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Rechtliche EinordnungWer für Fehler beim KI-Einsatz in der Teleradiologie haftet

Die Teleradiologie ist ein zentraler Bestandteil der modernen Medizin – und Pionierfeld für den Einsatz von KI-basierten Systemen. Welche Besonderheiten hier gelten und welche haftungsrechtlichen Fragen sich hier in Zukunft stellen, soll im folgenden Beitrag aufgezeigt werden.

Gesetzesbuch, Richterhammer und Paragraf-Statue
Sebastian Duda/stock.adobe.com
Symbolfoto

Die Radiologie ist in der Medizin ein Schlüsselfach und effektiver Partner der sogenannten „Organfächer“. Ohne eine schnelle und aussagefähige radiologische Diagnostik ist eine zeitgemäße und effektive medizinische Behandlung nicht mehr denkbar. In Deutschland herrscht jedoch ein zunehmender Mangel an Fachärzten für Radiologie, Tendenz steigend. Die Teleradiologie, also die digitale Übermittlung von radiologischen Bilddaten zur Befundung durch einen Facharzt an einem anderen Standort, wird daher als maßgebender Lösungsansatz gegen die steigende Personalnot gesehen. 

Teleradiologie gehört zum Bereich der Telemedizin, welche seit 2018 durch die in der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) gelockerten Vorschriften zur „Fernbehandlung“ nun auch berufsrechtlich anerkannt ist. Nach der aktuellen Gesetzeslage dürfen Ärzte die Telemedizin zur (Fern-) Diagnose und Behandlung nutzen, sofern die ärztliche Sorgfaltspflicht eingehalten wird (vgl. § 7 Abs. 4 MBO-Ä).

Ein Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz muss während der Untersuchung vor Ort erreichbar sein.

Nach der Strahlenschutzverordnung (vgl. § 123 StrlSchV) in Verbindung mit dem Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) darf die Teleradiologie allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen durchgeführt werden. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass ein Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz während der Untersuchung vor Ort erreichbar sein muss, um im Bedarfsfall direkt eingreifen zu können. Organisatorisch ist u.a. zudem sicherzustellen, dass eine im Einzelfall persönliche Anwesenheit des Teleradiologen innerhalb eines für eine Notfallversorgung erforderlichen Zeitraums möglich ist. In begründeten Fällen kann auch ein anderer Arzt mit Fachkunde anwesend sein (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchG). 

Die Teleradiologie ist genehmigungsbedürftig und in der Regel auf Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste beschränkt. Erweiterte Ausnahmegenehmigungen sind möglich, wenn die Patientenversorgung dies erforderlich erscheinen lässt (Versorgungsbedarf).

Die KI als etablierter Assistent in der Teleradiologie

Künstliche Intelligenz (KI) hält zunehmend Einzug in die Kernbereiche der Medizin und ist aus medizinischen Großgeräten wie CT, MRT und Röntgenapparaten bereits nicht mehr wegzudenken. Der Einsatz in der radiologischen Bildgebung als „Assistenzsystem“ ist durchaus als etabliert zu bezeichnen. So wird etwa durch die Möglichkeit der Befundpriorisierung der KI-Software eine Beschleunigung bei der Befundung erwartet. In der Praxis soll dies so aussehen, dass bei Feststellung eines auffälligen Befundes in der Bildgebung durch die KI – beispielsweise bei einem Hirnaneurysma oder eine Hirnblutung – auf dem Monitor des Teleradiologen ein Warnzeichen erscheint, das signalisiert, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein eiliger Befund vorliegt.

Trotz dieser Möglichkeiten ist der Einsatz von KI bisher auf die Unterstützung der Diagnostik beschränkt, sodass die letzte Entscheidung bei dem befundenden Radiologen liegt („Human in the loop“). Das bedeutet, dass ein Übersehen eines reaktionspflichtigen pathologischen Befundes in der Bildgebung oder die unterlassene Mitteilung des Befundes im Befundbericht allein in dessen Verantwortung verbleibt. Die Grenze zwischen Entscheidungsassistenz und der „automatisierten“ ärztlichen Entscheidung durch das KI-System darf bislang nicht überschritten werden.

Die Grenze zwischen Entscheidungsassistenz und der „automatisierten“ ärztlichen Entscheidung durch das KI-System darf bislang nicht überschritten werden.

 

KI-Systeme als etablierter Standard in der (Tele-) Radiologie?

