Agfa Healthcare sitzt in einem Gebäude ganz aus Glas in Ramersdorf am Stadtrand von Bonn. Wer auf den Haupteingang zugeht, sieht durch die Empfangshalle den dahinter liegenden Innenhof. Die Mitarbeiterin an der Rezeption und auch viele Kollegen in den Büroräumen haben oft den ganzen Tag die Sonne im Blick. Das könnte die optimistische Grundstimmung von Agfa Healthcare erklären. Winfried Post, Michael Strüter und Dieter Nels betrachten den deutschen Health-IT-Markt zwar ebenso skeptisch wie die Geschäftsführer ihrer Wettbewerber: Die Krankenhäuser seien klamm und es gebe keine öffentlichen Investitionspakete wie etwa in den USA, so der Tenor. Aber Agfa Healthcare DACH – oder genauer das deutsche, österreichische und Schweizer Klinik-IT- sowie Imaging-Geschäft des Unternehmens, das als „DACH” bezeichnet wird – ist mit einem Umsatz von nahezu 200 Millionen Euro Marktführer. „Da können wir vieles über die Menge kompensieren”, sagt Winfried Post, General Manager und Geschäftsführer von Agfa Healthcare DACH. Das zeigt sich deutlich an den Zahlen: 2013 hat dieser Geschäftsbereich von Agfa Healthcare weltweit ein operatives Ergebnis in Höhe von 77,3 Millionen Euro (Umsatz: 1,13 Milliarden Euro) erzielt. Und: Während der Agfa-Gevaert-Gesamtkonzern im belgischen Mortsel im 2. Quartal dieses Jahres einen Umsatzrückgang von 11 Prozent hinnehmen musste, steigen die Erlöse in der DACH-Region nach wie vor kontinuierlich.
Marktführerschaft und Größe verführen Agfa Healthcare aber nicht zur Aldi-Strategie. Ganz im Gegenteil: Sie beobachten in der Branche ein Preis-Dumping, dem sie sich ausdrücklich entziehen. „An einigen Ausschreibungen wie in Rüsselsheim, Singen oder Minden haben wir uns gar nicht erst beteiligt, weil wir ‚Schlammschlachten‘ fürchteten. Wir versuchen, durch Wahrhaftigkeit zu überzeugen, das heißt, wenn wir etwas zusagen, dann soll es auch rechtzeitig geliefert werden. Außerdem haben wir eine ganze Reihe von Geschäftsstellen, die die regionalen Besonderheiten berücksichtigen – in Bayern brauchen Sie andere Mitarbeiter als in Mecklenburg, und der Account Manager, den wir gerade für Wien suchen, muss in jedem Fall österreichischen Dialekt sprechen. Wir haben eine enge Beziehung zu unseren Kunden, und dafür erwarten wir einen fairen Preis”, sagt Michael Strüter, Geschäftsführer und Vertriebsleiter Agfa Healthcare DACH. Ein Indiz für die Kundennähe ist sicherlich die Orbis-Anwendergruppe, die die von Agfa 2005 übernommene GWI bereits vor 15 Jahren angeregt hat: Sie zählt heute 300 Mitgliedskrankenhäuser und ermöglicht ihnen – so der Sprecher der Anwendergruppe Peter Lampmann aus dem Gemeinschaftsklinikum Koblenz-Mayen St. Elisabeth Mayen –, Wünsche zur Sprache zu bringen und gemeinsam mit anderen Anwendern zu bündeln.
Es gibt aber auch kritische Stimmen. Ein zentraler Einwand lautet: Das Unternehmen strebe mit dem klinischen Prozessmanagementsystem Orbis ein Monolithen-Dasein an. „Das stimmt nicht: Wir haben keinen monolithischen, sondern einen holistischen, ganzheitlichen Ansatz, der auch im Sinne der Krankenhäuser ist”, sagt Post. „So wenige Schnittstellen wie möglich – das ist ein Trend. Man hat verstanden, dass es Mumpitz ist, diverse Systeme miteinander zu konnektieren. Best of Breed – also der Ansatz, für jeden einzelnen Anwendungsbereich das beste System zu wählen – das war einmal. Mit einem Herzstück und lauter Satelliten drumherum zu arbeiten, ist viel zu komplex und teuer – Schnittstellen sind nicht kostenfrei, da können auch die diversen HL7- und IHE-Initiativen nicht drüber hinwegtäuschen.”
