
kma sprach mit Bart de Witte (IBM), UKSH-Vorstandschef Prof. Jens Scholz und Dr. Christian Elsner (Geschäftsführung UKSH-Campus Lübeck) über ihre Erwartungen.
Herr de Witte, Herr Prof. Scholz, Herr Dr. Elsner: Sie sind Ausrichter des „Healthcare-Hackathons“. Was ist das eigentlich genau?
Scholz: Vereinfacht gesprochen ist es eine Art Schnellkochtopf für IT-gestützte Ideen in der Gesundheits- und Lifesciences-Branche. Wir werfen die neueste Technologie mit Talenten, Ideen und Coaches in einen Topf – und dann hat jedes Team knapp 30 Stunden Zeit zur Umsetzung und kann dann der Jury die Ergebnisse ihrer vorab selbst gestellten Aufgaben präsentieren.
Schnellkochtopf und 30 Stunden hört sich jetzt wenig nach ernsthaften Produkten an. Was soll dabei tatsächlich rauskommen?
De Witte: Natürlich kann und soll kein ganz und gar fertiges Produkt entstehen. Es geht darum, einen „Prototypen“, eine Art erstes vorführbares, minimalfähiges Produkt zu erstellen und einem Publikum und anderen Fachexperten zu zeigen: So funktioniert es im Prinzip, so kann es aussehen und so fühlt es sich in der Realität im ersten Schritt an. Unsere cloudbasierte Open-Standards-Plattform Bluemix eignet sich hier perfekt für die agile Entwicklung von Anwendungen aller Art. Bei der Erstellung einer Anwendung reduziert die Plattform den bislang typischen Aufwand für die Erstellung einer Anwendung von Monaten bis auf Tage.
War es schwer, Teams und Firmen dafür zu gewinnen? Immerhin besteht ja auch ein Risiko, dass einzelne Teams nicht zu Ergebnissen kommen.
Elsner: Klar, es ist ein Wettbewerb. Wie bei einem echten Marathon – daher stammt ja der Begriff „Hackathon“ – kommen eventuell nicht alle Teams am Ende an. Das Tolle ist ja, dass es gar nicht alleine um die 30 Stunden Programmierarbeit geht. Sie müssen das mehr als eine Art „Treffpunkt“ verstehen, den wir da schaffen. Wir bauen eine Umgebung mit minimal möglichen Barrieren für produktive Zusammenarbeit und den gemeinsamen Technologieeinsatz. Die Teams gehen schon im Vorfeld „mit Ideen schwanger“ und haben im Vorfeld Zugang zu diversen Technologien und Firmen. Das alleine ist schon ein enormer Wert, sowohl für die Teilnehmer des Hackathons als auch die Firmen. Es war deshalb gar nicht schwer, genug Teilnehmer zu finden.
Wie muss man sich ein solches Team vorstellen, von dem Sie da sprechen? Bewirbt sich da eine Firma oder ein Startup mit einer ganzen Mannschaft?
Scholz: Wir haben da keine Regeln gesetzt, sondern uns erst mal ganz auf unsere Moderatoren-Rolle zurückgezogen und alles erlaubt. So haben wir viele Einzelbewerbungen, einige mit Ideen, einige ohne Ideen. Dann auch Bewerbungen von ganzen Teams aus Start-ups und jungen Firmen, aber eben auch von etablierten großen Unternehmen wie z.B. Medizintechnikfirmen, oder Unternehmensberatungen wie KPMG und Ernst & Young. Wir glauben an eine möglichst gute Mischung von Firmen und Einzeltalenten in Teams. Der Funke bei kreativen Ideen springt so am besten über. Wenn man von den gegenseitigen Denkweisen profitiert, hat es sich schon gelohnt.
De Witte: … übrigens auch ein ganz starker Trend, sich als Großfirma mit Inkubatoren zu vernetzen und die klassische Projekt- und Routineaufgabenwelt mit dem agilen Denken von Start-ups zu vermischen. Innovation durch Kooperation! Wir setzen auf Zusammenarbeit und entwickeln mit Kunden und Partnern schnelle Lösungen, testen sie und bringen die besten in den Markt. Wenn das nach klaren Spielregeln und in einem definierten Setting stattfindet, können beide Welten extrem voneinander lernen. Das ist dann Hackathon institutionalisiert in groß.
Das klingt noch etwas abstrakt. Was sind denn Ideen, die bisher bei Ihrem Hackathon vorgebracht wurden?
