Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

Living LabIn Mannheim werden Innovationen im Klinikalltag getestet

Viele Tools und Helfer versprechen mehr Qualität in der Patientenversorgung und eine Entlastung für das Personal. Ob sie den Test im hektischen Krankenhausalltag bestehen, wird am Living Lab der Mannheimer Universitätsmedizin erprobt.

Living Lab Carelens
Inspire Living Lab
Aktuell wird unter anderem die CareLens auf Praxistauglichkeit getestet.

Neue Produkte können die Gesundheitsversorgung verbessern. Die Ideen sind vielseitig und innovativ. Doch was langfristig einen positiven Nutzen mit sich bringen könnte, bedeutet zunächst auch Arbeit: Workflows müssen sich ändern, neue Geräte integriert und vor allem zunächst auf ihre Kliniktauglichkeit getestet werden.

An der Universitätsmedizin Mannheim gibt es dafür eine extra Station: das Living Lab. Projektmanagerin Dr. Hannah Schlott testet hier innovative Ideen in einem klinischen Setting. 20 Betten stehen auf der Station, die normal im regulären medizinischen Alltag mitläuft, für orthopädische und urologische Patienten zur Verfügung. „Die Station ist eine Spielwiese, auf der Dinge möglich sind“, fasst sie das Konzept zusammen.

Inspire Living Lab
Inspire Living Lab
Die Zimmer im Living Lab sind frisch renoviert und mit der neuesten Technik ausgestattet. So verfügt jedes Patientenbett über ein Tablet, die Pflegekräfte haben Smartphones.

Baulich unterscheidet sie sich jedoch von anderen Stationen und verfügt beispielsweise über einen offenen Rezeptionsbereich. Frisch renoviert ist sie mit ausreichend Netzwerkstrom und Internet-anschlüssen ausgestattet, an jedem Bett ist ein Tablet installiert, die Pflegekräfte haben Smartphones. 

Dokumentation per Spracheingabe

Mehrere Start-ups und Firmen werden derzeit am Living Lab genutzt (siehe Kasten), unter anderem das GADV CareLens Assistenz-System. Dabei handelt es sich um ein Stirnband mit einer Kamera, zwei Richtmikrofonen und einem kleinen Display. Bislang wurde dieses Tool mit einem Gewicht von rund 380 Gramm in der Industrie genutzt und wird nun auf Herz und Nieren im Living Lab getestet. Mittels Sprachbefehlen können direkt Vitalwerte und ausgeführte Tätigkeiten am Patienten protokolliert werden. Die Daten werden gespeichert und können auch automatisiert mit dem Krankenhaus-Informationssystem ausgetauscht werden, diese Möglichkeit wird am Living Lab derzeit nicht genutzt. Manuelle Eingaben entfallen, die Hände sind frei. Die Software nimmt dabei ausschließlich denjenigen auf, der die Carelens trägt. 

Daneben verfügt die Carelens noch über weitere Funktionen: Online abrufbare Schritt-für-Schritt-Anleitungen sorgen bei selten ausgeübten Tätigkeiten für mehr Sicherheit. Über die integrierte Kamera können auch Bilder und Videos aufgenommen werden. Dadurch können bei Bedarf weitere Fachkräfte virtuell hinzugeschaltet werden und die Pflegekraft vor Ort unterstützen.

Erweist sich das Produkt als praxistauglich und entscheidet sich der Hersteller für eine Weiterentwicklung, geht es an die Feinarbeit, die etwa Anpassungen im Menü bedeuten kann. Davon hängen jedoch noch viele Fragestellungen ab. Etwa, ob das Tragen für Pflegekräfte wirklich angenehm ist oder als störend empfunden wird – vielleicht auch vom Patienten. Oder, ob es auf Dauer zu schwer ist oder eventuell verrutschen könnte. „Das sind die Fragestellungen, die wir angehen und versuchen zu klären“, erklärt Schlott. 

Neben bereits zugelassenen Produkten finden auch Produkte, die noch die klinischen Studien benötigen, Platz auf der Station. Derzeit laufen Gespräche mit einem Start-up, das ein Wearable zur Messung des Blasenfüllstandes entwickelt. Dabei erfasst ein Sensor die Körperdaten. Die Ergebnisse werden visuell in einer App dargestellt und warnen Patienten vor kritischen Füllständen. 

