Der Medizinproduktemarkt hat unzählige „Mitspieler”. Entwickler, Hersteller, Fachhandel, Importeure und Exporteure, Verbände, Prüflaboratorien, benannte Stellen, Akkreditierungsstellen, Aufsichtsbehörden, Ministerien, Normungs- und Metrologieinstitute, Dienstleister, Betreiber und Anwender in Krankenhäusern und Arztpraxen sowie letztendlich die Patienten bilden ein vielfältig vernetztes System mit einer zudem relativ schnellen Veränderungsrate. In diesem schwer zu überschauenden Gefüge gilt es die Anwendungssicherheit in sich schon komplexer Medizinprodukte zu gewährleisten. Wird die neue EU-Richtlinie diesem Anspruch gerecht - mehr als die bisherigen Regelungen?
Eine besondere Herausforderng stellt dabei die Unübersichtlichkeit und Dynamik des vernetzten Systems Gesundheitswesen dar. Beim Drehen eines einzelnen Stellgliedes reagiert der Markt oft auf eine unvorhergesehene Art und Weise. Findige Manager stoßen in den Gesetzen und Regelungen immer wieder auf geeignete Schlupflöcher.
Vom Medizinproduktegesetz zur neuen EU-Verordnung
Bei der Aufarbeitung der letzten Vorfälle wurden vom Regulierer gravierende Defizite in den bisherigen Richtlinien identifiziert. Rechtsunsicherheit entstand durch unpräzise Formulierungen, diverse Regelungslücken und Unsicherheiten in der Interpretation des Geltungsbereiches. Bei Grenzfällen im Bereich der Biozide, Lebensmittel oder Kosmetika wandten EU-Mitglieder unterschiedliche Vorschriften auf dieselben Produkte an. Die Kommunikation der zuständigen Behörden in der EU litt an diversen Mängeln in der Marktüberwachung und beim Beobachtungs- und Meldeverfahren. Einheitliche und präzise Daten stehen hier in Europa nicht zur Verfügung. Eine grenzüberschreitende Rückverfolgung von Medizinprodukten war bislang nicht möglich. Behörden und Hersteller beschwerten sich über signifikante Unterschiede bei der Benennung und Überwachung benannter Stellen. Dies führte aufgrund der unterschiedlichen Qualität und Intensität der Konformitätsbewertungen zu Sicherheitsproblemen und Wettbewerbsverzerrungen. Die Verantwortlichen in den Regulierungsstellen und Wirtschaftskreisen beklagten sich über die mangelnde Nutzung externer Sachkunde in den Regelungsprozessen. Es fehlt eine strukturierte Einbindung von beratenden Wissenschaftlern und klinischen Experten, um mit den neuesten technologischen Entwicklungen Schritt halten zu können.
Vom technischen zum menschlichen Versagen
Komplexe technische Systeme im Krankenhaus besitzen durch die Computerisierung meistens Teile und Einheiten,
- die nicht linear miteinander verknüpft sind (durch Gerätekombinationen);
- die zahlreiche Mehrfachfunktions-Verknüpfungen zwischen Komponenten aufweisen (durch Steuerungs- und Regelprozesse);
- die neuartige oder unbeabsichtigte Rückkopplungsschleifen enthalten;
- die indirekte oder abgeleitete Informationen liefern;
- die zu einem unvollkommenen Verständnis bestimmter Prozesse führen, da die Anwender von komplexen Systemen (Kontrastmittelpumpen, Lasertechnologie, bildgebende Verfahren) oft nur auf einem Gebiet spezialisiert sind (Mediziner oder Techniker).
In der Regel steht nicht genug Zeit für eine qualifizierte Einweisung zur Verfügung. Gebrauchsanweisungen sind zu oft nicht nutzergerecht verfasst. Die Ergonomie des einzelnen Gerätes sowie die Einheitlichkeit der Bedienungselemente beim Zusammenführen zu Gerätesystemen ist vielfach nicht ausreichend an das tatsächliche Anwenderprofil oder an die möglicherweise inadäquaten Arbeitsbedingungen angepasst. Der Fortschritt bei neuen Technologien schafft neue Herausforderungen, etwa in der Nanowissenschaft, der Genetik, der Informations- und Kommunikationstechnik, der Gewebezüchtung, der Kombination von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie in der Prothetik.
