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ArzneimitteltherapiesicherheitDie Kraft der IT

Was die technische Unterstützung von Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) betrifft, stehen deutsche Kliniken im europäischen Vergleich schlecht da. Dabei mangelt es in erster Linie nicht an der Software, sondern an deren Vernetzung.

Die Arzneimitteltherapiesicherheit, kurz AMTS, steht für Hoffnung und Dilemma gleichzeitig. Die Hoffnung, den eigenen Anteil an den bis zu 1,3 Milliarden Euro einzusparen, die Neben- und Wechselwirkungen deutsche Kliniken jährlich kosten, weil die hierdurch entstehenden zusätzlichen Ausgaben von den DRG nicht gedeckt sind. Und das Dilemma, hierfür die bestehenden Abläufe und Systeme anfassen zu müssen, was zwei der knappsten Ressourcen kostet: Zeit und Geld. Dabei muss für eine wirkungsvolle Schadensbegrenzung gar nicht die AMTS-Vollversion an den Start gehen, wie die Praxis zeigt.

Mit Sicherheit Medikationsfehler vermeiden

Ein wichtiger Indikator für die Güte von AMTS in Deutschland findet sich in der Emram-Erhebung von Himss Analytics Europe. Die Non-Profit-Organisation vergleicht regelmäßig die Situation elektronisch gestützter Medikationsverordnung in 13 europäischen Ländern, darunter Spanien, Italien, Portugal, Deutschland und Polen. Bei der jüngsten Erhebung vom 8. August 2012 landete Deutschland auf dem vorletzten Platz des Quintetts (siehe Kasten). Dass deutsche Häuser scheitern, liegt an AMTS. Sie ist im Emram ein wichtiger Aspekt, und deutsche Häuser bieten hier umfangreich Lücken. Italien und vor allem Spanien haben uns locker abgehängt. Dabei mangelt es in deutschen Kliniken keinesfalls an IT. Systeme für Patientenadministration, Ressourcenverwaltung oder Datawarehousing sind vielfach im Einsatz. Im krassen Widerspruch hierzu steht der klinische Bereich. "In Spanien haben 99 Prozent der Kliniken eine interne Apotheke und 96 Prozent ein Apotheken-Informationssystem. In Deutschland haben 87 Prozent eine interne Apotheke, aber 57 Prozent kein Apotheken-Informationssystem", bemerkt Himss-Geschäftsführer Uwe Buddrus. Dass dieses Element für grundlegende AMTS-Prozesse wie Validierung von Wechselwirkungen und Plausibilitätsprüfungen fehlt, mindert das deutsche Standing massiv.

AMTS-Software ist oft schlecht oder gar nicht vernetzt
Ginge es lediglich um das Vorhandensein von Software, wären in manchen deutschen Kliniken sogar höhere Stufen möglich. "Der Algorithmus fordert allerdings, dass immer erst die unteren Stufen erfüllt sein müssen, weil sonst die in höheren Stufen geführten IT-Systeme ihren Nutzen nicht entfalten", erläutert Buddrus. Als Beispiel nennt er eine Uniklinik, die zwar ein Verschreibungssystem eingeführt hat. "Genutzt wird es jedoch von niemandem", berichtet er, denn es ist nicht in das KIS integriert. Solche halbgaren Situationen sind es, die Punkte kosten. Ein Leuchtturm für AMTS bei der Patientenaufnahme ist das St. Franziskus-Hospital in Münster. "Bei uns wird jeder selektive Patient, der stationär aufgenommen wird, von einem Apotheker befragt, der sämtliche Medikation erfasst, Anwendungsprobleme, Nebenwirkungen und Allergien abfragt, die Gesamtmedikation überprüft und alles in die Patientenakte einträgt", erklärt Martin Smollich, Leiter des Ressorts Klinische Pharmazie. Um den Wechselwirkungscheck überall durchführen zu können, schaffte St. Frankziskus zusätzliche Lizenzen für das Apotheken-System an, sodass dieses heute klinikweit zur Verfügung steht und dem Personal rund 80 Prozent seiner zeitintensiven Recherche in der Roten Liste spart.

MHH zentralisiert Arzneimittelwissen

Einen anderen Weg geht die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Ihr Zentrum für Arzneimittelsicherheit (ZAS) bündelt das Wissen mehrerer Institute, der Zentralapotheke und weiterer Einrichtungen. Fragen von Ärzten der MHH und deren Lehrkrankenhäuser werden schnell von dem ZAS-Experten beantwortet, der sich am besten mit der Problematik auskennt. Dazu stellt das ZAS Medizinern und Pflegekräften die Informationsdatenbank AID-Klinik zur Verfügung. "Hier können sie selbstständig Informationen über Medikamente wie Wechselwirkungen, Darreichungsformen oder Dosierung abrufen", erläutert Dirk Stichtenoth, Professor für Klinische Pharmakologie. Allein im Juli 2012 registrierte das System 27.500 Anfragen — Tendenz konstant steigend. Im Vorfeld hat die MHH ein Risikomanagement eingeführt, in dem Fehler und Fast-Fehler gemeldet werden. Dazu folgt die Hochschule den Ratschlägen des Aktionsbündnisses für Patientensicherheit und verwendet zum Beispiel bunte Warnetiketten in der Anästhesie. "Bei AMTS sollte man mehrstufig vorgehen", sagt Oliver Schwalbe, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapiesicherheit im Aktionsbündnis für Patientensicherheit. Als erstes kommt das Vier-Augen Prinzip beim Stellen der Medikation, dann folgt die patientenindividuelle Kontrolle der Medikation. Als dritter Punkt ist ein KIS nötig, in dem die Verordnung gespeichert wird. "Als erstes sollten Kliniken immer die Arzneimittel im System strukturiert erfassen und den Patienten zuordnen können", ergänzt Stefan Schwenzer, Leiter der Arbeitsgruppe AMTS des IT-Verbands BVITG und angestellt bei Softwarehersteller ID. "Ist die Medikation des Patienten im System erfasst, lassen sich weitere Services hierauf aufsetzen und die Effizienz steigern, zum Beispiel durch Medikationsumstellung auf in der Klinik vorhandene Präparate, Absicherung gegen Wechselwirkungen, Erstellung eines Patientenplans und eines elektronischen Arztbriefes, aber auch Kontraindikation zu Laborergebnissen und individuellen Patientenparametern", erklärt AMTS-Experte Schwenzer.

Zeitersparnis erhöht Akzeptanz

Wichtig ist auch, zwischen der AMTS-Prüfung und der Erfassung der Orderdaten zu unterscheiden. Beide Systeme müssen gut zusammenarbeiten und eine Schnittstelle zum KIS anbieten. Die Uniklinik Aachen hat ihre ID-Software in das KIS medico eingebettet. Parallel dazu läuft ID Pharma im Haus, um Warnhinweise zu erhalten. Aber: Die Systeme sind noch nicht für jeden Mitarbeiter produktiv im Alltag nutzbar.

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