Elsner: Von Studenten kam z.B. die Idee, dass man die Pflege mit Robotik-Assistenzsystemen unterstützen müsste, damit sich die Pflege stärker auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren kann. Zack – haben wir sie über unsere Plattform mit einem Ernst & Young-Team aus Zürich zusammengeschaltet, die ausgeführt haben, dass man das Thema Robotik sehr ernst nimmt und sofort Programmierer stellt. Dann ein Anruf bei einer der Roboterfirmen in unserem Portfolio: Ja, ein Coach für die Programmierung wird 3 Tage gestellt, inklusive zweier 40 Zentimenter hoher Roboter zum echten Zeigen von Abläufen im Maßstab 1 zu 4. Und sofort haben wir auch interessierte Pflegekräfte aus dem UKSH gehabt: Einer studiert sogar Informatik im Zweitfach. Das ist quasi Change Management im Unternehmen und Entwicklungsabteilung in einem Guss. Das hätte anderswo mindestens 10 Bedenkenträger auf den Plan gerufen, 5 Meetings und 1 Jahr Zeit benötigt …
Scholz: … oder z.B. ein anderes Team: Eine Notfall-Leitstelle hat sich gemeldet und will sich dem Thema „prediktive Notfallmedizin“ widmen: Aus Twitterdaten, Verkehrsdaten und Wetterdaten Notfallwahrscheinlichkeiten vorhersagen oder auch per künstlicher Intelligenz mit der IBM-Bluemix-Technologie aus Social-Media-Daten blitzschnelle Ergänzungen zur Lageeinschätzung geben. Das hört sich jetzt wie Science Fiction an, ist aber in der Tat ein ernsthaftes Feld, das experimentell tatsächlich schon im Ausland bei der Polizeiarbeit erfolgreich eingesetzt wird – also warum nicht die Nutzung in der Notfallmedizin? Sofort hatten wir auch hier wieder 2 begeisterte Programmierer und einen Fachmann für Notfallmedizin im Team dabei.
De Witte: Wir haben unter den Anmeldungen z.B. auch den Weltmeister im autonomen Drohnenflug aus Österreich, der eine Notfallanwendung mit Drohne programmieren möchte. Das war eine schöne Geschichte – seine Mutter hatte ihn als „Überraschung“ angemeldet und er hat sich total gefreut! Auf unserer Messe wird in diesem Kontext auch eine Initiative „Meine Stadt rettet“ ausgerollt, eine App-Anwendung, die unter Leitung des UKSH und der Schirmherrschaft des schleswig-holsteinischen Gesundheitsministers Dr. Heiner Garg qualifizierte Ersthelfer gesteuert durch die Leitstellen gezielt zu Reanimationen bringt. Die Notfalldrohne könnte hier ein Notfall-Netz als schneller „Defikopter“, der einen Defibrillator über dem Standort der Reanimation abwirft, beisteuern, oder bei einem Massenanfall von Verletzten schnelle Hilfe leisten. Wir sind gespannt, was sich das Team ausdenken wird.
Wird es eine Fortsetzung der besten Ideen und der Veranstaltung geben?
Elsner: Wir Ausrichter waren uns sofort einig: Unsere Veranstaltung macht nur Sinn, wenn wir sie nachhaltig machen. Deswegen starten wir nicht nur die Kampagne „Meine Stadt rettet“, bei der quasi jeder selbst Teil einer Bewegung werden kann, sondern auch Sinnbild für breite digitale Innovation ist. Wir wollen außerdem, dass die besten Ideen weiterverfolgt werden: Unsere Jury bewertet daher auch, ob und wie die Preisgelder von 30 000 Euro verwendet werden sollen – vielleicht gelingt uns damit ja der nachhaltige Anschub der besten Ideen. Wir würden es hoffen.
Was muss man tun, um als Besucher und Zuschauer dieses Jahr dabei zu sein?
De Witte: Das ist einfach: Dabei sein kann und soll jeder, der Eintritt ist frei und Fach- oder Breitepublikumsbesucher erwartet ein spannendes Programm am 23. September. Einfach auf der Website des Healthcare-Hackatons Tickets buchen oder an dem Tag direkt vorbeikommen. Oder einfach bei Twitter dem Account @healthhackkiel folgen.
Der Artikel ist aus der kma Ausgabe 09/2017, die am 6. September erscheint.


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