
In vielen Klinikadministrationen endet eine aufregende Woche: AOK, Barmer, DAK & Co fordern seit Tagen Unterlagen an, reichen Klage ein oder kündigen Kliniken drastische Abschläge bei der nächsten Zahlung an. Die Krankenhäuser kämpfen derzeit mit massiven Rückforderungen der Kassen, die sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) berufen, in dem der definierte Zeitraum für einen eventuell notwendigen Transport in der Schlaganfallversorgung neu definiert wurde.
So hat die AOK Hessen offenbar mehreren Klinikgeschäftsführern angekündigt, von ihrer nächsten Zahlung die Vergütung von Komplexpauschalen aus den Jahren 2014 bis 2016 abziehen zu wollen, wie Reinhard Schaffert, Geschäftsführer des Klinikverbunds Hessen, erklärt. Mehrere der in diesem Verbund organisierten kommunalen Krankenhäuser sind betroffen.
Das „Handelsblatt“ berichtet zudem, dass Kassen massenhaft gegen Krankenhäuser prozessieren – teilweise sei das Klageaufkommen der Kassen bei den Sozialgerichten in diesen Tagen um das Zwanzigfache gestiegen, so das Blatt. Grund für diesen Aktionismus ist das Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz (PpSG), das der Bundestag am Freitag (9.11.2018) verabschieden wird. Darin wird unter anderem festgelegt, dass alle Forderungen gegen Krankenhäuser nach zwei Jahren verjährt sind – bisher waren es vier. Insgesamt geht es in dem Streit laut Handelsblatt um rund 300 Millionen Euro für die Jahr 2014 bis 2016. Reinhard Schaffert spricht von 600 000 bis 900 000 Euro pro Klinik.
Kassen spielen Judikative gegen Legislative aus
Die Kassen berufen sich auf das BSG-Urteil vom Juni 2018, obwohl das für den OPS-Katalog zuständige Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Oktober eine andere Interpretation nachgelegt hatte: nämlich, dass sich die Transportzeit allein auf die Zeit bezieht, die der Patient im Rettungswagen verbringt. Auch hier schafft der Gesetzgeber nun Klarheit: Wenn das DIMDI Formulierungen des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) klarstellt, soll dies künftig (laut PpSG-Empfehlung des Gesundheitsausschusses, s.u.) auch für die Vergangenheit wirksam sein.
Kniffliger Job für die Rechtsabteilungen
Die zwei Gesetzesregelungen sind als direkte Antwort auf das BSG-Urteil zur Schlaganfallversorgung und das Vorgehen der Kassen in den zurückliegenden Monaten zu verstehen. Dennoch wollen die Kassen nun offenbar vor dem Beschlussdatum im Bundestag (9.11.2018) Fakten schaffen, um die Rückforderungen für 2014 bis 2016 so juristisch einzutüten – gegen den Willen des Gesetzgebers.
Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), verurteilt das Vorgehen dementsprechend scharf: „Die Krankenkassen offenbaren mit diesen Aktionen ein nicht akzeptables Verständnis für die Wahrnehmung ihres sozialen Auftrages. Es ist ein jämmerliches Schauspiel. Wenn dies die Patienten wüssten, müssten sie sich tausendfach von ihren Kassen abwenden.“ Wie die Rechtslage in Bezug auf die jetzt eingegangenen Kassenforderungen nach Beschluss des Gesetzes sein wird, ist unklar. Die Rechtsabteilung der DKG arbeitet fieberhaft. Eine Anfrage der kma dazu blieb bis dato unbeantwortet.
Im Folgenden die zwei angesprochenen Passagen aus der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses für das PpSG:
„Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information erhält die gesetzliche Grundlage für Klarstellungen und Änderungen zu den medizinischen Klassifikationen (OPS und ICD). Damit wird vermieden, dass aufgrund von Auslegungsunsicherheiten, die z. B. durch BSG-Urteile entstehen (zur Schlaganfallversorgung), eine Vielzahl von zurückliegenden Abrechnungsverfahren erneut aufgegriffen wird.
Die vierjährige Verjährungsfrist für Vergütungsansprüche der Krankenhäuser und Rückforderungsansprüche der Krankenkassen wegen überzahlter Vergütungen wird auf zwei Jahre verkürzt, um die durch Rückforderungsbegehren der Krankenkassen hervorgerufene Rechtsunsicherheit abzumildern. Für die Ansprüche der Krankenkassen auf Rückforderung von gezahlten Vergütungen gilt dies rückwirkend.“


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