Im Verordnungsentwurf spielt der Innovationsdruck eine wichtige Rolle. Dazu wird der Geltungsbereich auf Produkte mit menschlichen Zellen oder lebensfähigen biologischen Substanzen, Implantate für ästhetische Zwecke und andere erweitert. Das Instrument der gemeinsamen Technischen Spezifikationen wird auch für den Bereich der Medizinprodukte übernommen. Der Wissenschaftliche Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken” (SCENIHR) befasst sich aktuell mit den Risiken von Nanosilber und Nanomaterial in Kosmetik.
Die digitale Technik ermöglicht eine starke Variation und Ausweitung der Funktionen von Medizinprodukten.
Hinzu kommt noch der Einsatz von nicht ausgereifter Software, die aufgrund des Innovationsdrucks des Marktes erst im täglichen Einsatz validiert und durch ständige Updates „repariert” werden muss. Je komplexer die Information, desto mehr muss der Anwender in der Aufnahme der Information filtern. In seinem Kopf kann so ein reduziertes Realitätsmodell entstehen. Dies kann unter Stressbedingungen zu einer systematischen Fehleinschätzung von Abläufen und fatalen Entscheidungen führen. Auch vermeintliche Patentrezepte wie standardisierte Qualitätsmanagementsysteme, können hier eine Blendwirkung hervorrufen und ein trügerisches Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit von komplexen Systemen schaffen.
Vom Qualitäts- zum Risikomanagement
Die Prinzipien des Qualitätsmanagements sollen solche Systemprobleme verhindern. Eine Reihe von Qualitätstechniken unterstützt alle Phasen des Produktentstehungsprozesses und die nachfolgenden Phasen im Medizinproduktesektor. Sowohl Entwickler, Hersteller, Fachhändler, Kundendienste als auch Betreiber von Gesundheitseinrichtungen sind rechtlich gehalten, ein QM-System einzuführen und nachzuweisen. Berater bieten hierfür in erster Linie die ISO 9001 an. Aber da treten in der Praxis die ersten Verständnisprobleme auf. Das Versprechen, „ein QM-System nach der Qualitätsnorm ISO 9001 einzuführen, um mit deren Methoden Prozesse effizienter und effektiver zu gestalten” enthält drei gravierende Missverständnisse:
- Die ISO 9001 ist per Definition keine Qualitätsnorm. Sie hat mit Qualitätsanforderungen für Produkte nichts zu tun, wie auch die ISO 9000:2005 unter Punkt 2.2 eindeutig festlegt. Es gibt kein genormtes QM-System nach ISO 9001. Interessanterweise standen schon 1994 im nationalen Vorwort der Norm die mahnenden Worte: „Ein universell geeignetes QM-System kann es … nicht geben; folglich kann man ein solches System auch nicht normen.”
- Mit dieser Norm wird kein QM-System eingeführt, sondern ein geplantes, im Aufbau befindliches oder bereits bestehendes System „dargelegt”. Ein QM-Handbuch setzt ein funktionierendes Qualitätsmanagement voraus.
- Die ISO 9001 beschreibt keine Methoden und Werkzeuge, um Prozesse zu optimieren, sondern fordert nur die Darlegung der Umsetzung. Dagegen dient die ISO 9004 in der neuen Fassung von 2009 als Gebrauchsanweisung für das „Leiten und Lenken für den nachhaltigen Erfolg einer Organisation”. Leider ist sie nicht für die Zertifizierung oder für die Verwendung in behördlichen Anordnungen oder in Verträgen gedacht.