Kontrastmittel – ein neues Geschäftsfeld
Agfa Healthcare bietet sein Krankenhausinformationssystem Orbis zusammen mit dem PACS-System Impax, mit dem Dokumentenmanagementsystem HydMedia und den Agfa Managed Services (AMS) an. Hinzu kommen Spezialsysteme etwa für die Kardiologie, die Pflegedokumentation und die Intensivmedizin. „Für all das haben wir eine durchgehend standardisierte und einheitliche Benutzeroberfläche über alle Bereiche hinweg. Und was die Spezialsysteme anbelangt: Da haben wir vielleicht zehn, aber nicht 30 Jahre Entwicklungsarbeit hinter uns, wie sehr spezialisierte Anbieter. Aber wenn wir 95 Prozent der Funktionalität der Wettbewerbssysteme bieten, hat das schon eine enorme Wirkung. Denn die fünf Prozent, die uns dann vielleicht noch an Funktionalität fehlen, überkompensieren wir bei Weitem mit der perfekten Integration in Orbis”, erzählt Post. Nur extrem spezialisierte Bereiche wie Labormedizin, Pathologie, Geburtshilfe und die Personalabrechnung bleiben bei Agfa Healthcare außen vor – hier bestehen Kooperationen mit Spezialanbietern.
Geschäftsführer Dieter Nels, verantwortlich für den Service in DACH, bezeichnet Agfa Health Care als „größten Systemintegrator in Deutschland”. Da ist es naheliegend, dass die drei Chefs den Krankenhäusern künftig auch eine systematische Datenauswertung ermöglichen. Daneben stehen augenblicklich ganz handfeste Geschäftsfelderweiterungen an: In diesen Tagen wird Agfa Healthcare ein generisches Kontrastmittel auf den Markt bringen. „Am Konzernsitz in Belgien gab es die Idee, ein weiteres Verbrauchsmittel ins Portfolio aufzunehmen, um die schrumpfenden Filmumsätze zu kompensieren. Die Idee ist vielversprechend, wir haben sicherlich gute Chancen, aber der Generikamarkt bei Kontrastmitteln hat ein Marktvolumen von höchstens 15 Prozent vom Gesamtmarkt, der Rest wird durch Marken wie Bayer, Schering und GE besetzt. Aber es lässt sich durchaus eine hohe Marge erzielen”, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung Winfried Post.
„Die Konsolidierung gefällt uns total”
Die drei Geschäftsführer scheinen in jeder Hinsicht optimistisch. Bleibt die Frage, ob ihnen die aktuelle Übernahmewelle in der Krankenhaus-IT nicht Furcht einflößt. „Nein, überhaupt nicht. Die Konsolidierung gefällt uns total”, sagt Vertriebschef Strüter. „In letzter Zeit haben wir viele Fremdsysteme ablösen dürfen. Die Kunden kommen zu uns, weil sie sich Stabilität wünschen. Wir sehen uns bestätigt in unserer Strategie, nur auf ein einziges KIS-System zu setzen. Alles andere ist nicht wirtschaftlich und nützt auch dem Kunden nichts, denn er leidet ja am Ende darunter, wenn ihm ein System abgekündigt wird.”
Selbst nach Übernahme-Kandidaten Ausschau zu halten, können sich die drei Geschäftsführer dagegen vorstellen. Post: „Es wäre interessant, unser KIS auch in England und den USA anzubieten, was sich am besten mithilfe einer akquirierten Firma als eine Art Brückenkopf umsetzen lässt.” Immerhin: Mit ihrem KIS Orbis bewegen sie sich schon seit zwei, drei Jahren über den deutschsprachigen Raum hinaus: „Wir sind sehr stark in Frankreich und Belgien vertreten, steigen gerade in den Markt in Großbritannien ein und haben neulich das Healthcare-IT-Unternehmen WPD in Brasilien gekauft, mit dem wir Orbis in ersten Pilothäusern ausrollen”, sagt Nels. Das Akquirieren hat Tradition im lichtdurchfluteten Haus am Konrad Zuse-Platz: GWI – Orbis-Erfinder und Keimzelle der DACH-Region – übernahm bis 2005 unter anderem Gicom, Softwork, Boss, Europmedica, Prompt sowie Tiani Medgraph und wurde so interessant für den belgischen Agfa-Konzern. Seit der Übernahme hat Agfa Healthcare HydMedia, Curagita, Imaging Agents und PlanOrg Medica gekauft – ein Pessimist, wer glaubt, es müsste dabei bleiben.


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