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DiagnosekodierungDas Kind nicht mit dem Bade ausschütten

Seit im Jahr 2016 das Thema „Verhinderung von Kodieranreizen in Kassenvereinbarungen über Diagnose-vergütungen“ bekannt gemacht wurde, wird versucht, das System der Verteilung von RSA-Mitteln manipulationsresistenter zu machen. Aber auch der TSVG-Änderungsantrag 6 der Regierungsfraktionen führt nicht zur richtigen Lösung.

TSVG
kma Montage
Symbolfoto

Zur zweiten Anhörung des Terminservice- und Strukturgesetzes (TSVG) am 13.2.2019 wies die DGIV in einer Stellungnahme darauf hin, dass sich aus dem Änderungsantrag 6 der Koalitionsfraktionen eine weitere Verschlechterung der indikationsbezogenen sektorenübergreifenden Versorgung ergeben würde. Mit dem Verbot von „Vereinbarungen, die bestimmte Diagnosen als Voraussetzung für Vergütungen vorsehen“, wie es im Änderungsantrag 6 niedergelegt ist, werden die Möglichkeiten für sektorenübergreifende Selektivverträge, die sich definierten und explizit im Vertrag benannten Indikationen zuwenden, deutlich beschränkt.

Für die DGIV ist es selbstverständlich, dass hier Regelungslücken beseitigt werden müssen, die zum Schaffen von Fehlanreizen ausgenutzt werden könnten. Für alle Leistungen der GKV gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Das muss gerade auch dort konsequent gewährleistet werden, wo den Vertragspartnern ein größerer Vereinbarungsspielraum eingeräumt wird als in der Regelversorgung.

Gewählte Formulierungen nicht gelungen

Die im April 2017 mit dem HHVG in das SGB V eingebrachten Formulierungen und der Wortlaut des Änderungsantrages 6 sowie seine Begründung vermögen dennoch nicht zu überzeugen. Die DGIV kann zwar nachvollziehen, was mit den Gesetzes änderungen bezweckt werden soll, hält aber die gewählten Formulierungen – auch des neuen Änderungsantrages – immer noch nicht für gelungen, da damit auch Vergütungsvereinbarungen ohne jeden manipulativen Hintergrund im Rahmen von rechtmäßigen innovativen Versorgungslösungen, wie sie zum Teil schon über Jahre hinweg in der Selektivversorgung mit Versorgungsleben ausgefüllt werden, mit in Abrede gestellt werden.

Die nunmehrige Verbotsformulierung des TSVG-Änderungsantrages 6 „Vereinbarungen, die bestimmte Diagnosen als Voraussetzung für Vergütungen vorsehen“ trifft aus Sicht der DGIV immer noch nicht nur den Kern der Bestrebungen, nämlich die unerwünschten Manipulations- und Missbrauchsversuche, sondern eben auch viele gelungene Vergütungslösungen der Selektivversorgung, die keinerlei verwerf-lichen Gehalt aufweisen.

Die gesetzlichen Änderungsvorschläge werden den vielschichtigen Inhalten der Begründung des Änderungsantrages und der Notwendigkeit der Absicherung frei kontrahierbarer Vertragsabreden zwischen Kassen und Leistungserbringern über die Vergütung medizinisch korrekter Diagnosestellungen, die zu keiner miss-bräuchlichen Mittelzuführung aus dem Gesundheitsfonds führen, nicht gerecht. Das gilt umso mehr, als mit der Antragsbegründung auch neue unbestimmte Termini eingebracht werden (u. a. „Patientengruppen mit bestimmten Krankheiten“, „allgemeiner Krankheitsbegriff“).

Den „gordische Knoten“ im Gesetz lösen

Wie kann nun dieser vermeintlich „gordische Knoten“ im Gesetz gelöst werden? Zunächst einmal mit besonnenem Vorgehen. Alles zu verbieten, was unter bestimmten Umständen von bestimmten Interessensträgern auch für einen Miss-brauch genutzt werden könnte, ist hier jedenfalls nicht die Lösung. Entsprechend fielen deshalb auch die Reaktionen aus der Selbst verwaltung aus. In einer gemeinsamen Erklärung vom 21.2.2019 haben KBV und Deutscher Hausärzteverband, unterstützt durch Hartmannbund, Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands, NAV-VirchowBund sowie MEDI GENO Deutschland, „ein sofortiges Ende von Betrugsvorwürfen gegenüber Ärzten in Zusammenhang mit manipulierten Kodierungen“ und die „Reformierung des Systems des Risikostrukturausgleiches“ gefordert.

Die Reaktionen von Kassenseite waren etwas verhaltener. Der AOK Bundesverband schlägt in einer Stellungnahme vom 15.2.2019 eine alternative Formulierung vor, die die medizinische Versorgungssteuerung nicht gefährde und die Absicht der Regierungskoalition sogar noch unterstreiche. Die Techniker Krankenkasse hatte bereits am 15.1.2019 zur „spürbaren Abschwächung von Kodieranreizen im Morbi-RSA“ und „Reduzierung bestehender Wettbewerbsverzerrungen“ einen Vorschlag zur Änderung der Risikostrukturausgleichsverordnung eingebracht. Es dürfte unstrittig sein, dass medizinisch korrektes Kodieren von Diagnosen nicht verboten, sondern geboten ist. Deshalb wird unverändert auch die Kodierpflicht im ambulanten Bereich gebraucht und es kann auch nichts dagegensprechen, medizinisch korrektes Kodieren außerhalb der Regelversorgung zu vereinbaren und zu fördern. Missbrauch und Verwerflichkeit beginnt erst dann, wenn Abreden entstehen, die medizinisch unbegründete Kodierungen (mit dem Ziel der Erschleichung von Mitteln aus dem Gesundheitsfonds, auf die bei korrekter Kodierung kein Anspruch bestehen würde) belohnen.

Auswirkungen für die Selektivversorgung fatal

Diese – und nur diese – Tatbestände sollten durch eindeutige gesetzliche Formulierungen verboten werden; korrekte Diagnosestellungen müssen unverändert vereinbart und vergütet werden dürfen. Bei aller Erheblichkeit des Themas falscher Kodieranreize sollte man auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, die Auswirkungen für die Selektivversorgung und übrigens auch die strukturierten Behandlungsprogramme wären fatal. Die DGIV schlägt in ihrer Stellungnahme deshalb vor, anstatt der umstrittenen Regelungen im Gesetz in etwa Formulierungen aufzunehmen, die Vereinbarungen über die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen zum Zwecke der Erlangung von Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds verbieten. Darüber hinaus sollten Verbote generiert werden, mit denen Anbieten, Zusage und Inanspruchnahme von wirtschaftlichen Vorteilen für die medizinisch nicht begründete Vergabe und Dokumentation von Diagnosen verhindert wird.

DGIV e.V.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ist ein deutschlandweit agierender Verein mit der Zielsetzung, die Integrierte Versorgung in der medizi-nischen, pflegerischen und sozialen Betreuung als Regelfall durchzusetzen. Die DGIV wurde am 26. September 2003 in Berlin gegründet. Ziel der Gründungsmitglieder war es, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zur damaligen Regelversorgung zu entwickeln und letztendlich durchzusetzen.