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Wegweisende StrategienSteuerungsmechanismen im Gesundheitswesen

Trotz der aktuellen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik, ist es entscheidend, den Blick jetzt schon nach vorne zu richten und die drängenden Themen für 2025 zu identifizieren.

Andreas Schmid
Kreativbox/Oberender
Prof. Dr. Andreas Schmid ist Mitglied des DGIV-Vorstands.

Die nächste Legislaturperiode steht praktisch schon in den Startlöchern, die Parteien bereiten ihre Strategiepapiere für die Bundestagswahl vor, auch wenn die dicken Bretter der aktuellen Regierung gerade auch in der Gesundheitspolitik noch lange nicht gebohrt sind. Es ist offen, was tatsächlich noch in den nächsten Monaten zum Abschluss kommt und was davon gegebenenfalls nach der Wahl wieder aufgeschnürt wird. Damit wird es Zeit, den Blick nach vorne zu richten – welche Themen müssen 2025 auf die Agenda, welche Fragen müssen von der nächsten Regierung gelöst werden?

Inne halten und reflektieren

Eine These: Indikatoren zur Messung der Ergebnis-Qualität werden in der Priorität nach vorne rücken und – wenn auch erst mittelfristig – wieder mehr Flexibilität, Kreativität aber auch Selbstverantwortung ermöglichen. Zuletzt hat man sich häufig im Klein-Klein verheddert. Kleinste Details wurden mit hohem Aufwand geregelt und vorgegeben, häufig ohne dabei die Ursache eines Problems tatsächlich zu beseitigen. Statt von einem Brand zum nächsten zu sprinten, ist es an der Zeit, innezuhalten und zu überlegen, welche Steuerungsmechanismen überhaupt sinnvoll sind, um mit den Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich umgehen zu können.

Drei Aspekte erscheinen besonders relevant: Komplexität, Heterogenität und Knappheit. Wie hoch der Komplexitätsgrad im Gesundheitswesen mittlerweile ist, zeigt bereits ein kurzer Blick in den Referentenentwurf zum KHVVG. Selbst für echte Kenner der Materie ist die Lektüre nicht nur mühsam, sondern erzeugt eine Vielzahl an Fragen, die Gefahr für neue Fehlanreize lauert auf jeder zweiten Seite. Nur wenige der parlamentarischen Entscheidungsträger trauen sich auch nur ansatzweise ein eigenes Urteil zu, wie ein derartiges Vorhaben zu bewerten ist. Die Herausforderungen sind zugleich extrem heterogen: zwischen Stadt und Land, zwischen großen und kleinen Einrichtungen, zwischen Regionen mit sinkender und solchen mit steigender Bevölkerung und Ländern mit und ohne finanzielle Reserven, zwischen flexiblen Kreativen und trägen Tankern, Innovatoren und Nachzüglern. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen und verdeutlicht eklatant, dass eine „One size fits all“-Lösung nur in seltenen Fällen zu zufriedenstellenden Ergebnissen führt.

Abschließend sei die Knappheit genannt, als ubiquitäres Problem einer Ökonomie, das in den nächsten Jahren viel stärker zutage treten wird als in der letzten Dekade. Die Haushalte bei Bund und Ländern sind überstrapaziert, die Reserven der Krankenkassen aufgebraucht, die Ressourcen der Krankenhausträger zum Defizitausgleich und zur Co-Finanzierung von Investitionen weitgehend erschöpft, der Fachkräftepool demografiebedingt am Schrumpfen. Dies alles bei zugleich steigenden Investitionsbedarfen in Strukturwandel, technischen Fortschritt und Qualifizierung von Mitarbeitern für sich ändernde Bedarfe.

Die vermeintliche Lösung der letzten Jahre auf nahezu alle Herausforderungen war die Erhöhung der Regulierungsdichte mit deutlichem Hang zur Zentralisierung und einem nahezu exklusiven Fokus auf Strukturvorgaben. Mögen die Intentionen auch hehr gewesen sein, sind die Nebenwirkungen dieses Vorgehens fatal. Sie hemmen Innovation, behindern Kreativität und haben in vielen Fällen den Ressourcenverbrauch deutlich erhöht. Die ausgelobten Ziele – zumeist Qualitätsverbesserungen – wurden nur bedingt erreicht, zumeist wird der Grad der Zielerreichung im Kernjedoch auch gar nicht kritisch hinterfragt.

Zur Person

Prof. Dr. Andreas Schmid ist Mitglied des Vorstands der DGIV. Er ist als Diplom-Gesundheitsökonom für die Oberender AG tätig und hat an der Universität Bayreuth eine außerplanmäßige Professur für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement inne.

Ein Paradebeispiel sind die immer weiter um sich greifenden Personalvorgaben im Sinne einer PpUGV bzw. einer PPP-RL. Ein Problem im Bereich der Pflege ist die mangelhafte Abbildung im Leistungsrecht, was dazu führte, dass die Pflege lange Zeit als reiner Kostenfaktor betrachtet wurde. Entsprechend wichtig sind regulatorische Maßnahmen, die sicherstellen, dass sie nicht auf ein absolutes Minimum reduziert wird, da dies (u.a.) zu mangelhafter Versorgungsqualität führt. In den letzten Jahren wurden zur Qualitätssicherung primär Strukturanforderungen definiert, konkret im Bereich der Pflege Mindestvorgaben die Personalisierung betreffend.

