Vor zwei Jahren sagten Sie, IT-Leiter würden im Alltagsgeschäft oft absaufen, während der Klinikmanager den Eindruck habe, IT koste eh nur Geld. Eine E-Health-Strategie würde den meisten Kliniken fehlen. Hat sich der Zustand mittlerweile gebessert?
Ja. In einer vom Lehrstuhl für medizinische Informatik der FH Dortmund zusammen mit Deloitte durchgeführten Studie haben mehr als 70 Prozent der befragten Krankenhäuser – circa 400 haben geantwortet – angegeben, dass Klinik-IT einen hohen Stellenwert hat und eine IT-Strategie verfügbar ist. Wir sind also auf dem Weg der Besserung. Allerdings fehlt in der Strategie in der Regel genau der Teil E-Health.
Wie muss eine E-Health-Strategie Ihrer Ansicht nach aussehen?
Eine E-Health-Strategie geht über das eigene Krankenhaus hinaus. Es dreht sich um die Frage, wie binde ich andere Versorger, wie binde ich Patienten ein? Solche Bestrebungen gibt es bisher vorwiegend in Pilotprojekten einzelner Fachabteilungen, aber nicht als Ausrichtung des gesamten Krankenhauses. Im Rahmen einer E-Health-Strategie sollte jedes Krankenhaus geprüft haben, in welchen Fachbereichen E-Health innovative Geschäftsmodelle oder andere Chancen verspricht.
Gibt es einen Bereich, in dem E-Health bereits gut funktioniert?
Ja, die Teleradiologie ist dafür ein gutes Beispiel. Fast alle Krankenhäuser sind in unterschiedlichen Varianten an teleradiologischer Befundung beteiligt. Für diesen Bereich gibt es seit Jahren etablierte technische Standards wie den DICOM, aber auch ein klares Geschäftsmodell: Kleine Häuser profitieren, weil sie beispielsweise nachts keinen Radiologen mehr vorhalten müssen, und große Kliniken generieren als Dienstleister neue Einnahmen. Ein Gegenbeispiel ist die Onkologie: Der Bedarf an intersektoraler Zusammenarbeit ist groß, es gibt einige Pilotprojekte im Bereich Fallakten, Digitalisierung von Tumorkonferenzen et cetera – aber es existieren bis heute weder Standards noch eine Musterlösung im Sinne von übertragbaren Best-Practise-Lösungen. Onkologische Zentren stehen also vor der Frage, in welche Lösungen sie genau investieren sollen, um ihre Prozesse zu verschlanken und die Behandlung qualitativ zu verbessern.
Wo liegen die technischen Hürden in der Onkologie?
Die Hürden sind weniger technischer Natur. Die Zentren nutzen einerseits Spezialsoftware für Dokumentation und Zertifizierung, die in der Regel keinen standardisierten Austausch mit niedergelassenen Ärzten abdeckt. Zusätzlich besteht Bedarf an Unterstützung bei Tumorkonferenzen, gemeinsamen Patientenakten und Prozessmanagement. Am Markt gibt es bisher keine Lösung, die diese heterogenen Anforderungen allein abdeckt. In einem Forschungsprojekt zur virtuellen Onkologie haben wir gerade ein Cookbook veröffentlicht, das als Leitfaden für onkologische Zentren helfen kann, strukturierte IT-Lösungen aufzubauen.
Wie zufrieden sind Sie mit dem E-Health-Gesetz?
Gerade im Bereich des Datenaustauschs und der elektronischen Patientenakte ist mir das Gesetz viel zu anspruchslos. Dass der elektronische Arztbrief für Kliniken verpflichtend und für niedergelassene Ärzte mit Anreizen versehen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Fristen und Zeiträume zur Realisierung sind extrem lang, so soll die Gematik erst 2018 ein Konzept für die elektronische Patientenakte vorlegen. Gut ist, dass überprüft wird, inwieweit Bürger selbst auch mit Smartphones oder vom Rechner zuhause an ihre Daten kommen. Bis vor kurzem gab es noch die Idee, bei Krankenkassen E-Kioske aufzustellen, an denen Patienten sich ihre Daten ansehen können. Damit hätte man sich in Deutschland nun wirklich der Lächerlichkeit preisgegeben.
Als Sie kürzlich vor dem Gesundheitsausschusses des Bundestages sprachen, haben Sie betont, das „Empowerment” des Patienten müsse stärker in den Vordergrund rücken. Das ist auch das Credo der Industriemesse conhIT. Was meinen Sie damit genau?
In anderen Ländern hat der Patient schon heute eine viel aktivere Rolle. Er managt seine Krankheit, beispielsweise über Diabetes-Apps, indem ein Blutzuckermessgerät ans Handy geklemmt und der Patient oder sein Arzt benachrichtigt werden, wenn etwas Auffälliges passiert. Über eine Vielzahl von Apps kann er Daten sammeln, bewerten und sich eigenes Wissen aneignen. Natürlich muss das von Fachpersonal im Krankenhaus oder von niedergelassenen Ärzten qualitativ begleitet werden. Viele hoffen außerdem, dass über den Patienten der nötige Handlungsdruck in Sachen Gesundheits-IT entsteht. Ich würde Krankenhäusern raten, frühzeitig in solche Projekte einzusteigen, denn da wird sich in den nächsten Jahren viel bewegen. Ein sehr gelungenes Beispiel ist die persönliche elektronische Patientenakte (PEPA), die am Universitätsklinikum Heidelberg am Beispiel des kolorektalen Karzinoms entwickelt wird. Dort wird im Rahmen der Begleitforschung gezielt evaluiert, welchen Beitrag zum Patient Empowerment eine solche digitale Akte leisten kann.