Für mehr Anwendungssicherheit
Die EU-Regulierer stehen bei der Aktualisierung der Rechtsgrundlagen im komplexen Medizinproduktemarkt vor mehreren Herausforderungen:
- die Umwandlung von Forschungserkenntnissen und Erfindungen in sichere, wirksame und innovative Produkte im Rahmen der Strategie „Europa 2020”, insbesondere der Leitinitiativen „Innovationsunion” und „Eine digitale Agenda für Europa”;
- die Wiedergewinnung des durch aktuelle Skandale beeinträchtigten Vertrauens der Bürger in das CE-gekennzeichnete Medizinprodukt durch eine Verschärfung der Anforderungen und Kontrollen;
- die Schaffung eines soliden und transparenten Rechtsrahmens für den gesamten Binnenmarkt in einer wachstumsstarken Branche mit mehr als 500.000 Produkten von oft hohem Komplexitäts- und Innovationsgrad;
- die Gewährleistung eines hohen Niveaus an Schutz von Sicherheit und Gesundheit bei gleichzeitiger Anpassung an die weltweiten Bestimmungen von außereuropäischen Märkten durch eine einzelne Verordnung mit einer Vielzahl von Ermächtigungen für Rechtsakte und Durchführungsbestimmungen.
Auch die Verfasser der bisherigen europäischen Richtlinien für Medizinprodukte sind anscheinend dem Missverständnis aufgesessen, dass in einem dynamischen Markt ein im Unternehmen vorhandenes, komplexes QM-System konkret nach gesetzlich vorgegebenen Zielen umfunktioniert werden könne. Dabei hätte man aus dem Versagen des elementbezogenen Ansatzes der ISO 9001:1994 lernen können. Damals wurde der Versuch unternommen, ein modulares QM-System als ein lineares System im Unternehmen aufzubauen und isolierte Insellösungen von zwanzig qualitätsfixierten Elementen zu schaffen. Man scheiterte an der Realität eines komplexen Systems, weil man bei der Umsetzung die Dynamik und Vernetzung der Abläufe sowie wichtige Akteure wie die Mitarbeiter und die Kunden nicht ausreichend berücksichtigt hatte. Mit dem prozessbezogenen und flexibleren Neustart als Vision 2000 hatte der Normengeber zwar seine Lektion gelernt, aber leider zwangen ganze Heerscharen von noch mit dem alten System verwurzelten Auditoren viele Unternehmer, wieder die formalisierten Qualitätsprozeduren einzuführen – mit dem negativen Effekt, dass das QM-Handbuch oft nur noch für den Auditor und nicht für eine effiziente und sichere Organisationsstruktur unter Einbindung der Mitarbeiter geschrieben wurde.
Wie sieht die Realität heute mit der Revision von 2008 aus? Die ISO 9001-Zertifizierung ist längst ein Massenprodukt geworden: Allein in Deutschland wurden bis 2012 von 100 heftig konkurrierenden Zertifizierern über 51.000 der mittlerweile 1,2 Millionen ISO 9001-Zertifikate weltweit ausgegeben. Im Allgemeinen sind durch die vernünftige Anwendung der ISO 9001 und deren Zertifizierung durch externe Stellen durchaus positive Effekte in der Qualitätsverbesserung zu verzeichnen, wenn sie von qualitätsbewussten und kritikfähigen Unternehmen, kompetenten Zertifizierungsstellen und erfahrenen Auditoren „mit Augenmaß und Verstand” umgesetzt wurde. Mit der ernsthaften Umsetzung der Norm macht sich ein Unternehmen „fit für die Zukunft”, indem es seine Fähigkeiten verbessert, auf Innovationen zu reagieren, Kundenerwartungen zufriedenzustellen, Kompetenzpotenziale der Mitarbeiter zu nutzen und die Vergeudung von Ressourcen zu vermeiden. Wird ein QM-System rein aus formalen Gründen eingerichtet, um die Zertifizierungsurkunde und damit einen Marktzugang zu erlangen, ohne gleichzeitig eine „lebendige Qualitätskultur” im Betrieb aufzubauen, verpufft der Aufwand dagegen weitgehend ungenutzt.
Für Medizinprodukte hat die ISO 9001 bereits seit zehn Jahren ihre Wertigkeit verloren. Der Hersteller eines Medizinproduktes der höheren Risikoklassen (IIa, IIb oder III) beziehungsweise bei Messfunktionen oder sterilisierten Produkten muss eine der 79 benannten Stellen in der EU (davon 15 allein in Deutschland) mit der Zertifizierung seines QM-Systems, zum Beispiel nach DIN EN ISO 13485, die EU-harmonisierte und branchenangepasste ISO 9001-Grundlage für Medizinprodukte, beauftragen. Nach erfolgreicher Konformitätsbewertung erhält er über die CE-Kennzeichnung seinen europäischen Marktzugang. Für die Unterstützung der Darlegung stehen ihm zur Zeit über 300 harmonisierte Europäische Normen unverbindlich zur Verfügung, welche die Vermutung begründen sollen, dass damit die Sicherheitsziele der Richtlinie erreicht werden, obwohl weite Teile der Medizinprodukte damit noch gar nicht abgedeckt sind.
