hatten wir jedoch steigende Delirfälle. Nach einer umfangreichen Analyse entstanden erste Maßnahmen zu einer verbesserten Durchdringung des Themas. Im Einzelnen:  

  • ein Leitfaden für Patient*innen und Angehörige mit allen wichtigen Informationen zum Delirmanagement am DHZB,
  • kompakte Informationen zum Umgang mit Delir für Mitarbeiter*innen auf den Stationen im Pocket-Format für die Kitteltasche,
  • Online-Schulungen für Mitarbeitende zu Behandlungsstandards und zur Früherkennung eines Delirs.

In einigen Monaten werden unsere Q2MTeams die Ergebnisse auswerten und evaluieren, ob die Ziele erreicht werden konnten. Viele weitere Themen sind für dieses Jahr geplant, die sich aus einer ausführlichen GAP-Analyse im Rahmen des Magnetprojekts ergeben haben und die dem weiteren Prozess der Fusion sowie der Entwicklung der qualitativen Versorgung dienen sollen. Wichtig in jedem einzelnen Projekt: das multiprofessionelle Bearbeiten der Themen und das Miteinander. Wir pflegen in den Projekttreffen eine sehr offene, direkte und wertschätzende Kommunikation – das sind bedeutende Schritte in unsere neue Kultur.

Ein Weg, der manchmal steinig ist und Ausdauer braucht.

Resümée der Kliniken

Wir am RKU und DHZB sind davon überzeugt, dass die Magnetmechanismen funktionieren. Es ist kein einfacher Weg, aber ein erfolgversprechender, denn bereits jetzt beginnen die ersten Mechanismen auf der Reise zum Magnetkrankenhaus zu wirken. Um diese Journey zu bestreiten, braucht es eine Vielzahl positiver Faktoren und Durchhaltevermögen. Nicht umsonst beschreiben ihn die amerikanischen Kollegen als Marathon: ein Weg, der manchmal steinig ist und Ausdauer braucht. Dabei müssen Wegbegleiter und Kollegen eine Vision teilen und zu einer Teamkultur beitragen, die stolz macht sowie anspornt, mit zu einer patienten- und angehörigen zentrierten Versorgung beizutragen, die einen Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Magnet® ist vielseitig, herausfordernd und nur im Team machbar. Daraus resultiert ein weiterer toller Effekt – das Netzwerk, das im Rahmen der Magnet4Europe-Studie international wie national wächst. Aus kleinen Netzwerken entstehen ein lebhafter Austausch, Offenheit, Transparenz und das Lernen voneinander.

So sind zum Beispiel aus einer Arbeitsgruppe verschiedenster Kliniken (RKU, DHZB, BG Klinik Bergmannstrost, die Kliniken Reutlingen GmBH und das Klinikum Bremerhaven) ein steter Austausch und ein enges Netzwerk entstanden, aus dem letztlich sogar die „Initiative zur Entwicklung eines nationalen Pflegequalitätsbenchmarks“ gewachsen ist. Diese Initiative verzeichnet heute über zwanzig aktive Kliniken, die sich gemeinsam auf den Weg machen, den Einfluss der Pflege am Outcome des Patienten messbar zu machen – und gleichzeitig wichtige geforderte Magnetvorgaben gemeinsam mit dem Institut für Qualität und Patientensicherheit GmbH (BQS) umzusetzen. Ohne Magnet® wäre diese Initiative nicht entstanden – ein tolles Ergebnis, das uns sehr begeistert.

Erstmalig erschienen in einer Sonderausgabe der Zeitschrift CNE Pflegemanagement im Oktober 2022.

 

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