Die Bilanz der Gematik ist niederschmetternd. Das Projekt kriecht im Schneckentempo vorwärts. Welche Impulse kann der Innovationsfonds in Sachen Klinik-IT geben?
Für Kliniken, die bereits Pilotprojekte planen oder realisiert haben, bietet er eine Chance, Hilfe bei den notwendigen Investitionen zu bekommen. Natürlich haben sich inzwischen viele Konsortien schon gebildet, besonders stark sind bei bisherigen E-Health-Projekten Unikliniken und private Klinikträger involviert, etwa die Rhön-Kliniken im Rahmen der elektronischen Patienten- oder Fallakte.
Die IT-Industrie bastelt seit Jahren an dieser elektronischen Fallakte (EFA). Wie würden Sie einem Klinikgeschäftsführer den Nutzen dieser Akte erklären?
Die elektronische Fallakte in der Version 2.0 stellt einen Quasi-Standard dar, mit dem beliebige Informationen fallbezogen ausgetauscht werden können und ist zunächst mal nicht eine Erfindung der Industrie, sondern der DKG und privater Klinikketten gewesen, die 2006 dazu eine Projektinitiative gegründet haben. Der Vorteil dieser Infrastruktur ist folgender: Investiert eine Klinik einmalig in den Aufbau einer EFA inklusive der Schnittstellen zum KIS, können anschließend ganz unterschiedliche Szenarien mit dieser Fallakte realsisiert werden – beispielsweise eine pädiatrische Fallakte als Kommunikation zu umliegenden Kinderärzten, eine onkologische Fallakte als Grundlage für Tumorkonferenzen et cetera – es wird immer dieselbe Infrastruktur genutzt, Aufwände entstehen lediglich in der Umsetzung der jeweiligen Projekte. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Fallakte aufgrund ihrer Fallorientierung von Datenschützern freigegeben ist.
Die conhIT ist der Szene-Treffpunkt für Gesundheits-IT. Worauf freuen Sie sich besonders?
Auf die Keynote von Enno Park. Er hat aufgrund einer Masernerkrankung sein Gehör verloren und trägt nun ein Cochlear-Implantat in seinem Ohr. Um zu vermeiden, dass die Implantate gehackt werden können, hat er den Verein Cyberborg gegründet. Er ist ein sehr engagierter Betroffener und personifiziert somit das „Patient Empowerment”. Außerdem gibt es immer unglaublich viel Raum für fachlichen Austausch, die Szene trifft sich dort. Und last but not least hoffe ich am Mittwochabend auf einen Sieg von Borussia Dortmund in Berlin.
Sie sind stellvertretende Vorsitzende des Networking-Beirats der conhIT. Wie wollen Sie Klinikgeschäftsführer auf die Messe locken – diese Zielgruppe ist heiß begehrt, aber kaum anzutreffen?
Wir haben den Dienstag als Geschäftsführer-Tag angelegt, dort sind viele Veranstaltungen und Inhalte gebündelt, die wir für diese Zielgruppe für spannend halten. So gibt es einen speziellen Workshop am Nachmittag: „conhITSpezial Klinikleitung: Wie komme ich vom One-House zum Netzwerk? – IT als Teil der Strategie” und im Kongress beispielsweise die Session „IT im Krankenhaus – welche aktuellen Aufgabenstellungen bewegen den Vorstand oder Geschäftsführer?”.
Auch der Nachwuchs steht im Fokus der Veranstalter. Was bietet die Messe jungen Fachkräften?
Für die Young Professionals ist der Mittwoch der wichtigste Tag, wenn es um die Suche nach passenden Unternehmen und die Karriereplanung geht. Ich moderiere dort zunächst den Karriereworkshop, in dem verschiedene Berufsbilder der medizinischen Informatik vorgestellt werden – aus dem Krankenhaus, der Wissenschaft und der Industrie. Anschließend gibt es ein „Speed Dating”, während dessen sich Absolventen und Unternehmen kennenlernen können. Auch sonst arbeiten wir im Networking mit kreativen Formaten, so wird es in diesem Jahr erstmals den „E-Health-Slam” geben mit dem Ziel, den besten Slammer in der Szene zu finden und auszuzeichnen, aber auch für eine bunte Abwechslung auf der Networking-Fläche zu sorgen.
Zur Person
Britta Böckmann ist Professorin für Medizininformatik an der Fachhochschule Dortmund. Außerdem ist die 49-Jährige Weltenbummlerin, BVB-Fan und Marathonläuferin. Seit Dezember 2015 sitzt sie im Beirat der Gematik, der Organisation, die den Aufbau der Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen verantwortet.


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