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KommentarDas 20-Millionen-Abenteuer der Corona-App

Die Bundesregierung hat mit der Corona-App die Chance verpasst, ein Signal zu setzen – ein Signal, dass sie an die jungen Tech-Unternehmen dieses Landes glaubt. Ein Kommentar von Admir Kulin, Gründer und Geschäftsführer der m.Doc GmbH.

Admir Kulin
m.Doc GmbH
Admir Kulin, Gründer und Geschäftsführer der m.Doc Gmbh, Anbieter für innovative digitale Gesundheitslösungen.

Ich hatte letzte Nacht einen verrückten Traum: Mir erschien meine gute Fee und sagte „Admir, du hast 20 Millionen Euro zur Verfügung, um eine Corona-App zu entwickeln.“ Ich rieb mir die Augen. 20 Millionen! Dabei überschlug ich schnell im Kopf: Wir haben viele innovative und erfolgreiche junge Tech-Unternehmen in Deutschland. Eine App zu entwickeln, ist also grundsätzlich kein Problem. Zudem gibt es bereits zahlreiche praxiserprobte digitale Gesundheitsanwendungen, sodass es also auch für schwierigere Themen wie beispielsweise Datenschutz und -sicherheit Lösungswege gibt.

Kurz: Eigentlich wollte ich der guten Fee gerade sagen, dass vermutlich ein Bruchteil der Summe für die Entwicklung einer solchen App völlig ausreichend ist. Da kam mir der Gedanke, was wir jungen Tech-Unternehmen wohl mit einem Budget von 20 Millionen Euro alles entwickeln könnten – vor allem, wenn man die klügsten Köpfe der Digital Health Branche an einen Tisch bringen würde. Gerade, als meine Fantasie in Bezug auf die Zukunft der Gesundheitsversorgung so richtig mit mir durchgehen und ich der guten Fee versichern wollte, dass sie den richtigen aufgesucht hat, bin ich aufgewacht.

Noch etwas benommen dämmerte es mir aber schnell: es war gar kein Traum. Ich hatte natürlich abends noch die Nachrichten über die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Corona-App gelesen und auch über die horrende Summe, die diese Entwicklung den deutschen Staat bisher gekostet hat.

Und da war sie wieder, meine Empörung, die – dafür muss man nur kurz durchs Netz scrollen – viele Experten hierzulande teilen. Schon bei der Vergabe des Auftrags habe ich mich wie viele meiner Kollegen gefragt, warum ausgerechnet bei der Entwicklung einer App nicht jene Unternehmen und Experten eingebunden werden, deren Kerngeschäft Gesundheitsanwendungen sind. Jetzt, wo die Entwicklungskosten veröffentlich sind, drängt sich diese Frage natürlich noch viel mehr auf. Ich kenne kein einziges junges Tech-Unternehmen, das es sich leisten könnte, ein Produkt, eine Lösung oder eben eine App zu entwickeln, deren Kosten auch nur annährend an einer solchen Dimension kratzen.

Keine Chance für die „jungen Wilden“

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will die „jungen Wilden“ nicht grundsätzlich über den Klee loben. Nicht alle Ideen schaffen es bis zur Marktreife und selbst dann überstehen bei weitem nicht alle die ersten Jahre. Ich halte es aber für falsch, dass wir uns bei einer so wichtigen Entwicklung in einer außergewöhnlichen Situation nicht der Kompetenzen bedienen, die wir zur Verfügung haben. Wie oft lese ich, dass Deutschland beim Thema Digitalisierung hinterher hängt, unsere Gründerkultur nicht ausgeprägt genug ist und wir insgesamt an Innovationskraft verlieren. Kein Wunder, sag ich, wenn man die innovativen und kreativen Köpfe in Deutschland wie im aktuellen Beispiel nicht einmal in Betracht zieht.

Wäre es ein Risiko gewesen, die Entwicklung der offiziellen Corona-App einem jungen oder einer Gruppe junger Unternehmen zu übertragen? Vielleicht. Es hätte jedoch nicht geschadet, einen etablierten Player, der die Garantien bieten kann, die sich die Bundesregierung wünscht, mit Gründern zusammenzubringen, deren Kerngeschäft Digital Healthcare ist. An Auswahl hätte es hier nicht gemangelt. Und ich wage sogar die steile These, dass die Corona-App vermutlich schneller zur Verfügung gestanden und das ein oder andere nützliche Feature mehr gehabt hätte. In jedem Fall wäre die Entwicklung deutlich günstiger gewesen. Und bei den Rettungspaketen, die derzeit von der Bundesregierung geschnürt werden, um die Wirtschaft zu stabilisieren, ist jede gesparte ganz sicher eine gute Million.

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