Im Verordnungsentwurf sind die bisherigen „Grundlegenden Anforderungen” des Anhang I der EG-Richtlinie durch den Begriff „Allgemeine Sicherheits- und Leistungsanforderungen” ersetzt und stellenweise erweitert worden. Die EU-Verordnungsforderung umfasst folgende Aspekte der ISO 9001: Managementverantwortung, Ressourcenmanagement, Produkt-Realisierung und Verfahren zur Überwachung und Messung der Ergebnisse, Datenanalyse und Produktverbesserung. Für Medizinprodukte der Risikoklasse III fordert sie eine zusätzliche Überprüfung des Konzeptionsdossiers oder alternativ eine Baumusterprüfung.
Die Ursachenforschung von Zwischenfällen mit Medizinprodukten fördert aber leider deutliche Schwachstellen in der Wirksamkeit und im Nutzen von implementierten QM-Systemen zutage.
Zielgruppen
Schon die Frage „Wer ist mein Kunde?” ist nicht einfach zu beantworten: Der Produktentwickler hat sich nach den Spezifikationen seines Auftraggebers zu richten, der wiederum eine zahlungskräftige Käuferschicht wie Chefärzte und Klinikleiter als Zielgruppe im Blick hat. Im Hintergrund engen Kostenerwägungen durch konkurrierende Produkte, Designwünsche, gesetzliche Regelungen, Prüfanforderungen, Zertifizierungsregeln und Erwartungen benannter Stellen den Spielraum des Herstellers stark ein. Dem letztendlichen Anwender und schließlich dem Patienten kommen nur eine marginale Rolle zu. Ausgehend von den technischen Möglichkeiten und basierend auf einer verfehlten Marktrecherche plant der Entwickler sein Produkt häufig an der eigentlichen Zielgruppe und deren Bedürfnissen vorbei. Der Hersteller stellt eine eierlegende Wollmilchsau als Prestigeobjekt für den Chef bereit, während der vielfach gestresste Anwender nur mit zwei Bedienknöpfen zu tun haben möchte. Hier richtet sich schon die Identifikation der Risiken fehlerhaft an der falschen Zielgruppe und einem unrealistischen Anwendungsumfeld aus. Man schätzt, dass etwa 70 Prozent aller Fehler bereits in den Planungsphasen von Produkten entstehen und dadurch die höchsten Kosten verursachen.
Unter dem Druck der Kostendämpfung hat sich die Aufbereitung von Einmalartikeln eingebürgert. Wegen dieser kundenseitigen „Umwidmung” der Einmalprodukte und der Risiken dieser neuen Anwendung haben sich mittlerweile viele Fachleute mit diesem Thema befasst und entsprechende Leitlinien herausgegeben, denn die Risikoanalyse und Produktkonzeption von Einmalprodukten hatte sich bislang nicht auf die Mehrfachverwendung erstreckt.
Das führte dazu, dass die Aufbereiter im Verordnungsentwurf der EU-Richtlinie als Hersteller mit entsprechenden Pflichten deklariert werden. Es ist den Mitgliedsländern sogar überlassen, ob sie die Praxis der Aufbereitung von Einmalprodukten sowie den Import und Export gänzlich verbieten, wie dies bereits in einigen Ländern der Fall ist.
Konzeption und Herstellung haben sich gemäß der auch bisher gültigen EU-Anforderung unter „Berücksichtigung der technischen Kenntnisse, der Erfahrung, Ausbildung und Schulung sowie der medizinischen und physischen Voraussetzungen der vorgesehenen Anwender (Produktkonzeption für Laien, Fachleute, Behinderte und sonstige Anwender)” an den realen Einsatzbedingungen zu orientieren. Hierzu gehört, dass die Bedienungsanleitungen in einer für den Anwender leicht verständlichen Sprache abgefasst sein müssen. In Kapitel II sind erstmalig umfangreiche Pflichten für Hersteller und Importeure formuliert. Einige unseriöse Geschäftspraktiken sollen damit unterbunden werden.
