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InfrastrukturTelematikausbau stockt

E-Health boomt. Die Nachfrage nach telemedizinischen Diensten und mobilen Anwendungen steigt kontinuierlich. Parallel dazu stockt allerdings die elektronische Vernetzung.

Krankheiten früher erkennen. Gesünder leben. Und außerdem Patienten besser behandeln. Nach Ansicht von Branchenexperten wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen alle diese Vorteile bringen. Im vergangenen Jahr hat das Bundeskabinett deshalb das sogenannte E-Health-Gesetz beschlossen. Innerhalb der kommenden drei Jahre sollen die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass medizinische Daten künftig elektronisch übermittelt werden. Weiteres Ziel des Gesetzes: Spätestens ab Mitte 2018 sollen die Stammdaten der Patienten von den niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten elektronisch verwaltet werden. Und: Die Ärzte erhalten für die Pflege der Daten eine gesonderte Vergütung - wer sich nicht beteiligt, muss dagegen mit Kürzungen rechnen. Außerdem sollen ab 2018 Notfalldaten und Medikationspläne auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können, sofern der Versicherte das möchte. Die Karte hat den klassischen Versichertenausweis bereits jetzt weitgehend ersetzt, allerdings sind viele Funktionen noch nicht in der Praxis nutzbar, da es bei der Umsetzung eines eigenen Hochsicherheitsnetzes für medizinische Daten hakt.

Verschiedene IT-Systeme vernetzen

Bis Ende 2016 soll die Berliner Gesellschaft für Telematik, ein von den Spitzenverbänden des Gesundheitswesens im Jahr 2005 eigens gegründetes Unternehmen, „sichere Verfahren zur Übermittlung medizinischer Dokumente“ festlegen, wie es im Gesetz heißt. Ziel ist es, ein eigenes Datennetz aufzubauen, das verschiedene IT-Systeme vernetzt und über das Patientendaten geschützt übermittelt werden können. Die Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen verbindet denn die IT-Systeme aus Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen miteinander und ermöglicht so einen systemübergreifenden Austausch von Informationen. Bei Verzögerungen drohen finanzielle Kürzungen bei der Betreibergesellschaft Gematik, in der Krankenkassen, Ärzte, Kliniken und Apotheker zusammengeschlossen sind. Auf der Gesundheits-IT-Messe conhIT im April wurde schließlich offen ausgesprochen, was seit Monaten vermutet worden war: Die Online-Tests der elektronische Gesundheitskarte (eGK) werden nicht diesen Sommer starten. Ein Grund dafür ist, dass die Kartenleser, die derzeit in den Praxen in Betrieb sind, tatsächlich vor dem Online-Gang komplett ausgetauscht werden müssten - weil sie den neuen Vorgaben der Gematik und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wohl nicht gerecht werden.

Patentrezept für die Digitalisierung

Ein Patentrezept für die Digitalisierung des Gesundheitswesens gibt es auch im europäischen Vergleich nicht. Dänemark und Schweden waren die die ersten europäischen Länder, die elektronische Rezepte nahezu flächendeckend einsetzten und auch global zu Vorreitern wurden. Dabei führte Dänemark nicht nur flächendeckend elektronische Rezepte ein, sondern auch eine übergreifende Medikationsakte, an die alle Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzte angebunden sind. Für eine Telematikinfrastruktur bietet Dänemark strukturell allerdings deutlich günstigere Voraussetzungen als der große Flächenstaat Deutschland. Das Land hat circa 5,6 Millionen Einwohner, in Deutschland leben rund 14 Mal mehr Menschen. Außerdem gibt es lediglich eine staatliche Krankenversicherung in Dänemark. In Deutschland stehen dagegen mehr als 120 Kassen zur Auswahl. Aus deutscher Sicht interessanter ist wohl das Beispiel Belgien, da das Gesundheitssystem dort dem deutschen relativ ähnlich ist. Belgien, wo pro Jahr etwa 50 Millionen Rezepte ausgestellt werden, startete im Jahr 2014 ein Pilotprojekt des elektronischen Rezeptdienstes Recip-e. Es war so erfolgreich, dass der Rollout direkt angeschlossen wurde.

Seit Ende 2015 nutzen auch die Österreicher eine nationale elektronische Gesundheitsakte (ELGA). Dabei handelt es sich um eine dezentrale Akte, der Zugriff auf die Patientendaten erfolgt über einen zentralen Index. Die Daten werden aber nicht – wie in den skandinavischen Ländern – als Kopien auf zentralen Servern gespeichert. Schon nach sieben Wochen waren über 200.000 Patientendatensätze angelegt worden, im ersten Schritt nur von Krankenhäusern. Ab 2017 werden auch niedergelassene Ärzte an das ELGA-System angedockt, zwei Jahre später sollen dann Zahnärzte folgen. In Österreich gibt es wie auch in Deutschland eine Patientenkarte, die dort von den Patienten für einen eigenständigen Zugriff auf die ELGA-Daten genutzt werden kann.

Pilotprojekte in Bundesländern

Auch in Deutschland ist Telemedizin allerdings, aller Probleme beim Aufbau der Telematikinfrastruktur zum Trotz, schon Alltag. Herzschrittmacher senden Patientendaten an Praxen, Mediziner tauschen sich virtuell über Symptome aus. Reine Ferndiagnosen sind allerdings noch verboten. Und während die Bundesregierung ihrem erklärten Ziel, Telemedizin in die Regelversorgung aufzunehmen, noch nicht näher gekommen ist, realisieren einzelne Bundesländer Pilotprojekte. Fast zehn Millionen Euro EU-Mittel fließen in ein Telemedizin-Projekt des Landes Sachsen und der Telekom, unter anderem, um Patienten auf dem Land mit Sensoren und Messgeräten zu vernetzen. Seit 1. Juli des vergangenen Jahres können Ärzte mit Unterstützung des Internets in den östlichen Landesteilen Sachsen Schlaganfall- oder Herzpatienten medizinisch betreuen.

Gleichzeitig betreute der Berliner Kardiologe Friedrich Koehler eine Studie in Nordbrandenburg, finanziert vom Bundesforschungsministerium. Mehr als 500 Herz-Patienten nehmen derzeit daran teil. Alle sind vernetzt, messen selbst ihre Gesundheitsdaten und senden sie von zu Hause an Koehlers Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin an der Charité. „Dank dieses digitalen Frühwarnsystems können wir Herzpatienten rund um die Uhr betreuen und ersparen ihnen unnötige Arztbesuche oder gar Krankenhausaufenthalte“, erläutert Köhler den Nutzen der Vernetzung. Insbesondere in ländlichen Regionen, wo der Weg zum Kardiologen weit ist, könnten Patienten besser versorgt werden. Dabei solle die Telemedizin den Arztbesuch aber nicht ersetzen, betont Köhler: „Eine rein telemedizinische Betreuung ist in Deutschland verboten und wäre aus ärztlicher Sicht auch nicht wünschenswert.“

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