Beim Blick auf den Umgang mit der Verwendung von IT in den deutschen Krankenhäusern kann sich der Eindruck aufdrängen, dass die Paragrafen 3 und 6 des „Kölschen Grundgesetzes” wesentliche Richtschnur des Handelns sind. Paragraf 3: „Et hätt noch immer jot jejange” („Es ist noch immer gut gegangen”) und Paragraf 6: „Kenne mer nit, bruche mer net, fott domet” („Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit”). Anlass für diese Vermutung gibt etwa die Tatsache, dass nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2013 der weltweite Umsatzanteil der IT-Budgets in der Branche „Healthcare Providers” durchschnittlich bei 4,2 Prozent lag. Die Aushängeschilder der deutschen Spitzenmedizin, die Universitätskliniken, kommen dagegen mit Mühe über 1,5 Prozent. Beim Vergleich der IT-Intensitäten verschiedener Branchen in Deutschland mit den entsprechenden weltweiten Durchschnittswerten zeigt sich darüber hinaus, dass der dramatische Unterschied zwischen Deutschland und dem Rest der Welt im Wesentlichen auf die Gesundheitsbranche beschränkt ist.
Klinik-IT stiftet oft zu wenig Nutzen
Der IT-Markt für Krankenhäuser in Deutschland ist im Vergleich zu anderen Branchen relativ klein und somit nicht ideal, um die Anwendersehnsucht nach integrierten und bezahlbaren Lösungen zu befriedigen. Eine Ursache dafür mag sicher auch die IT-Historie der Gesundheitsbranche sein. Sie ist vergleichsweise jung und hat sich für Unternehmen eher selten als Markt erwiesen, bei dem neue und noch unerprobte IT-Methoden sich schnell flächendeckend durchsetzen. Diese Marktlage führt auch dazu, dass die Produkte oft nicht das halten, was sie versprechen. Beispiele, bei denen eine papierbasierte Anordnungskommunikation (ein Notizzettel von Arzt an Schwester) durch einen elektronischen Prozess abgelöst worden sind, woraufhin die Medikation einer Station statt bisher fünf bis zehn Minuten dann mindestens eine Stunde dauert, sind nicht dazu angetan, die Begeisterung für eine intensivere Nutzung von IT-Lösungen beim Krankenhauspersonal zu schüren, aller positiven Nebeneffekte der digitalen Lösung zum Trotz.
Dem Klinikmarkt fehlt die Größe
In Deutschland gab es 2014 laut Statistischem Bundesamt nur 265 Krankenhäuser mit mehr als 500 Betten und nur 93 Krankenhäuser erreichten eine Größe von 800 oder mehr Betten. Der Markt ist also eher kleinteilig und große IT-Mittel der Krankenhäuser, die nachhaltige Herstellerinvestitionen in adäquate IT-Lösungen rechtfertigen würden, fehlen. In den USA beispielsweise herrschen andere Voraussetzungen: Kaiser Permanente, ein Verbund aus Versicherer und Krankenhausbetreiber mit Sitz in Oakland, der knapp 10 Millionen Endkunden hat, setzt pro Jahr ca. 56 Milliarden US-Dollar um, von denen nach eigenen Angaben gut 5 Prozent in die IT mit gut 6.000 Mitarbeitern fließen. Damit ist der IT-Betrieb dieses einen Gesundheitsdienstleisters in den USA nach Mitarbeiterzahl mehr als doppelt so groß und nach IT-Gesamtausgaben mindestens sechsmal so groß wie der sämtlicher deutscher Universitätskliniken zusammengenommen.
Achtung: Gefährlicher Dornröschenschlaf!