Risikoanalyse
In der Designphase und zur Planung der Konstruktion findet die Risikoanalyse an einem Modell des isolierten Produktes statt. Wenn es hochkommt, wird es als Element in einer idealen Gerätekombination aus exakt aufeinander abgestimmten Komponenten betrachtet, die unter Idealbedingungen geliefert, montiert, bedient, instand gehalten und betrieben werden. Bei der Ermittlung der Ereignis-Wahrscheinlichkeit zeigt der spezialisierte Risikomanager des Herstellers oft zu wenig Fantasie für die Vision des schlimmsten Falls in der Praxis. Einflussfaktoren wie mangelndes Risikobewusstsein, subjektive Risikowahrnehmung, Notfallbetrieb, Experimentierfreude, Interessenkonflikte, komplexe Vernetzungen durch praxisübliche Gerätekombinationen und typische Fehlbedienungen werden nicht ausreichend erfasst. Es fehlt meistens ein direkter Draht zu den Kundendiensten des Herstellers, die täglich mit den Schwachstellen der Produktklasse konfrontiert werden.
Hochgesteckte Ziele
Mit der neuen EU-Verordnung sollen die bisherigen Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG aufgehoben werden, damit künftig nur noch ein einziger EU-weit harmonisierter Rechtsakt für Medizinprodukte (In-vitro-Diagnostika ausgenommen) gilt. Folgende Änderungen geplant:
- eine klarere Abgrenzung und Erweiterung des Geltungsbereiches, Klärung der Voraussetzungen für den Parallelhandel; Einführung einer „qualifizierten Person” beim Hersteller für die Einhaltung der Rechtsvorschriften;
- eine bessere und einheitliche Aufsicht über die benannten Stellen durch die nationalen Behörden und durch eine zusätzliche Kontrolle auf EU-Ebene; außerdem mehr Befugnisse für benannte Stellen, bei Fabrikinspektionen zum Beispiel und bei Stichprobentests; Eingriffsmöglichkeit der zuständigen Behörde bei Hochrisiko-Produkten in bestimmten Fällen;
- eine Erweiterung der EU-Datenbank Eudamed für alle auf dem Markt befindlichen Medizinprodukte, beteiligte Wirtschaftsakteure und Prüfbescheinigungen; Rückverfolgbarkeit der Produkte über die gesamte Lieferkette mittels eines eindeutigen Produktidentifikators in enger Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen FDA; Verschärfung der Marktüberwachung und des Vigilanzsystems durch ein zentrales EU-Portal;
- eine bessere Koordination der klinischen Bewertung und Prüfung, Aufbau einer EU-Datenbank für alle klinischen Prüfungen sowie strengere Anforderungen an die klinischen Nachweise; klinische Weiterverfolgung nach dem Inverkehrbringen;
- eine Anpassung der Klassifizierungsregeln an die Erweiterung des Geltungsbereiches und an die technologische Entwicklung; Vereinfachung der Verfahren zur Konformitätsbewertung;
- eine Verbesserung der Verwaltung durch mehr Rechtsklarheit und verstärkte behördliche Zusammenarbeit über die nationale Ebene hinaus.
Stand der Technik
Ein Hersteller kann bislang von einer benannten Stelle auf der Grundlage der DIN EN ISO 13485 zertifiziert werden, ohne dass er die grundlegenden Anforderungen der Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG erfüllt, denn diese sowie alle weiteren rechtlichen Pflichten des EU-Regelwerks zur CE-Kennzeichnung (neue Konzeption) werden in der Norm nicht explizit gefordert, sondern nur in einem Nebensatz indirekt angesprochen: Hersteller sollen die Forderungen der Kunden „und die für die Medizinprodukte … zutreffenden gesetzlichen Forderugenerfüllen”. Erschwerend kommt hinzu, dass im MP-Recht, anders als im Arzneimittelgesetz, keine einheitlichen und exakt definierten Begriffe verwendet werden. Dies schafft Verwirrung.
