
Bei der Fülle der bisherigen Gesetzgebungsinitiativen aus dem Bundesgesundheitsministerium kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die wirklich „schweren Brocken“ auf dem Weg zur Überwindung der sektoralen Trennung im Schnittstellenbereich von ambulant und stationär – jedenfalls auf Regierungsseite – noch nicht ernsthaft angepackt worden sind. Es mag sein, dass in der Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „sektorenübergreifende Versorgung“ (AG) die Kritiken und Vorschläge von außerhalb der AG zum noch nicht mit der Leitung des BMG abgestimmten Entwurf eines Eckpunktepapiers inzwischen in diesem alles andere als öffentlich arbeitenden Gremium Gehör gefunden haben – nichts Genaues weiß man nicht. Offizielles hat jedenfalls die Arbeitsgruppe noch nicht bekannt gegeben.
Auch wenn die Partner der Gemeinsamen Selbstverwaltung und die Verbände mit ihren Stellungnahmen zu immer neuen Absichten aus dem BMG kaum noch hinterherkommen – an der Notwendigkeit und Dringlichkeit gesetzlicher Reformen hin zu integrierten, insbesondere sektorenüberschreitenden Strukturveränderungen zweifelt niemand: Barmer, Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands e. V. (SpiFa) und DGIV haben Positionspapiere vorgelegt, die Sachverständigenräte Gesundheit und Wirtschaft haben Maßnahmen zur Ausschöpfung des Effizienz- und Effektivitätspotenzials im Schnittstellenbereich der Hauptsektoren angemahnt. Auch aus der weiteren Versorgungsforschung liegen Vorschläge zum Kurieren des „kranken“ Belegarztwesens und zur Stärkung der weiteren Zusammenarbeit von Krankenhäusern und vertragsärztlichen Leistungserbringern auf dem Tisch. Es wird von allen öffentlich diskutiert, aber nicht von staatlicher Seite, denn die wird – nunmehr bereits seit Jahren – nicht müde, immer wieder auf kommende Vorschläge aus der Arbeitsgruppe zu verweisen und hier keine Stellung mehr zu beziehen.
Der Leistungserbringung im deutschen Gesundheitswesen tut das nicht gut. Es ist unbefriedigend, ständig über die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte auch in diesem, für die Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger so wichtigen Bereich informiert zu werden, ohne dass man weiß, wie und mit welchen bisherigen Ergebnissen für dessen wichtigstes Gebiet, den Schnittstellenbereich von ambulant und stationär, auf staatlicher Seite gearbeitet wird. Dass es bei den Inhalten des Arbeitsentwurfs der AG nicht bleiben kann, ist sicher allen klar. Möglicherweise kommt am Ende ein Stufenkonzept heraus.
Gut Ding will Weile haben oder besser: Nur was lange währt, wird dann irgendwann gut? Um die Arbeit in einem so kostenträchtigen Bereich wie der medizinischen und altenpflegerischen Versorgung effizienter und effektiver zu machen, haben wir allerdings keine Zeit mehr zu verschenken. Bereits die Arbeit auf staatlicher Seite muss effizient und effektiv gestaltet werden. Die Versorgungsbedingungen werden in den nächsten Jahren nicht besser. Jeder weiß das. Nicht nur beim Klima und im Umweltschutz müssen wir heute schon an morgen und übermorgen denken, auch das Gesundheitswesen braucht endlich Lösungen für die seit langem bekannten Probleme der Gegenwart. Und das, gerade weil uns diese in der Zukunft noch stärker belasten werden. Es wird immer deutlicher, dass diejenigen, die an der sektoralen Trennung besonderes Interesse haben, unverändert stark darauf Einfluss nehmen können, dass integrierte, sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen nicht weiter ausgebaut werden. Das merkt man vor allem beim Beleg- und beim Honorararztwesen, bei der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung sowie bei den Bestrebungen mit dem Ziel der Hybridversorgung und -vergütung.
Wie weiter im Honorararztwesen?