Diese sind sanktionsbewehrt. Ergänzt wurde dies durch das Pflegebudget, d.h. zu Lasten der GKV kann der Personalkörper aufgebaut und das Lohnniveau gesteigert werden. Der Eingriff war und ist massiv, bleibt an vielen Stellen jedoch problembehaftet. Die PpUGV zählt im Kern belegte Betten, der heterogene Pflegebedarf der Patienten bleibt unberücksichtigt. Gleiches gilt für die Relevanz weiterer Professionen, das Zusammenwirken im Team, den Skillmix und Schulungsstand, die Qualität von Prozessen und vieles mehr. Nicht ohne Grund sind Graphen, die den Zusammenhang zwischen Ergebnisqualität und Faktoren wie Fallzahl oder Personalausstattung darstellen, regelhaft voluminöse Punktwolken und keine Perlenketten. Es gibt Einrichtungen, die mit üppiger Personalausstattung eine schlechte Qualität erreichen und das genaue Gegenteil davon.

Die PPP-RL versucht die Grobschlächtigkeit der PpUGV durch eine hochgradige Differenzierung zu überwinden, erzeugt dabei allerdings ein bürokratisches Monstrum, das mittlerweile zwar digital organisierbar, aber nur wenig mit der gelebten Realität im Versorgungsalltag kompatibel ist. Für die in den Startlöchern stehende PPR 2.0 ist vieles noch offen und zu regeln. Ein großes Potential für den täglichen Gebrauch liegt in einer verlässlichen Erhebung des individuellen Pflegebedarfs eines Patienten und damit der Reduktion von Über- und Unterversorgung im Pflegealltag. Es lauert jedoch auch hier die Gefahr, zwei grundlegende Probleme wieder zu reproduzieren: Der exklusive Fokus auf Strukturvorgaben und das Ausblenden einer faktischen Knappheit an Fachkräften bei gleichzeitiger Sanktionierung bei Nichterfüllung.

Ergebnisqualität differenziert messen

Schon seit Ewigkeiten werden Studenten im Studium damit gequält, dass Qualität multidimensional ist. Neben der Strukturqualität sind Prozessqualität und Ergebnisqualität ebenso wichtig, weitere Dimensionen kommen je nach Fragestellung hinzu. Insbesondere die Ergebnisqualität ist es letztlich, auf die es ankommt – schließlich begibt sich ein Patient nicht ins Krankenhaus, weil die Betten dort so bequem und die Mitarbeiter freundlich sind, sondern weil er gesund werden will. Natürlich ist Ergebnisqualität nicht einfach und selten perfekt zu messen. Aber nur das zu tun, was leicht messbar ist – z. B. Betten und Köpfe von Pflegekräften – greift aus vielen Gründen zu kurz. Einer dieser vielen Gründe ist die ungenügende Performance einer rein auf Strukturvorgaben basierenden Steuerung bei Knappheit. Die Hochrechnungen des DKI gehen davon aus, dass bei Umsetzung der PPR 2.0 rund 40 000 Pflegekräfte fehlen – auch bei Anwendung der PpUGV und der PPP-RL scheitert es häufig nicht am Willen, sondern an der mangelnden Verfügbarkeit geeigneter Kandidaten. Keine noch so radikale Schließung von Klinikstandorten kann dies kompensieren.

Wenn aber ein Indikator so gravierend an der Realität vorbei geht, verliert er unmittelbar an Akzeptanz und an Relevanz. Der politische Druck, Sanktionen auszusetzen wird so stark, dass diese kaum aufrecht zu erhalten sind. Wie wäre es zu erklären, dass die Glücklichen, die ein Bett erhalten haben, optimal versorgt werden, sich vor der Krankenhaustüre aber Wartelisten mit monatelangen Wartezeiten aufbauen und auf der Suche nach einer nicht abgemeldeten ZNA kreiselnde Rettungswagen die öffentliche Wahrnehmung prägen. Damit würde der Worst-Case eintreten: Die Strukturvorgaben ersatzlos zu streichen, führt nur zur nächsten Krise. Es braucht zeitnah (wie so häufig eigentlich schon gestern) die konkreten Umsetzungspläne für eine alternative Regulierung, die besser die Herausforderungen unserer Zeit adressiert.

Eine deutliche Verschiebung weg von starren, innovationshemmenden Strukturkriterien hin zu Indikatoren für die Ergebnisqualität würde sicherstellen, dass nicht am falschen Ende gespart wird. Zugleich ist der Weg offen, durch alternative Ansätze zu zeigen, dass beispielsweise auch mit weniger Personal unter bestimmten Voraussetzungen ein mindestens gleichwertiges Ergebnis erzielt werden kann. Pflegesensitive Ergebnisindikatoren existieren und sind keine abstrakte Zukunftsmusik.

Das Beispiel der Personalstrukturvorgaben lässt sich auf viele Bereiche im Gesundheitswesen übertragen. Es wird in der nächsten Legislaturperiode die Grundsatzfrage zu klären sein, mit welchen Steuerungsmechanismen die zahlreichen Herausforderungen angegangen werden sollen. Sich weiter im Klein-Klein zu verlieren und den Bürokratieaufwand zu maximieren stellt sicherlich keine zielführende Strategie dar. Indikatoren zur Ergebnisqualität können einen zentralen Baustein für ein Regulierungsmodell bilden, das zwingend notwendige Handlungsräume eröffnet und einen positiven Wettbewerb um Ideen und Konzepte eröffnet.

DGIV e.V.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ist ein deutschlandweit agierender Verein mit der Zielsetzung, die Integrierte Versorgung in der medizi-nischen, pflegerischen und sozialen Betreuung als Regelfall durchzusetzen. Die DGIV wurde am 26. September 2003 in Berlin gegründet. Ziel der Gründungsmitglieder war es, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zur damaligen Regelversorgung zu entwickeln und letztendlich durchzusetzen.