Laut EU-Anforderung hat sich die Konzeption und Herstellung von Medizinprodukten am „allgemein anerkannten Stand der Technik” zur orientieren. Bereits in der Qualitätsplanung sind alle gesetzlichen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen zur Zielerreichung zu identifizieren. In einem zweiten Schritt müssen alle Ressourcen, Tätigkeiten und Lösungen für die Erfüllung der Anforderungen geplant werden. Zum Stand der Technik gehört auch ein Risikomanagement auf der Basis eines Fehlermanagements, das insbesondere die Mensch-Maschine-Schnittstelle einbezieht. Neu aufgenommen in die EU-Regelung wurde die Meldepflicht des Herstellers von Produkten der Risikoklassen II b und III bei Tendenzen von nicht schwerwiegenden Vorkommnissen oder erwarteten unerwünschten Nebenwirkungen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Risiko-Nutzen-Analyse haben.
Sonderanfertiger wie Dentallabore, Augenoptiker und Orthopädie-Werkstätten sind sich häufig der Konsequenzen dieser verbindlichen Forderung nicht bewusst, da ihr QM-System aufgrund ihrer Selbsterklärung nicht von einer externen Stelle zertifiziert wird.
Der Anhang XI des Entwurfs beschreibt das Verfahren zur Konformitätsbewertung bei Sonderanfertigungen. Der Verordnungsentwurf konstatiert, dass für die diesbezüglichen Hersteller die regulatorischen Anforderungen als gering einzustufen sind, allerdings müssen sie gewährleisten, dass ihre Produkte sicher sind und bestimmungsgemäß funktionieren. Ein Vergleich mit den bisher gelten Regelungen lässt aber keine Änderung erkennen. Wie bisher muss der Sonderanfertiger die Dokumentation über die Konzeption, die Herstellung und die Leistung des Produktes fünf Jahre lang (bei Implantaten 15 Jahre) zur Einsicht durch die nationale Behörde bereithalten.
Man darf hier nicht vergessen, dass über 80 Prozent der 25.000 Hersteller für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika in den 32 Ländern des Binnenmarktes kleine bis mittlere Unternehmen oder Kleinstunternehmen sind. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil dieser Betriebe mit diesen Managementmethoden nicht vertraut ist.
Benannte Stellen
Die Bauartzulassung, heutzutage EG-Baumusterprüfung genannt, findet an einem besonders sorgsam hergestellten Baumuster und der technischen Dokumentation statt. Aber
- Wer analysiert bei der benannten Stelle als lebenserfahrener und unabhängiger Produktionsexperte die Tücken der Großserienfertigung?
- Wer kontrolliert regelmäßig und insbesondere ohne Interessenkonflikte die Aufrechterhaltung des optimalen Zustandes in der laufenden Fertigung:
- die konstante Qualität der Rohmaterialien,
- die Qualifikation der Arbeiter und Zulieferer,
- die Stabilität der Prozesse,
- die Integration von Innovationen und Verbesserungen,
- die Auswirkungen von Software-Updates,
- die Erkenntnisse aus der Marktbeobachtung,
- die angemessene Berücksichtigung von Reklamationen und aufgefundenen Schwachstellen?
- Wer kann die Fähigkeit einer Organisation einschätzen, die Qualitätsprozesse auch im Falle einer Krisensituation aufgrund personeller, fachlicher oder finanzieller Engpässe aufrechtzuerhalten?
- Wer erkennt die frühen Warnsignale auf dem spezialisierten Markt, um noch rechtzeitig mit einem Sonder-Audit die Situation vor Ort zu erkunden, ohne sich von einer guten „Show” täuschen zu lassen?
- Wer meldet die „schwarzen Schafe” des Medizinproduktemarktes den zuständigen Behörden, wenn es sich dabei um die eigenen Kunden handelt?
Die oft nur nach ISO 9001 geschulten Auditoren der benannten Stellen haben zwar gelernt festzustellen, ob die QM-Dokumentation mit dem realisierten QM-System und mit den ISO 9001-Darlegungsforderungen übereinstimmt. Die Audits und Kontrollen müssen sich aber in Dauer und Fokus an den Risiken orientieren. Die meisten Abweichungsberichte stützen sich auf Formalien und tragen zur Patientensicherheit nichts bei. Hersteller, benannte Stellen und die Vertreter der Aufsichtsbehörden müssen ihre Kompetenz auf den aktuellen Stand der Technik erhöhen. Ihre Expertise in Sachen Risikomanagement, klinische Prüfung, Software-Entwicklung und Gebrauchstauglichkeit ist oft unzureichend.
