
Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Der hih ist a) ein Trüffelschwein auf der Suche nach digitalen Innovationen, b) Sprachrohr des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), oder c) Vermittler zwischen dem BMG und denen, die die Vorgaben aus dem Hause Spahn umsetzen müssen und nicht immer wissen, wie sie das anstellen sollen.
Debatin: Der hih ist eine Mischung aus allen drei Dingen. Wir sind tatsächlich ein Think Tank und eine Art Resonanzkörper für das BMG. Die Zusammenarbeit zwischen uns und dem BMG ist sehr offen und direkt – ehrlich gesagt ist sie viel prägender, als ich mir das in meinen optimistischsten Vorstellungen ausgemalt habe. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir unabhängig agieren können und ein vorgegebenes Verfallsdatum haben. Zum Thema Trüffelschweine: Wir sehen uns eher als Ideenstaubsauger oder Idea Scouts. Wir schauen uns an, was in anderen Ländern funktioniert und was davon auf unsere Welt übertragbar ist. Drittens sind wir Katalysator, indem wir eine Dialogplattform bieten, nicht nur in Berlin, sondern für alle Beteiligten in ganz Deutschland. Unsere Think-Tank-Funktion war ganz wichtig während der Konzeptionsphase mehrerer Gesetze, die jetzt auf dem Tisch liegen. Ich glaube, der Schwerpunkt unserer Arbeit wird sich verschieben hin zur Katalysator-Funktion. Am Ende werden wir nicht daran gemessen, was im Bundesgesetzblatt steht, sondern daran, was bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt.
Was sind Ihre Erfolgskriterien? Wie viele digitale Anwendungen vor sollen Ende 2021 in der Regelversorgung sein?
Ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen, eine konkrete Zahl zu nennen. Sollte sich zeigen, dass die elektronische Patientenakte (ePA) nur von ein paar Hundert Menschen genutzt wird, dann haben wir kollektiv verloren. Das Gleiche gilt für Apps. Sollte es dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund der Regularien nicht gelingen, Digas schnell für die Regelversorgung zuzulassen – dann war unsere Arbeit umsonst. Davon abgesehen ist es auch ein Erfolg, wie viele Menschen uns bei unseren Veranstaltungen beehren, mit wie viel Motivation und Enthusiasmus sie dabei sind und wie sehr wir akzeptiert werden. Davon bin ich wirklich beeindruckt. Es gibt den hih immerhin erst seit einem Jahr. Ich säße nicht hier, wenn ich das Gefühl hätte, dass die Ergebnisse unserer Arbeit nicht ihren Niederschlag fänden bei denen, die die Gesetze schreiben.
Wir erleben gerade eine Art „Zwangsdigitalisierung“ der Gesellschaft. Eine gute Zeit für Digas?
Die Coronakrise hat sich niemand gewünscht. Unbestritten ist aber, dass die Krise das Thema Digitale Medizin um mehrere Jahre nach vorne katapultiert hat. Telemedizinische Konsultationen sind zur Regel geworden. Motiviert durch Infektionsschutz, überzeugt das Erleben durch Komfort und Effizienz. Die Akzeptanz digitaler Tools bei Bürgern und Leistungserbringern ist deshalb sprunghaft gestiegen. Diese intensive Nutzung digitaler Technologien wird bleiben.
Hat sich durch Ihre Arbeit und den regelmäßigen Kontakt zu jungen Gründern Ihr Blick auf das deutsche Gesundheitssystem geändert?
Ich habe tatsächlich einen anderen Blick auf ganz Deutschland gewonnen. Ich finde es unglaublich schön zu sehen, wie viele junge, talentierte, gut ausgebildete Menschen für ein gemeinsames Ziel brennen, nämlich für eine bessere Medizin mit digitalen Tools. Auf ihren Ideenreichtum können wir stolz sein. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Köpfen die Möglichkeit geben, sich zu verwirklichen. Da stoßen wir in Deutschland noch an viele Grenzen, auch wenn sich diese Grenzen etwas mehr für digitale Medizin geöffnet haben – woran ich auch unserem hih einen gewissen Anteil zuschreibe.
Wie fühlt es sich an, unmittelbar an einem Gesetzgebungsprozess beteiligt zu sein?
Die Entstehung eines Gesetzes ist ein sehr komplexer Prozess. Ich empfinde es als sehr positiv, dass der Gesetzgeber eine große Bereitschaft an den Tag legt, sich Argumenten zu stellen. Wir sind die Transporteure dieser Argumente, sammeln sie ein bei den Akteuren und versuchen, sie auf den Punkt zu bringen. Bei der Frage der Nutzenbewertung zum Beispiel betreten wir absolutes Neuland, da reichen die alten Instrumente wie Verbändeanhörungen nicht mehr aus. Wir suchen deshalb den direkten Dialog mit den Betroffenen. Ich will es mal so sagen: Ich säße nicht hier, wenn ich das Gefühl hätte, dass die Ergebnisse aus diesen Gesprächen nicht ihren Niederschlag finden würden bei denen, die am Ende die Gesetze schreiben.
Führen Sie diesen Dialog auch abseits von Veranstaltungen?
Der Gesundheitsminister hat für sich eine Grundregel definiert: „Ich kann nur das regulieren, was ich verstehe.“ Übersetzt für uns heißt das: Wir können nur über das sprechen, wovon wir uns selbst ein Bild gemacht haben. Wir haben den Anspruch, mit Betroffenen in Interaktion zu treten, wollen uns beispielsweise mit eigenen Augen davon überzeugen, welche Belastung es für eine Pflegekraft sein kann, Stützstrümpfe an- und auszuziehen. Deshalb besuchen wir Institutionen und organisieren Hospitationen, sei dies in Krankenhäusern, in niedergelassenen Arztpraxen oder in Pflegeinrichtungen. Wir haben das Riesenprivileg, dass uns als hih alle Türen offenstehen. Über unser Netzwerk ist es ganz einfach, einen Besichtigungstermin zu organisieren. Würde das über das Ministerium laufen, bekäme das Ganze einen hoch offiziellen Anstrich, der den Blick auf die wahren Begebenheiten möglicherweise überdeckt. Das ist es, was uns auch für das BMG so wertvoll macht: unsere Verankerung in der „real world“.
Sie haben die ePA bereits angesprochen. Ist es zu schaffen, dass sie am 1. Januar 2021 flächendeckend eingeführt ist?
Ich finde es richtig und wichtig, dass das BMG eine Deadline setzt und Verstöße mit Sanktionen bewehrt. Das wird dazu führen, dass sich alle disziplinieren und an diese Deadline halten.
Wenn es denn technisch möglich ist. Für Krankenhäuser gibt es ja noch keine Konnektoren.
Also das kommt ja darauf an, welche Daten ein Krankenhaus überhaupt übertragen muss. In der 1.0-Version wären wir ja schon glücklich, wenn die ePA den Entlassbrief enthält. Sämtliche Vitalparameter von intensiv behandelten Patienten – das verlangt ja keiner. Einen Entlassbrief kann man über einen ganz normalen Praxiskonnektor schicken, das ist vom Volumen her machbar und darstellbar. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Krankenhäuser ganz grundsätzlich ein Problem mit der Digitalisierung haben. Wir sehen den Willen, sich zu verändern – aber dafür sind natürlich auch finanzielle Ressourcen nötig. Die Länder stellen die Investitionskosten nicht in dem Maß zur Verfügung, wie es eigentlich vorgesehen ist. Das könnten wir jetzt lange bejammern und dann würde sich in den nächsten zehn Jahren nichts daran ändern. Ich gehöre zu denen, die sagen, dass der Bund darüber nachdenken muss, einen Digitalpakt für die Krankenhäuser zu schnüren. Aus eigener Kraft werden sie es nicht schaffen.
Welche Themen stehen in diesem Jahr auf der hih-Agenda?
Wir führen kontinuierlich unsere Arbeit weiter. Dazu gehört, dass wir intensiv den Weg digitaler Anwendungen in die Regelversorgung begleiten. Die Umsetzung der ePA hat für uns allerhöchste Priorität. Eine Pleite, wie Deutschland sie mit dem elektronischen Personalausweis erlebt hat, können und wollen wir uns nicht leisten. Wir arbeiten zurzeit intensiv daran, dass das E-Rezept integraler Bestandteil der ePA wird. Wir brauchen außerdem eine Incentivierung für Ärzte, die einen numerisch lesbaren Notfalldatensatz in der ePA anlegen, schließlich ist das mit Aufwand verbunden. Wir werden uns auch mit dem gerade erwähnten Digitalpakt für die Krankenhäuser auseinandersetzen. Das wahrscheinlich dickste Brett, das wir bohren müssen, ist die Frage, wie wir mit Daten für die Wissenschaft umgehen. Im Patientendatenschutzgesetz wurde die sehr wichtige Festlegung getroffen, dass die Menschen, die eine elektronische Patientenakte anlegen, ihre Daten freigeben dürfen. Dürfen! Die Freiwilligkeit ist ein ganz wesentlicher Punkt. Aber wenn auf der einen Seite Daten freigegeben werden dürfen, müssen wir auch darüber reden, ob und wie sie genutzt werden können. In Deutschland haben wir eine sehr enggefasste Definition von Zweckbindung, und diese läuft dem wissenschaftlichem Ansatz zum Umgang mit Daten zuwider. Big Data Analytics bedeutet, dass wir in einigen Projekten gar nicht wissen, wie die Frage genau lautet, oder dass Algorithmen Zusammenhänge herstellen, die wir vorher nicht bedacht haben. Es ist also schwierig, von vornherein den Zweck zu definieren. Wir müssen die Zweckbindung deshalb aufbohren – denn, davon bin ich überzeugt, die Verfügbarkeit von Daten für die Wissenschaft wird Menschenleben retten. Wir müssen einen Weg finden, diesen wissenschaftlichen Nutzen mit unseren gesellschaftlichen Werten, zu denen die Selbstbestimmung über die persönlichen Daten gehört, überein zu bringen.
Sie sprachen vorhin von Grenzen – ist die Datenschutzdiskussion eine davon?
Ich bin ein großer Fan der Werte, die wir in Deutschland und Europa leben. Ich wünsche mir kein marktwirtschaftliches Gesundheitssystem wie in Amerika, wo es ganz einfach möglich ist, Daten zu kaufen und zu verkaufen. Ich halte auch nichts vom chinesischen Modell, bei dem der Staat auf die Daten seiner Bürger zugreift. Wir brauchen einen dritten Weg, einen gemeinsamen europäischen Ansatz, und wir brauchen eine Infrastruktur von Cloudanbietern, die unsere Werte mittragen. Anderenfalls werden wir auf Amazon, Microsoft oder Tencent zurückfallen – und die Kontrolle über unsere Daten komplett verlieren.
Der hih ist auf die Dauer von drei Jahren angelegt. Verlängerung ausgeschlossen?
Für uns als Mannschaft: ja. Der hih ist ganz bewusst als Experiment auf eine begrenzte Zeit festgelegt. Nach drei Jahren würden wir einbüßen, was uns für unseren Auftraggeber so wichtig macht, nämlich unsere Verankerung in der realen Welt. Mag sein, dass uns das fürs BMG manchmal anstrengend und lästig macht, aber letztlich ist das ein Teil unseres Wertes. Wenn man dann befindet, dass das Experiment sich gelohnt hat, kann man es ja mit einem anderen Thema weiterführen.
Was für ein anderes Thema könnte das denn sein?
Ich glaube, das Thema Genomik und Sequenzierung wird ein sehr wichtiges Thema werden. Aber das ist nicht meine Entscheidung. Ich genieße erst einmal, hier und jetzt dabei sein zu dürfen.







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