Nigel Millar ist seit fast zehn Jahren medizinischer Leiter des regionalen Gesundheitsamts von Canterbury. Zur Region Canterbury gehört auch Christchurch, Neuseelands zweitgrößte Stadt. 2010 und 2011 wurde sie von zwei verheerenden Erdbeben getroffen. "Das Erdbeben hat für ein Umdenken der Fachkräfte im Gesundheitswesen gesorgt", sagt Millar Die Reformen für eine Gesundheits-IT waren bis zum Erdbeben in Christchurch 2011 bereits gut vorangeschritten aber nach dem Beben hat Canterbury relativ zügig eine patientenzentrierte elektronische Gesundheitsakte eingeführt.
Die Akte wird durch eine gemeinsame Governance-Gruppe aus dem Gesundheitssektor verwaltet, die Leistungserbringer haben Zugriff, und können – je nach Berechtigungsstatus – Informationen hoch- oder herunterladen. Die Daten liegen in einer privaten Datenwolke (Private Cloud), mit einem sehr sichere Zugangssystem, beteuert er. Eine elektronische Gesundheitskarte benötigt Neuseeland für seine Akte nicht, es reicht der vor 30 Jahren eingeführte Patientencode. Der Patient selbst kann derzeit jedoch nicht auf die Akte zugreifen. Er hat lediglich die Möglichkeit, per opt-out, die Nutzung der Akte durch die Leistungserbringer zu untersagen. Bisher hätten das jedoch weit weniger als ein Prozent gemacht, so Millar.
Ein Prozent des Jahresbudgets für die Akte
Canterbury ist die zweitgrößte Region Neuseelands, hat 565.000 Einwohner und ein Gesundheitsbudget von rund 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Entwicklung der Akte hat 1,5 Million Dollar gekostet – also rund ein Prozent des Jahresbudgets. Als größter Empfänger öffentlicher Mittel ist das Gesundheitsamt Canterbury für die Gesundheit der regionalen Bevölkerung verantwortlich. Das Amt ist auch Eigentümer aller Krankenhäuser der Region. Das Krankenhaus von Christchurch ist das einzige Haus auf der Südinsel mit einer Akutversorgung und befindet sich an einem geographisch isolierten Ort. Dies bedeutet, dass die Selbstversorgung gewährleistet sein muss, da keine Möglichkeit besteht, Patienten ohne einen Flugzeugtransport auf andere Orte zu verteilen. Vor zehn Jahren führte diese Isolation zu regelmäßigen Perioden der Überlastung: Bettenmangel im Winter, Verzögerungen bei der Behandlung von Patienten, Abzug von medizinischem Personal.
Kurze Wartezeiten, weniger Doppeluntersuchungen
Seit Einführung der Patientenakte vor sechs Monaten sind die Klinikeinweisungen gesungen, sagt Millar im Gespräch mit der kma. Außerdem vermeide das koordinierte Arbeiten mit der Akte Doppeluntersuchungen, verkürze Wartezeiten und fördere generell den Austausch zwischen den Berufsgruppen. Auch die Zahl der Wiedereinweisungen habe sich reduziert. Inwieweit diese Zahlen etwas mit der Akte zu tun haben, ist jedoch nicht geklärt.
Das Projekt steht für Millar jedoch noch am Anfang, und auch er hat mit Widerständen zu kämpfen. Hilfreich ist, dass der neuseeländische Staat sowohl Kostenträger als auch Besitzer der meisten Krankenhäuser ist. Aber im Grunde, so Millar, habe seine Institution es mit den selben Ängsten der niedergelassenen Ärzte zu tun wie seine deutschen Kollegen: "Die Ärzte haben Angst vor Transparenz – schließlich können über die Akte viele lesen, was sie machen. Außerdem befürchten sie, Patienten zu verlieren oder den Profit mit anderen Gruppen teilen zu müssen." Der Widerstand der Ärzte ist ein Grund dafür, dass der Patient derzeit keinen Zugriff auf die Akte hat. Das soll aber nicht so bleiben, erklärt Millar. Dennoch, die Einführung gilt in seinem Land als Erfolg. Shared Care Rekord Review - heißt die Akte – ist mittlerweile ein Modellprojekt, von dem andere Regionen lernen sollen. Und wenn es nach Millar geht, nicht nur die Kollegen aus Neuseeland: Der gebürtige Brite, der sich in seinem Berufsleben vor allem der Geriatrie widmet, ist derzeit auf Europatour, weil er die Akte des neuseeländischen Hersteller Orion Health weltweit publik machen will. Auch in den Nachbarmärkten China, Singapur oder Hongkong rührt er die Werbetrommel.
Infos zu Neuseland:
Neuseeland hat nach Dänemark die höchste Gebrauchsrate von elektronischen Patientenakten. Laut OECD betrugen die Gesundheitskosten pro Kopf in Neuseeland 2.983 Dollar und sind damit niedriger als in vielen anderen Industriestaaten. Deutschland gibt 4.218 Dollar aus, Frankreich 3.978, Großbritannien 3.487 und die USA 7.960 Dollar pro Jahr.


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