Das oben angedeutete Henne-Ei-Problem stellt sich stark vereinfacht wie folgt dar: Weil der IT-Markt keine als adäquat empfundenen Lösungen hergibt, wird nichts in die IT investiert. Weil nichts in die IT investiert wird, entwickelt der Markt keine adäquaten Lösungen. Wenn Deutschland auf Dauer in der klinischen Forschung und Krankenversorgung nicht in die zweite Reihe der Industrienationen zurückfallen soll, kann das bisherige Vorgehen nicht länger perpetuiert werden. Im Folgenden finden sich einige Beispiele für die Risiken, die ein IT-bezogener Dornröschenschlaf der deutschen Gesundheitswirtschaft auslösen würde:
· Internationale Forschungsaktivitäten werden zunehmend vernetzter. Für viele Krankheiten lassen sich ohne eine krankenhaus- oder sogar länderübergreifende Kombination von Fällen nicht genügend Studienpatienten finden, um aussagekräftige Studien aufzusetzen. Diese internationale Datenintegration ist ohne massiven IT-Einsatz nicht vorstellbar.
· Der allseits beklagte Personalmangel wird zumindest in den nächsten Jahrzehnten durch Aussitzen nicht verschwinden. Ergonomische integrierte und mobile Lösungen, die das Krankenhauspersonal tatsächlich entlasten, könnten einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Verdichtung der Arbeitsinhalte für das Krankenhauspersonal dauerhaft handhabbar zu machen.
· Momentan ist die Bedrohung von Krankenhäusern durch Ransomware wie etwa Teslacrypt in aller Munde, obwohl die dadurch ausgelösten Folgen verglichen mit anderen Bedrohungsszenarien noch harmlos sind. Die im neuen IT-Sicherheitsgesetz kodifizierten Vorgaben zur Sicherstellung der IT-seitigen Verfügbarkeit kritischer Infrastrukturen sind keine Selbstläufer und ohne zusätzliche Investitionen branchenweit nicht zu stemmen.
· Die klassischen Welten der IT und der Medizintechnik verschwimmen an ihren Randbereichen immer mehr. Hierdurch gerät die IT in neue Bereiche der Gesetzgebung, wie etwa das Medizinproduktegesetz, dessen erhöhte Dokumentationsanforderungen ohne zusätzliche Mittel nicht erfüllbar sind. Gleichzeitig müssen IT und Medizintechnik zusammenarbeiten, um die Auswirkungen aus dem IT-Bereich kommender Bedrohungen auf die Medizintechnik, etwa im Bereich der Cyberkriminalität, abzuwehren, auf die die Medizintechnik in der Regel noch schlechter vorbereitet ist als die klassische IT.
Fazit: „Et bliev nix, wie et wor!”
Eine unkritische Investition von Mitteln in die IT ist nicht sinnvoll, sondern verschleudert nur ohnehin knappe Ressourcen. Es gibt aber wie ausgeführt genügend dringende Handlungsfelder, in die investiert werden muss, um mittelfristig gravierenden Problemen für die deutsche Krankenversorgung sowie Wettbewerbsnachteile der deutschen Forschungsaktivitäten im Gesundheitsbereich entgegenzutreten. Hier müssen alle Handlungsträger im Gesundheitswesen zusammenwirken, um die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen; oder um das „Kölsche Grundgesetz” mit Paragraf 5 wieder aufzunehmen: „Et bliev nix, wie et wor!” („Nichts bleibt, wie es war”).
Foto: MHH
Dirk May leitet seit 2006 die IT-Abteilung der Medizinischen Hochschule Hannover und ist außerdem einer der Sprecher des neu formierten Verbands der Uniklinik-IT-Leiter (CIO-UK).
Neues Sprachrohr der Uniklinik-IT-Chefs
Ende 1998 haben die IT-Leiter der Unikliniken den Arbeitskreis der Leiter der Klinik-Rechenzentren (ALKRZ) aus der Taufe gehoben. War damals noch der technische Betrieb im Fokus, hat sich mittlerweile das Selbstverständnis der Mitglieder geändert. Die Leiter agieren jetzt als CIOs, deren Kerngeschäft das Informationsmanagement ihrer Einrichtungen ist. Folgerichtig hat sich der Verband im November 2015 in „CIO-UK” (CIO der Universitätskliniken) umbenannt.


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