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Diagnostik und BildgebungKünstliche Intelligenz wird Medizin noch besser machen

Trotz des Scheiterns von IBMs Dr. Watson ist Künstliche Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen noch nicht abgeschrieben. Im Gegenteil: Namhafte Kliniken und Hochschulen forschen auf diesem Gebiet – gerade in der Diagnostik und Bildgebung. Mit zum Teil sensationellen Ergebnissen.

Diagnostik
Ravil Sayfullin/stock.adobe.com
Symbolfoto

KI gibt es schon heute. In der Freizeit wird sie bedenkenlos genutzt: Niemand hinterfragt die Produkte, die einem nach dem letzten Online-Einkauf automatisch vorgeschlagen werden. Auch bei der Suche nach Krankheitsbildern und Symptomen bekommt der Leser oft Antworten, die von einem Roboter erstellt wurden – oder zumindest mit Hilfe eines solchen. Trotzdem tummeln sich im Gesundheitswesen zahllose Bedenkenträger und Datenschützer, die der Digitalisierung mit großer Skepsis begegnen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland laut Digital Health Index der Bertelsmann Stiftung nur Rang 16 von insgesamt 17 untersuchten Ländern belegt. Aber es tut sich langsam etwas.

Es gibt Förderprogramme des Bundes wie zum Beispiel für das KI-Kompetenzzentrum Norddeutschland, das als Verbundprojekt mit fast zehn Millionen Euro für den Ausbau intelligenter Gesundheitssysteme unterstützt wird. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert in ihrem neuen Schwerpunktprogramm „Radiomics: Nächste Generation der medizinischen Bildgebung“ einzelne Projekte von Kliniken und Instituten aus ganz Deutschland. Darüber hinaus treiben renommierte Häuser wie die Berliner Charité KI voran.

KI-Verfahren erkennt Herkunft von Krebs

Forschern der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist es gelungen, zusammen mit Wissenschaftlern der Technischen Universität (TU) Berlin ein KI-basiertes Verfahren zu entwickeln, das anhand chemischer Veränderungen der DNA die Herkunft von tumorösem Gewebe ermittelt. Das ist besonders bei Kopf-Hals-Tumoren von Bedeutung, wo man mit bisherigen Untersuchungs- methoden oftmals kein eindeutiges Ergebnis bei der Frage erzielen konnte, ob es sich um eine Metastase des Kopf-Hals-Tumors handelt oder um einen Lungentumor. „Für die Therapie der Betroffenen hat diese Unterscheidung jedoch große Bedeutung“, erklärt Professor Frederick Klauschen vom Institut für Pathologie. „Während Patienten mit lokal begrenztem Lungenkarzinom mittels einer Operation potenziell geheilt werden können, haben jene mit einem metastasierten Kopf-Hals-Tumor eine deutlich schlechtere Überlebenschance und benötigen beispielsweise eine Radiochemotherapie.“

Aus früheren Studien wussten die Mediziner Klauschen und sein Kollege, Professor David Capper, dass das Methylierungsmuster von Krebszellen sehr stark davon abhängt, aus welchem Organ der Tumor stammt. Dieses Wissen machten sie sich zusammen mit Klaus-Robert Müller, Professor für Maschinelles Lernen an der TU Berlin zunutze, um ein neuronales Netzwerk so zu trainieren, dass es lernte, die Tumorarten zu unterscheiden – mit einer Genauigkeit von über 99 Prozent. An der Charité wird dieses neue diagnostische Verfahren zurzeit in der klinischen Routine erprobt, damit schnell flächendeckend alle Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und zusätzlichen Lungentumoren davon profitieren können.

Harvard und Stralsund forschen zusammen

Ebenfalls von Nutzen für den Patienten ist das Ergebnis eines Forschungsteams von der Universität Harvard und der Hochschule Stralsund. Sie haben untersucht, ob Röntgenaufnahmen des Brustkorbes, die oft bei Verdacht auf Lungenentzündung gemacht werden, für die Vorhersage der Langzeit-Sterblichkeit genutzt werden können. Die Antwort vorweg: Ja.

Ein künstliches neuronales Netzwerk wertet die Bilddaten der Röntgenaufnahmen aus und bestimmt so die Wahrscheinlichkeit, zu versterben. Der finale Algorithmus wurde dann darauf trainiert, Risikoklassen zu bestimmen. Er benötigt weniger als eine halbe Sekunde für eine Klassifizierung. Damit können bereits bestehende Röntgenaufnahmen für keine oder nur sehr geringe Mehrkosten im Hinblick auf die Sterbewahrscheinlichkeit ausgewertet werden. „Medizinische Routineaufnahmen können durch unsere KI dazu eingesetzt werden, Informa­tionen über die Lebensdauer sowie die Gesundheit von Patienten zu treffen“, erklärt Professor Thomas Mayrhofer von der Hochschule Stralsund. „Diese Informationen können gezielt dafür genutzt werden, um Entscheidungen über Präventionsmaßnahmen wie Lungenkrebs-Screening bei bestimmten Patienten zu treffen.“

Millionenförderung der DFG

KI kommt in den Kliniken derzeit also noch primär in den Bereichen Diagnose und Vorsorge zum Einsatz. Am weitesten ist bei dem Thema heute schon die Radiologie. Das liegt unter anderem daran, dass dieser Bereich schon seit Jahren digitalisiert ist und die Voraussetzungen für den Einsatz von KI daher ideal sind. Gerade bei Bildern, wo es darum geht, enorme Datenmengen zu analysieren und auszuwerten, kann KI den Menschen wirklich entlasten. Aber in der Radiologie gibt es noch viel größeres Potenzial für KI: Radiomics. Die DFG hat dies erkannt und dafür ein neues Schwerpunktprogramm aufgelegt. 17 Projekte, darunter gleich mehrere am Universitätsklinikum Freiburg, erhalten insgesamt mehr als acht Millionen Euro. Ziel des Programms ist es, automatisierte Auswertungsmethoden medizinischer Bilddaten zu entwickeln und so neue Bildinformationen für die Diagnostik nutzen zu können.

„Mit künstlicher Intelligenz und Radiomics können wir in der Radiologie schon heute Veränderungen, etwa in Gewebestrukturen, sehr viel schneller analysieren oder sogar erst entdecken, was dem menschlichen Auge verborgen bleibt“, erklärt Professor Fabian Bamberg, Ärztlicher Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Uniklinikum Freiburg. „Es soll so künftig immer einfacher werden, extrem große und komplexe Datensammlungen nach spezifischen Mustern zu durchsuchen, um vergleichbare Patientenfälle und geeignete Therapien zu suchen.“ KI kann hier also Muster erkennen, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben.

Generell wird KI, da ist sich Bamberg sicher, künftig auch außerhalb der Radiologie an Bedeutung gewinnen. Es gehe darum, die Medizin im Allgemeinen besser zu machen.

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