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KommentarEHDS ist schon veraltet, bevor er startet

Der EHDS soll Europas Gesundheitsdaten bündeln – doch während Brüssel noch plant, nutzen Patienten längst KI-Dienste. Big Tech schafft Fakten, Europa droht erneut digital abgehängt zu werden. Ein Kommentar von Philipp Köbe.

Philipp Köbe
Privat
Philipp Köbe ist freiberuflicher Dozent und Unternehmensberater im Gesundheitswesen.

Die europäische Gesundheitspolitik feiert den European Health Data Space (EHDS) als Meilenstein. Endlich sollen Datenströme harmonisiert, die Forschung befeuert und digitale Innovationen vorangetrieben werden. Doch was auf den ersten Blick zukunftsweisend wirkt, ist in Wahrheit schon jetzt ein Auslaufmodell. Während in Brüssel noch über Zugriffsrechte und Governance-Strukturen diskutiert wird, haben die großen Tech-Konzerne längst Fakten geschaffen.

Patienten liefern ihre Daten schon heute

Ein Blick in soziale Netzwerke zeigt die neue Realität. Ärztinnen und Ärzte berichten, dass Patienten längst begonnen haben, sensible Gesundheitsdaten bei ChatGPT und anderen Large Language Models (LLM) hochzuladen. Befunde, Arztbriefe oder Laborwerte werden eingegeben, um eine zweite Meinung zu erhalten oder Fachbegriffe zu verstehen. Der Nutzen dieser Dienste wiegt für viele höher als die Risiken von Datenverlust oder mangelndem Datenschutz. Wenn ein LLM innerhalb von Sekunden Diagnosen erklärt oder umfassende Informationen liefert, entfällt für viele der Gang ins Wartezimmer. Erste Untersuchungen zeigen zudem, dass spezialisierte medizinische LLMs bereits überragende Ergebnisse liefern. Das Bedürfnis nach Datensicherheit tritt dabei zurück, weil der direkte Mehrwert so groß ist. Was bislang als geschützter Kernbereich galt, wandert nun freiwillig in die Datenpools der US-Tech-Konzerne.

Der EHDS wird überrollt

Damit verliert der EHDS seine Relevanz, noch bevor er startet. Wozu jahrelang Datenräume konzipieren oder Zugangsrechte verhandeln, wenn Bürgerinnen ihre Informationen ohnehin direkt den LLM-Betreibern überlassen? Die US-Unternehmen haben dadurch nicht nur einen zeitlichen Vorsprung, sondern auch einen Datenschatz. Nationale Behörden oder komplizierte Interoperabilitätsprojekte brauchen sie nicht. Die Daten fließen frei Haus und in Echtzeit.

Auf Basis dieser Daten entstehen Geschäftsmodelle, die den europäischen Anbietern weit überlegen sind. Big Tech wird Anwendungen bereitstellen, die Patienten direkt nutzen können. Die Leistungen wirken oft kostenfrei, wie bei E-Mail oder Suchmaschinen. Das eigentliche Zahlungsmittel sind jedoch die Daten der Nutzerinnen und Nutzer. Wertschöpfung entsteht damit nicht länger im europäischen Gesundheitswesen, sondern bei den Plattformkonzernen.

Verlust von Leistung und Wertschöpfung

Die Konsequenzen für Europa sind gravierend. Wenn LLMs schon medizinische Dokumente aufbereiten oder Therapievorschläge machen, verliert das heimische Gesundheitssystem an Bedeutung. Zwar können die Modelle keine Rezepte ausstellen, doch sie könnten rasch zu einer Plattform werden, die das Leistungsspektrum steuert. Ärzte konkurrieren dann nicht nur innerhalb des Systems, sondern mit Algorithmen, die global skalieren.

Kooperationsmodelle mit Anbietern wie Doctolib, CGM oder BetterDoc könnten den US-Konzernen Marktzugang verschaffen. Damit droht ein Szenario, in dem Plattformen die Schnittstellen zu Patientinnen kontrollieren und die Wertschöpfung bestimmen. Leistungserbringer sollten sich daher weniger auf Lobbyismus konzentrieren und sich endlich auf die Disruption einstellen. Wer Besitzstände verteidigt, wird schlicht überholt. Für Europa bedeutet das eine weitere Runde digitaler Abhängigkeit.

Einmal mehr abgehängt

Mangelnde Alternativen zwingen Patienten geradezu, neue Technologien in Anspruch zu nehmen. Selbst in Großstädten finden Zugezogene oft keinen Hausarzt. Unter-, Über- und Fehlversorgung sind zunehmend allgegenwärtig. KI-Dienste könnten das gesamte Versorgungssystem ins Wanken bringen. Doch viele Beteiligte ignorieren die Realität. Alle reden davon, dass KI die Gesundheitsversorgung revolutioniert, aber kaum jemand benennt die konkreten Auslöser.

Der EHDS sollte Europa an die Spitze der digitalen Gesundheitswirtschaft führen. Tatsächlich steht er für eine Politik, die am Status quo festhält, während die Welt längst weiter ist. In den USA entstehen wöchentlich neue Rechenzentren, Investorengelder fließen, Fortschritt wird digital verfügbar. Währenddessen debattieren deutsche und Brüsseler Bürokratien über Standards, Rechtssicherheit oder Akzeptanzfragen. Ein Produkt bleibt aus. Ärztinnen spotten über eine ePA, die keinen Mehrwert für ihre Arbeit bringt. Der europäische Datenschutz mag gut gemeint sein, schützt aber nicht vor der freiwilligen Preisgabe sensibelster Informationen. Big Tech hat bereits gewonnen – der EHDS läuft ins Leere.

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