Der Einsatz von KI in der Radiologie hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Mittlerweile gibt es KI-Systeme, die nicht mehr nur experimentellen Charakter haben, sondern als etablierte Verfahren anerkannt sind, auch wenn bislang klare Leitlinien fehlen. Beispiele sind ein KI-gestütztes System zur Erkennung von Knochenbrüchen auf Röntgenbildern sowie ein auf die Analyse von MRT-Aufnahmen spezialisiertes System zur Erkennung von Prostatakrebs. Beide KI-Systeme haben regulatorische Zulassungen nach der Medizinprodukteverordnung (MDR) erhalten, werden bereits vermehrt eingesetzt und gelten daher als etabliert. 

Die Verantwortung für Diagnose und Behandlung verbleibt jedoch weiterhin beim ärztlichen Personal. Der Einsatz von KI als lediglich unterstützenden „Assistenten“ macht diese Systeme aufgrund von fehlenden medizinischen Leitlinien gegenwärtig noch nicht zum geschuldeten und somit verpflichtenden Behandlungsstandard.

Nichteinsatz eines KI-Systems als Behandlungsfehler?

Wie sich der Sorgfaltsmaßstab aus medizinrechtlicher Sicht beim Einsatz von KI-Systemen in der Medizin definiert, wurde bereits im ersten Teil der Beitragsreihe ausführlicher beleuchtet. Zusammengefasst muss zu jedem Zeitpunkt der Behandlung der Standard eines erfahrenen Facharztes gewahrt bleiben (sogenannter Facharztstandard). Er muss die Sorgfalt einhalten, die man von einem durchschnittlich befähigten, gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs in der konkreten Situation erwarten darf.

Die Anerkennung von KI-Systemen als medizinischer Standard würde jedoch auch rechtliche Konsequenzen mit sich bringen. Damit würde sich beispielsweise die Frage stellen, ob das Unterlassen des Einsatzes eines etablierten KI-Systems ab diesem Zeitpunkt als Behandlungsfehler gewertet werden kann.

Wenn sich ein KI-gestütztes System als gängige (Diagnose-) Methode etabliert hätte, hängt die Beantwortung dieser Frage davon ab, ob der geforderte Sorgfaltsmaßstab die Anwendung erforderlich macht. Entscheidend ist also, ob das Unterlassen des Einsatzes als Abweichung von der geschuldeten Sorgfaltspflicht betrachtet werden könnte. 

Generell ist in der Medizin nicht das Bestmögliche geschuldet, sondern das in der jeweiligen Situation angemessene und realistisch Zumutbare. Es besteht keine Verpflichtung, jede neuartige Behandlungsmethode sofort zu übernehmen oder jede neu entwickelte technische Ausstattung umgehend anzuschaffen. Allerdings könnte es erforderlich sein, Patienten darüber zu informieren, dass es – möglicherweise in anderen Krankenhäusern fortschrittlichere Therapiemöglichkeiten gibt. Eine Aufklärungspflicht kann insbesondere dann bestehen, wenn die Anwendung eines KI-Systems bereits weit verbreitet wäre und als echte und ggf. sogar erfolgversprechendere Behandlungsalternative angesehen werden kann.

Aufklärungspflichten beim Einsatz von KI in der Teleradiologie?

Es zeichnet sich rechtlich ein noch unklares Bild ab, ob Patienten zusätzlich darüber aufgeklärt werden müssen, dass ein KI-gestütztes System bei der Diagnosestellung unterstützend eingesetzt wird. Als ein zentrales Argument dafür wird angeführt, dass bisher keine umfassenden Langzeiterfahrungen mit solchen Technologien vorliegen. Zudem sei im Zweifel davon ausgehen, dass viele Patienten dem Einsatz von KI in der Medizin skeptisch gegenüberstehen haben und daher erwarten, mit den „bewährten“ Methoden behandelt zu werden. „Volenti non fit iniuria“ – dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht – sowie „voluntas aegroti suprema lex“/„salus aegroti suprema lex“ – der Wille des Patienten ist höchstes Gesetz – sind zentrale Grundsätze des Medizinrechts und der Ethik. Sie verdeutlichen die hohe Bedeutung der informierten Einwilligung („informed consent“), sodass im Zweifel eine umfassendere Aufklärung stets vorzuziehen ist, um die Entscheidungsfreiheit des Patienten bestmöglich zu gewährleisten.

Eine mögliche Parallele wird auch aus § 7 Abs. 4 Satz 3 MBO-Ä hergeleitet, wonach eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien („Fernbehandlung“) nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Im Einzelfall ist diese zulässig, wenn sie ärztlich vertretbar ist, die erforderliche Sorgfalt gewahrt wird und der Patient über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Es wird erwogen, insbesondere den Aufklärungsgrundsatz auf den Fall des Einsatzes eines KI-Systems zu übertragen.