Im Honorararztwesen fühlt sich die DGIV nach den diesjährigen BSG-Entscheidungen zur Sozialversicherungspflicht bei Drucklegung dieses Beitrages immer noch wie ein Rufer in der Wüste – was für eine Stille ringsum. Insbesondere die Bundesregierung muss ein vitales Interesse daran haben, die BSG-Schelte in Sachen Honorararzttätigkeit im Krankenhaus so schnell wie möglich in eine konstruktive Verbesserung – oder soll man sagen: Richtigstellung – des hier vorhandenen Rechtsrahmens umzumünzen. Liest man sich Paragraph 2 Abs. 1 und 3 KHEntgG und vor allem die mit dieser Novellierung verbundene Gesetzesbegründung gründlich durch, ist man irritiert. Immerhin sind seit 2012 sehr viele Krankenhäuser – und nach vorsichtigen und unbestätigten Schätzungen ca. 8 000 Ärzte (in realita könnten es durchaus sehr viel mehr sein) – dieser Initiative der Bundesregierung zur Krankenhauskooperation von „nicht fest im Krankenhaus angestellten Ärzten“ in integrierten Versorgungsstrukturen gefolgt und haben jetzt feststellen müssen, dass diese im Gesetz verankerten integrierten Strukturen wohl nur in Ausnahmefällen rechtlich anzuerkennen sind.
Mit anderen Worten: Was der Gesetzgeber 2012 im Krankenhausentgeltgesetz als innovative Versorgungslösung gepriesen hat, hat er zugleich nach dem SGB IV im Grundsatz als sozialversicherungspflichtig verhindert. Letzteres sagt jedenfalls das BSG im Jahre 2019 und zwar – natürlich – auch rückwirkend, soweit die Verjährungsfristen reichen. Aber auch von den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung war zu diesem Thema bisher kaum etwas zu hören. Das verwundert, besonders mit Blick auf die Interessenvertreter der hier beteiligten Leistungserbringer. Oder hat das etwas damit zu tun, dass das Honorararztwesen gerade nicht Gegenstand zentraler dreiseitiger Vereinbarungen ist?
Patientenwohl im Mittelpunkt
Es kommt nicht von ungefähr, dass der Deutsche Ethikrat, der SVR Gesundheit und auch die DGIV vor gar nicht langer Zeit die so banal klingende Wahrheit, dass das Patientenwohl (und nichts und niemand anderes) im Mittelpunkt der gesundheitlichen Versorgung stehen muss, wieder in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt haben. Auch die Mitglieder der AG müssen sich in ihrer Arbeit von dieser Grundaussage leiten lassen. Das bedeutet, dass man zunächst aufklären muss, unter welchen Versorgungsverhältnissen die besten Effekte zur Verbesserung von Effizienz und Effektivität der Versorgung erreicht werden. Danach müssen Instrumente und Wege formuliert werden, wie man diese Verhältnisse erreichen kann. Liest man sich die bisherigen Gedanken aus dem in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen, aber dennoch nicht offiziellen Entwurf eines Eckpunktepapiers (veröffentlicht in: Dienst für Gesellschaftspolitik, 30. Mai 2019, S. 5–10) durch, wird man den Eindruck nicht los, dass sich auch die Arbeitsgruppe wieder nur von dem leiten lässt, was sie nach ihrer Einschätzung der aktuellen innergesundheitspolitischen Gemengelage als derzeit kurzfristig möglich erachtet. Das reicht aber nicht, bei Weitem nicht.
Derartigen Aktionismus haben wir auch schon in zurückliegenden Gesundheitsreformen erlebt, auf dem Gebiet der Integrierten Versorgung eher mit geringem Erfolg und mit Rohrkrepierern und Rückschlägen verbunden. Für das Wohl der Patientinnen und Patienten ist bei all diesen Versuchen, die Integrierte Versorgung auch in der Regelversorgung umzusetzen, in den letzten Jahren unter dem Strich zu wenig herausgekommen. Zumal Patientinnen und Patienten auch Bürgerinnen und Bürger sind, die neben der Inanspruchnahme der gesundheitlichen Versorgung Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zahlen. Hoffen wir, dass es dennoch gelingen wird, die derzeitige Arbeit an den Rahmenbedingungen der sektorenübergreifenden Versorgung schnellstmöglich zu einer wegweisenden Gesundheitsreform zu führen.