Im Bereich der durch EU-Richtlinien geregelten Medizinprodukte müssen sie aber zusätzlich prüfen, ob die QM-Dokumentation und das realisierte QM-System auch mit allen rechtlichen Forderungen von Gesetzen und Verordnungen des MP-Rechts konform sind. Diese gehen weit über die ISO 9001/ISO 13485-Anforderungen hinaus. Der Verordnungsentwurf fordert bei der benannten Stelle „höchste berufliche Integrität und erforderliche Fachkompetenz”, außerdem eine „ausreichende einschlägige Erfahrung im Bereich der Medizinprodukte sowie der entsprechenden Technologien”. Sie hat dazu über ausreichend wissenschaftliches Personal mit Erfahrungen und Kenntnissen zur Beurteilung der medizinischen Funktion und Leistung der Medizinprodukte zu verfügen. Dies beinhaltet auch Personal mit klinischer Erfahrung. Für die Bewertung der Biokompatibilität, von Sterilisationsverfahren und von klinischen Bewertungen werden zusätzliche Qualifikationskriterien festgelegt. Jeder Antrag eines Hochrisiko-Produktes ist an eine EU-Expertenkommission zu melden, welche die Abwicklung durch die benannte Stelle kontrollieren kann.
Leider fehlen in dieser Kommission die angeblich aus mangelnder Unabhängigkeit ausgeschlossenen Know-how-Träger aus der Praxis.
Der Verordnungsentwurf erwartet bei den Auditoren des QM-Systems eine vierjährige Berufserfahrung, davon zwei Jahre im Qualitätsmanagement, angemessene Kenntnisse im Bereich des gesamten Medizinprodukterechts, der Normen, Spezifikationen und Leitlinien, im Risikomanagement und Erfahrungen im Bereich der Konformitätsbewertungen.
Anhand zahlreicher Beispiele gutachterlicher Praxis wird deutlich, dass viele Hersteller von Medizinprodukten sowie deren Auditoren in Europa den Stand der Technik nicht interpretieren können, weil ihnen das für diesen Produktbereich ausreichende Fachwissen zum Qualitäts- und Risikomanagement fehlt. Generell klagen alle involvierten Stellen über einen Fachkräftemangel. Bei den benannten Stellen kommt erschwerend hinzu, dass sie nur auf unabhängige Experten zugreifen dürfen.
Im Anhang VI konkretisiert der Verordnungsentwurf die Mindestanforderungen an die benannten Stellen. Insbesondere wird ausdrücklich auf die Vermeidung von Interessenkollisionen eingegangen. Durch die wesentlich verschärften Anforderungen an die Kompetenz und Unabhängigkeit der Auditoren wird es für die benannten Stellen schwieriger werden, ausreichend Fachleute für die Zertifizierung zu rekrutieren.
Produkttestphase
Die früher übliche aufwändige Testphase wurde in manchen kritischen Branchen vom Entwickler aus Kostengründen, zum Erreichen kurzer Innovationszyklen und aufgrund des starken Konkurrenzdrucks in wichtigen Teilen in das Tätigkeitsfeld des Betreibers verlagert, wo man sich jetzt auf qualifizierte Rückmeldungen verlässt.
Der Verordnungsentwurf spezifiziert im Anhang II „Technische Dokumentation” detailliert die notwendigen Informationen, darunter alle Ergebnisse der Überprüfung und Validierung des Produktes, einschließlich der Verifizierung und Validierung der Software mit einer Zusammenfassung der Tests, die vor der endgültigen Freigabe hausintern, in einer simulierten oder tatsächlichen Verwenderumgebung durchgeführt wurden.
Wie es um den Vertrieb von Medizinprodukten, ihren Einsatz, die Produktbeobachtung und die Entsorgung steht und natürlich das Fazit dieser Betrachtung lesen Sie in der nächsten kma Krankenhaustechnik.


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