Eine mutmaßliche und hypothetische Einwilligung bei fehlender Aufklärung des Patienten zu behaupten, dürfte in den meisten Fällen nicht ausreichen.

Daher erscheint es derzeit geboten, Patienten über den Einsatz von KI-gestützten Systemen zu informieren. Dies gilt selbst dann, wenn sich aus der Verwendung solcher Technologien keine erhöhten Risiken ergeben. Eine mutmaßliche und hypothetische Einwilligung (vgl. § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB) bei fehlender Aufklärung des Patienten zu behaupten, dürfte in den meisten Fällen nicht ausreichen. Das Wissen, von einer KI mit-diagnostiziert oder behandelt zu werden, könnte bei vielen Patienten einen echten Entscheidungskonflikt hervorrufen, weshalb eine explizite Aufklärung über den Einsatz eines KI-System ratsam erscheint, auch wenn dieses lediglich zur Diagnoseunterstützung eingesetzt wird.

Der zukünftige rechtliche Haftungsrahmen für KI in der Medizin

Die Haftung für etwaige Sorgfaltspflichtverstöße im Rahmen der Anwendung eines KI-Systems, wird in erster Linie den behandelnden Arzt und daneben auch den Krankenhausträger im Rahmen seiner Organisationspflichten treffen. Dabei greift zunächst das klassische zivilrechtliche Arzthaftungsrecht für Pflichtverletzungen aus dem Behandlungsvertrag. Nicht zuletzt greift daneben das sogenannte Deliktsrecht auch bei der außervertraglichen Haftung des Arztes.

Die etablierten arthaftungsrechtlichen Grundsätze beim Einsatz von Medizintechnik könnten jedoch an ihre Grenzen stoßen, wenn zukünftig KI-Systeme verstärkt zum Einsatz kommen. In diesem Bereich besteht derzeit noch keine vollständige Rechtssicherheit. 

Nachdem die EU-Kommission am 12. Februar 2025 die geplante KI-Haftungs-Richtlinie verworfen hat, wird in Zukunft bei Schäden, die durch KI-Systeme verursacht werden, das alte und neue Haftungsregime gelten. KI-gestützte Systeme in Medizinprodukten gelten in der Regel als Hochrisiko-KI-Systeme und damit als Hochrisiko-Medizinprodukte gemäß der Medical-Device Regulation (MDR) in Verbindung mit dem Artificial Intelligenc Act (AI-Act). Dies führt zu strengen regulatorischen Anforderungen. Die MDR selbst verweist für die Haftung des Herstellers auf die europäischen und nationalen Haftungsregeln. Die am 8. Dezember 2024 in Kraft getretene EU-Produkthaftungsrichtlinie modernisiert nach fast 40 Jahren das Produkthaftungsrecht und erfasst neben Software nun auch KI-Systeme. Sofern mithin ein (Produkt-)Fehler in dem KI-System vorliegt, wird dieser als Pendant zum Behandlungsfehler als Sorgfaltspflichtverstoß des Anbieters bzw. Herstellers, nach dem neuen Produkthaftungsrecht geahndet werden.

Dieses Haftungssystem hat sich bisher bewährt. Es wird erwartet, dass es auch die rechtlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit KI-Systemen meistern kann.

Fazit

Die Teleradiologie ist ein fester Bestandteil der modernen Medizin und KI-Systeme etablieren sich zunehmend als „Assistenten“ des Arztes – sei es zur schnelleren Befundung oder Unterstützung bei der Diagnosefindung. Ihr Einsatz wirft jedoch bislang noch ungeklärte haftungsrechtliche Fragen auf.

Krankenhausträger sollten sich auf noch kommende regulatorische Anpassungen in diesem noch jungen Bereich vorbereiten. Klare interne Handlungs-Richtlinien zur sicheren Anwendung und zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten beim Einsatz von KI-Systemen sind als Teil eines fortlaufend zu überprüfenden Compliance-Systems essenziell. Zudem sollten Ärzte und medizinisches Fachpersonal als Anwender und somit „(Mit-)Betreiber“ aktiv in diesen Prozess eingebunden werden. Ein vertieftes Verständnis der potenziellen Haftungsrisiken ist entscheidend, um den Einsatz von KI-Systemen nicht nur rechtssicher, sondern auch mit einer positiven und offenen Haltung im Sinne einer modernen Medizin zu gestalten.

Anmerkung der Redaktion: Teil 1 der Serie erscheint in der kma Ausgabe 2.3/2025.

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