Neue technologische Möglichkeiten in der Gesundheitsversorgung verändern nicht nur das Leben von Menschen, sondern auch die Arbeit von Ärzten, Kliniken und Unternehmen. Das Potenzial des digitalen Gesundheitsmarktes ist riesig: Nach Prognosen der Unternehmensberatung Arthur D. Little soll es sich bis 2020 weltweit auf 233 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln. Die Experten sind davon überzeugt, dass in der Ära von Big Data drahtlosen Übertragungssystemen, Patientenüberwachung und elektronischen Gesundheitsakten die Zukunft gehört.
Nicht zuletzt wegen solchen guten Marktprognosen hat der einstige Mischkonzern Philips kürzlich seine Lichtsparte abgespalten und beschlossen, sich verstärkt auf das Thema Gesundheit zu konzentrieren. „Jedes Produkt wird irgendwie vernetzt sein und sämtliche Akteure im Gesundheitsmarkt werden integriert arbeiten müssen, um das Gesundheitssystem wieder wirtschaftlich zu machen“, blickt Peter Vullinghs, CEO bei Philips für Deutschland, Österreich und der Schweiz in die Zukunft der Gesundheitsversorgung. In Zukunft verkaufe Philips nicht mehr nur Geräte an die Krankenhäuser, sondern biete außerdem Beraterdienstleistungen an. „Gemeinsam mit den Klinikbetreibern bewerten wir den Gesamtkomplex Krankenhaus und erarbeiten Komplettlösungen. Das startet mit einem Business Plan, geht über die Analyse der Infrastruktur von Gebäude und Ausstattung bis hin zu IT, Service, Coaching der Mitarbeiter und einer Finanzierungslösung“, prognostiziert Vullinghs. Der Deutschland-Chef glaubt an die Synergien aus der Zusammenlegung der Medizintechnik mit der Konsumelektronik zu einem „Healthtech“-Konzern.
Bereich der Patientenüberwachung
Philips ist traditionell stark im Bereich der Patientenüberwachung und zählt auch bei Ultraschall- und Röntgengeräten zu den weltgrößten Anbietern. Die digitale Gesundheitsplattform HealthSuite von Philips soll jetzt nicht nur neue Gesundheits-Applikationen bieten, sondern letztlich die verschiedenen medizinischen Versorger miteinander verbinden: Vom Arzt über die Pflegekraft bis hin zu Diensten, die ältere Menschen mit Essen zu Hause versorgen. Auch in Zukunft will die Healthtech-Firma dabei einen breiten Bedarf abdecken. „Wir haben Fokus-Bereiche gewählt, in denen wir nicht nur Diagnose und Therapie, sondern möglichst den kompletten Versorgungspfad abdecken wollen – von der Prävention über Diagnose und Therapie bis zur Nachsorge. Das sind die Themen „Onkologie“, „Schwangerschaft“ und „Nachsorge“, „Atmung“ und der Bereich „Kardiologie“, beschreibt Vullinghs die Unternehmensstrategie. Diesen ganzheitlichen Versorgungsansatz nennen wir „Health Continnuum“.
In der Vernetzung des Gesundheitswesens liegt ein enormes Einsparpotenzial, das nach Ansicht von vielen Experten auch genutzt werden muss, um überhaupt finanzierbar zu bleiben. So ist nach zweijähriger Vorbereitung im Sommer des vergangenen Jahres das Projekt Telehealth Ostsachsen in den Pilotbetrieb gegangen. Das von der EU und dem Freistaat Sachsen mit 9,8 Millionen Euro geförderte Projekt besteht aus einer Telemedizin-Plattform, an der Ärzte und Kliniken angeschlossen sind, sowie aus Endgeräten (Tablets, Smartphones) für medizinisch betreute Bürger. Die Tablet-PCs sollen im Rahmen der Nachsorge regelmäßig die Vitaldaten der Patienten messen und sie über eine Telecoaching-App ins Herzzentrum übermitteln. Dort steht dann eine Telenurse bereit, die die Patienten beraten kann. Die IT-Plattform vernetzt erstmals Kliniken, Ärzte und Patienten einer ganzen Region, um eine bessere und schnellere medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Bisher gab es nur sogenannte Insellösungen zu bestimmten Krankheiten und Themen oder zwischen einzelnen Krankenhäusern und Ärzten.
Standardisierter Werkzeugkasten
Telehealth Ostsachsen soll Erkenntnisse darüber bringen, wie die medizinische Versorgung in Regionen mit wenigen Ärzten aufrecht erhalten werden kann. Neben der Telekom-Tochter T-Systems ist die Carus Consilium Sachsen, eine Tochter des Universitätsklinikums Dresden, am derzeit größten Telemedizin-Projekt Deutschlands beteiligt. Für die Deutsche Telekom Healthcare ist Telehealth Ostsachsen eines der wichtigsten Projekte im telemedizinischen Bereich. Das Unternehmen spricht von einer „Telekom-Steckerleiste für das Gesundheitswesen“, an die sich Interessenten einfach andocken können. „Im Moment werden an vielen Stellen IT-Lösungen für das Gesundheitswesen entwickelt: Apps zum Sammeln von Fitnessdaten, Portale zur Betreuung von Diabetes-Patienten oder Anwendungen für die Telemedizin“, erklärt Arndt Lorenz, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing Telekom Healthcare Solutions. „Damit Programmierer nicht ständig parallel dieselben Funktionen neu entwickeln müssen, geben wir Ihnen einen standardisierten ‚Werkzeugkasten‘ an die Hand“, erläutert Lorenz.
Neue Technologien revolutionieren die Medizin – und eröffnen sowohl Patienten und Ärzten als auch Kliniken und Unternehmen ganz neue Möglichkeiten. Die Medizintechnikfirma Medtronic beispielsweise entwickelt zusammen mit IBM Überwachungssysteme für Diabetiker, die drohende Unterzuckerungen schon Stunden vorher ankündigen. Philips hat ein Frühwarnsystem für Herzinfarktpatienten im Einsatz, Novartis erforscht mit Microsoft Bewegungsabläufe bei Multiple-Sklerose-Patienten und Roche und SAP überwachen gemeinsam Diabetes-Erkrankte.
Gleichzeitig wirft der demografische Wandel seine Schatten voraus. Bis zum Jahr 2035 werden Patienten in Baden-Württemberg deutlich mehr ärztliche Versorgung benötigen, ermittelte eine Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Vor allem Urologen, Augenärzte, Fachinternisten und Hausärzte würden wesentlich stärker beansprucht werden. Die Techniker Krankenkasse Baden-Württembergs (TK) plädiert deshalb für eine konsequente Nutzung der Telemedizin.
Auch deshalb hat die TK jetzt mit dem Berufsverband der Dermatologen ein Projekt zur Erprobung von Online-Videosprechstunden gestartet. War ein Patient schon zu einer Eingangsuntersuchung in der Praxis, könne zur Nachkontrolle eine Konsultation über PC oder Laptop ausreichen, so die Krankenkasse. Damit würden Ärzte entlastet, was dazu beitrage, den steigenden Bedarf an ärztlicher Versorgung leisten zu können.


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