• Cliniserve: Eine App, die das Aufgabenmanagement in der Pflege digitalisiert und die Kommunikation zwischen Patienten und Krankenhausmitarbeitenden unterstützt
• myScribe: Eine webbasierte Anwendung, die Visitenlisten und Arztbriefe im stationären Krankenhausbetrieb vollautomatisch und KI-gestützt generiert
• inContAlert: Wearable zur Messung des Blasenfüllstandes
• QUMEA: Ein System zur Sturzprävention und Mobilitätsmonitoring in der Akut- und Langzeitpflege
• GADV: CareLens-System für Pflegekräfte.

Ein repräsentativer Schnitt des Krankenhauses

Dass die neuen Produkte auf einer Station für urologische und orthopädische Patienten getestet werden, bringt einige Vorteile mit sich. Zum einen liegen urologische Patienten relativ lange auf einer Station – bis zu 14 Tage. „Dennoch sind sie relativ fit und können früh in Prozesse eingebunden werden“, erklärt Schlott. Der orthopädische, unfallchirurgische Bereich bilde einen guten Querschnitt aller Patienten ab – von jungen Patienten, die „leicht digitalisierbar“ seien, bis zu älteren Patienten, die mit der Technik nicht vertraut sind. „Da geht es um die Fragestellungen: Was brauchen sie eigentlich und wo hole ich sie ab?“ Somit bilde die Station insgesamt einen repräsentativen Schnitt für das Krankenhaus ab. 

Insgesamt erhöht sich der Arbeitsaufwand für die Mitarbeitenden auf der Station, denn die Arbeitsweise ändert sich. Um diesen gestiegenen Arbeitsaufwand zu begegnen, wird auf der Station auch mehr Pflegepersonal eingeplant. 

Im Gesundheitswesen ist vieles noch nicht so digital, wie es sein könnte.

Ideen, die auf der Station gut angenommen werden, können dennoch für Skepsis bei Kollegen außerhalb der Station sorgen – etwa, weil es mehr Arbeit bedeutet oder weil die Integration in den Arbeitsalltag hinterfragt wird. Hinzu kommt, dass jede Berufsgruppe unterschiedliche Erfahrungen mit der Digitalisierung am Arbeitsplatz hat oder die Bedürfnisse unterschiedlich sind. Dann sei es wichtig, Ängste und Bedenken abzufedern.

„Ich glaube, das liegt daran, wie Krankenhäuser generell in Deutschland funktionieren. Im Gesundheitswesen ist vieles noch nicht so digital, wie es sein könnte“, sagt Schlott. Generell müsse das „Change Management“ intensiv betreut werden – Neuerungen müssen engmaschig vorgestellt und mit regelmäßigen Backups versorgt werden. Auch Feedback gehört dazu. Das Potenzial für Veränderungen sei riesig und werde noch viel zu wenig ausgeschöpft – was auch am Fachkräftemangel liege.

Es ist unser Wunsch, mit Start-ups Krankenhausinnovationen zu gestalten.

Trotz der vielen Möglichkeiten auf der „Spielwiese“, kann nicht jedes Produkt im Living Lab getestet werden. Zum Beispiel, weil die medizinische Indikation sehr konkret und nicht für die Station abbildbar ist. Unterstützt werden die Start-ups dennoch durch das „Inspire Netzwerk“, bei dem innerhalb des Klinikums nach geeigneten Ansprechpartnern gesucht wird. „Es ist unser Wunsch, mit Start-ups Krankenhausinnovationen zu gestalten“, sagt Hannah Schlott. In unmittelbare Nähe des Klinikums befindet sich dazu ein Gründerzentrum, in dem Unternehmen ihre Entwicklungen vorantreiben können. Im Umkehrschluss ist das auch für die Klinik erstrebenswert, eine Plattform zu bieten, auf der ein hochwertiger Austausch stattfindet. 

Perspektivisch hofft Hannah Schlott, in Zukunft mit dem Living Lab auch ein spannendes Umfeld für Pflegeschüler bieten zu können. „Es sollte sich so entwickeln, dass es eine Art Leuchtturm-Station wird, auf die Pflegeschüler gerne kommen, damit sie sehen, was in ihrem Berufsfeld möglich ist“, so ihr Wunsch.

2023. Thieme. All rights reserved.
Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen