Das jüdische Museum in Berlin wurde falsch herum realisiert, das Deutsche Fußball Museum in Dortmund wird richtig herum realisiert, erst die Szenografie, dann der Hochbau. So wie die Berliner Probleme hatten, die Ausstellung in den an sich großartigen Räumlichkeiten des Libeskind Baus in Szene zu setzen, so haben die allermeisten Klinikchefs Schwierigkeiten, die Stationsabläufe und logistischen Anforderungen sinnvoll in ihren Neubau zu installieren. Es ist nicht so, dass die Häuser vor einem Umzug ihre Hausaufgaben nicht machten. Doch was fehlt ist die Verlinkung und die Kommunikation zum ausführenden Architekten im Vorfeld seiner Planungen. Denn die Ausschreibung für den Architektur-Wettbewerb orientiert sich nicht daran, wie das Krankenhaus funktionieren sollte, sondern daran, dass es von außen schön anzusehen sei. Und dann stellt sich am Ende doch heraus, dass das optimierte Prozedere der Station nicht funktionieren wird, weil die Zufahrtswege zu lang und die Materiallagerung zu klein veranschlagt wurde. Dafür sind die Wände farbig.
Kommunikation ist das A und O
Markus Funk, kaufmännischer Geschäftsführer der Elblandkliniken Holding, hat genug Erfahrungen mit Sanierungen, Umbauten und Anbauten, um zu wissen, was alles schief gehen kann. Alles nämlich. Aber es kann eben auch vieles richtig laufen. "Ein Neubau birgt so viele Chancen, dass es nur die Möglichkeit gibt, sich mit allem, was man hat, reinzustürzen", so Funk. "Unser Auftrag ist es, aus den vier Standorten Riesa, Radebeul, Meißen und Großenhain langfristig eine stabile kommunale Gesellschaft zu machen, die dem demografischen Wandel in der Region auch in zehn Jahren noch Rechnung trägt."
Und so verändert er mit dem Projekt Neubau des Elblandklinikums Riesa die Reihenfolge der Entstehung. Das ganze Klinikum wird derzeit auf den Prüfstand gestellt, Betriebs- und Organisationskonzept waren Teil der konventionellen Ausschreibung, der Architekt wurde parallel zum Prozess und mit der Beratungsgesellschaft Unity AG gemeinsam ausgesucht. Nun wartet dieser, die Widerspruchsfrist läuft sowieso noch, bis die Vorarbeiten beendet sind und er weiß, welche Abläufe und Wege in seinem Entwurf Berücksichtigung finden müssen. Erst dann beginnt die Entwurfsphase. Eine ungewohnte Situation, auch für den Architekten einer Gesundheitsimmobilie.
Klinikpfad gleicht Montagelinie
Die Idee stammt aus einer anderen Branche. Seit Jahren werden in der Auto- oder auch Flugzeugbau-Industrie Montagehallen aufgrund von Ablaufsimulationen erbaut. "Die Optimierung einer Montagelinie vor dem ersten Spatenstich gilt schon lange nicht mehr als Revolution", erklärt Tomas Pfänder, Vorstandsmitglied der Unity AG, "und auch für Klinikbauten werden die Vorteile, die sich durch unsere Arbeit ergeben, nicht weg zu diskutieren sein." Montagelinie und Klinikbauten in einem Atemzug. Kein gern gesehener Vergleich im Gesundheitswesen. Noch immer wehren sich die medizinischen Protagonisten dagegen, Klinikpfade für Patienten mit Montagelinien zu vergleichen. Doch lässt man die Emotionen mal außen vor, bieten sich hier Möglichkeiten, die auch ein Krankenhaus nutzen sollte. Das jedenfalls findet Funk, der 2009 auf das Unternehmen Unity aufmerksam wurde, als es mit seinem Modell der virtuellen OP-Simulation den Zukunftspreis des Clubs der Gesundheitswirtschaft (cdgw) gewann. Obwohl oder gerade weil die in Büren ansässige Unternehmensberatung eigentlich aus der herstellenden Industrie kommt und erst seit kurzer Zeit die Gesundheitswirtschaft in ihr Portfolio aufgenommen hatte.
Nach einer kurzen Markterkundungsphase kam Funk auf das Unternehmen zurück, um die OP-Prozesse des Elblandklinikums Radebeul zu optimieren. Arbeitsweise und Ergebnis gefielen und münden nun in dem Großprojekt Neubau Riesa.
Da in diesem Jahr noch der Förderantrag gestellt werden muss, laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Trotz aller Expertise und mittlerweile langjähriger OP-Erfahrung eine Herausforderung für alle Beteiligten. "Auch für uns ist es etwas Besonderes, schon in so einem Stadium zu einem Projekt hinzugezogen zu werden", konstatiert Meik Eusterholz, Projektleiter der Unity AG und zuständig für Riesa, "doch es wird sich zeigen, dass genau dieses Vorgehen am erfolgversprechendsten ist ? gerade wenn man einen Neubau plant."
Projektbegleitendes Marketing
Von Beginn an waren die Berater bei den Mitarbeiter-Versammlungen der verschiedenen Berufsgruppen dabei und wurden zu ständigen Begleitern.Denn erst einmal wird das ganze Haus ? Stationsabläufe, OP-Prozesse, Materiallagerung, Logistik, Transportwege ? von Innen nach Außen gekrempelt. Jeder Ist-Prozess wird beleuchtet und bewertet, beschreibt Eusterholz seine Arbeit: "Unsere absolute Priorität liegt auf reibungslosen Abläufen, Mitarbeiter-Orientierung und dem Heben versteckter Effizienzen. Manchmal sind es nur ganz kleine Schrauben, an denen wir drehen müssen, und es wuppt wieder." Berufsgruppenübergreifend begeistert sind die, mit denen man spricht, vor allem vom Miteinander, ohne dass sowieso alles zum Scheitern verurteilt wäre, und worauf von Anfang an besonderen Wert gelegt wurde. "Wichtigster Faktor für den Erfolg eines Projekts sind die Mitarbeiter, die das Ganze erarbeiten und umsetzen müssen. Die technischen Lösungen und Verbesserungen sind meistens kein Hexenwerk", gibt sich Pfänder bescheiden.
Daher beschränkt sich die Arbeit nicht nur auf Bestandsaufnahme und Optimierung der Prozesse, es wird projekt-begleitend auch immer ein Marketingkonzept entwickelt, um intern für größtmögliche Transparenz zu sorgen. Im Intranet kann sich jeder Mitarbeiter über den Stand der Dinge informieren, eigene Vorschläge miteinbringen und konstruktive Kritik äußern. Ein Tool, was von Anfang an außerordentlich rege gepflegt wurde.
"Ich selbst bin immer wieder erstaunt über den Eifer der Mitarbeiter, sich in das Projekt miteinzubringen", freut sich Funk. "Ich kann wohl sagen, dass die medizinische Führungsriege ungefähr drei Phasen durchmachte: Hochspannung, Schrecken, ob der Kontrollierbarkeit, und jetzt überwiegt ? Gott sei dank ? die Motivation, das Potenzial zu nutzen."
Der Clou ist das virtuelle Klinikmodell
"Es geht ja auch nicht darum, alles neu machen zu müssen. Doch es kommt erst einmal alles auf den Prüfstand unter der Fragestellung, ob die heutige Struktur auch den Anforderungen des Jahres 2018 gerecht werden wird", unterstreicht Funk die Bedeutung der Planung. Eine Fragestellung, auf die mit einem virtuellen Klinikmodell geantwortet wird. Gespeist mit Zahlen aus dem Klinikalltag, aus demografisch erhobenen Hochrechnungen und aus dem strategischen Geomarketing, aus Einkaufs- und OP-Statistiken, unter Berücksichtigung von logistischen Abläufen und Besucherwegen entsteht eine Art Videospiel, in dem man je nach Klick die Ansicht verändern kann. "Man kann sich das Ganze vorstellen wie bei einem Flugsimulatortraining", erklärt Pfänder, von seinem eigenen "Spielzeug" begeistert. "Dabei simuliert der Pilot einen Flug vom Start bis zur Landung und lernt so, auf Veränderungen und unerwartete Ereignisse zu reagieren." Es mutet denn auch ein bisschen wie bei Super Mario an, wenn im Modell die Betten ihren Weg durch das Krankenhaus starten oder verschiedene Situationen schlicht durchsimuliert werden, so dass sich jede Berufsgruppe wiederfindet. "Momentan beschäftigen wir uns mit so scheinbar simplen Dingen wie der Fahrstuhl-Verteilung und den tatsächlichen Bettenwegen im Krankenhaus", gibt Eusterholz Einblick. "Ein Thema, das völlig zu unrecht meistens hemdsärmelig geschätzt wird, obwohl es für die Effizienz der Abläufe zentrale Bedeutung hat." Womit man direkt konfrontiert wird, wenn sich auf dem Bildschirm die Betten oder Besucher vor dem Fahrstuhl stapeln.
Vorbereitung aufs Neue
Noch einen anderen Vorteil bietet die 3D-Visualisierung ? es kann sich entsprechend vorbereitet werden. Die Mitarbeiter werden nicht im Neubau herumirren, sondern von Anfang an wissen, was wo zu tun ist, denn die Umsetzung der Ergebnisse findet, laut Eusterholz, schon heute statt. "Haben wir den Soll-Prozess erarbeitet, beginnen die Stationen, Funktionsabteilungen und die Verwaltung heute schon mit der Umstellung. Natürlich birgt der Neubau noch einmal ganz andere Möglichkeiten, aber Verbesserungen können jederzeit antrainiert werden."
Der Ritterschlag wäre die virtuelle Inbetriebnahme des Klinikums kurz vor der geplanten Fertigstellung 2015. Auch das gehört in verschiedenen Industriebranchen schon zum Gesamtkonzept, damit die Mitarbeiter tatsächlich ihre Wege im Vorfeld ablaufen können, um möglichst reibungslos ihre neue Arbeitsstatt mit Leben füllen zu können.


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