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Entertainment-SystemeHollywood am Krankenbett

Wer im Krankenhaus liegt, braucht viel Ablenkung. Die neuen Unterhaltungssysteme bieten deshalb nicht nur Internet, sondern auch zahlreiche Zusatzfunktionen, die dem Komfort eines Hotelzimmers in nichts nachstehen.

Die Zeiten, in denen sich Patienten ein Fernsehgerät im Zimmer teilen mussten, sind lange vorbei. "In modernen Kliniken gehört ein eigenes Telefon und Fernsehgerät pro Bett zum Standard”, so Horst Träger, Technischer Leiter des Lubinus Klinikums in Kiel und Schatzmeister der Fachvereinigung Krankenhaustechnik (FKT). Laut statistischem Bundesamt nutzen heute drei von vier Menschen im Alter zwischen 50 und 59 Jahren das Internet. In jüngeren Altersklassen steigt der Anteil sogar auf über 90 Prozent. Immer mehr Patienten wollen daher auch am Krankenbett die Vorteile der modernen Kommunikation nutzen – das haben auch die Hersteller erkannt. Die neuesten Unterhaltungssysteme sind nicht nur internetfähig, sondern liefern Zusatzangebote, die keinen Patientenwunsch offen lassen. Neben Fernseh- und Radioprogrammen, Video on Demand und Videotelefonie lassen sich mit den Multimediasystemen auch Raumfunktionen steuern oder Patientendaten anzeigen.

Ein Touchscreen für alles
Das Patienten Entertainment System (PES) hat die österreichische Firma Communication Network Services (CNS) zusammen mit Siemens Enterprise Communications und anderen Kooperationspartnern entwickelt. Es besteht aus einem Flachbildschirm, dessen sämtliche Funktionen sich per Touchscreen oder mit dem Telefonhörer steuern lassen. Auf dem Bildschirm blendet sich eine Tastatur ein, wenn Patienten E-Mails oder andere Texte eingeben wollen. Neben zahlreichen Radioprogrammen liefert das Gerät auch Satellitenfernsehen und Computerspiele. Gegen eine Tagespauschale von 4,50 Euro können Patienten weltweit im Festnetz und deutschlandweit in alle Handynetze telefonieren. Auch Facetime, Hörspiele, Video on Demand, drei Kanäle des Pay-TV-Senders Sky und Internet sind im Preis inbegriffen. Das System ermöglicht Kliniken auch, eigene Imagefilme oder Firmenwerbungen zu präsentieren und auf Patientendaten des Klinikinformationssystems (KIS) zuzugreifen. Als zusätzlichen Anreiz können die Nutzer die Tagespauschale von 4,50 Euro in Anspruch nehmen, um im Klinikshop günstiger einzukaufen. Für 1,50 Euro am Tag können Patienten sogar drei zusätzliche Skykanäle empfangen.

"Die Geräte haben keine geschlungenen Kabel oder ungleichmäßige Oberflächen und entsprechen den Hygienestandards in deutschen Krankenhäusern”, so Michael Vogl, Vertriebs- und Marketingleiter von KPM, der Dienstleistungsgesellschaft von CNS. Ist die nötige Infrastruktur vorhanden, steuern die Geräte sogar die Raumfunktionen im Patientenzimmer wie Licht, Fenster oder Heizung. Am Klinikum Ingolstadt hat der Hersteller das System zunächst als Pilotprojekt eingeführt. Mittlerweile gehört PES dort an 720 Betten zum Standard. "Zeigen Sie mir mal ein Hotel, in dem Sie für sechs Euro am Tag sechs Sky-Kanäle, 30 Fernsehprogramme, ein Touchscreen am Bett, Internet, Kinofilme und Telefon bekommen”, schwärmt Thomas Kleemann, IT-Leiter am Klinikum Ingolstadt. Alle Komponenten des Systems sind auf die Bedürfnisse eines Krankenhauses zugeschnitten und lassen sich individuell auswählen. Der Preis für ein System beginnt bei 1.500 Euro. Die beiden Entertainmentsysteme des Nordrhein-Westfälischen Anbieters Bewatec, Medinet und Medistream bieten Kliniken ein ähnliches Unterhaltungsangebot. Die Multimediaterminals mit Touchscreen liefern Fernsehen, Radio, Internet, Hörbücher, Telefon, Video on Demand, Videotelefonie, einen Mediaplayer, Spiele, das Steuern der

Raumfunktionen, Menübestellungen und sogar WLan. Die Systeme lassen sich flexibel an die vorhandene klinische Infrastruktur wie Abrechnungssysteme, Steuerungen der Raumfunktionen, Telefonanlagen oder Menübestellsysteme anpassen. "Bisher musste das Krankenhaus etwa die Telefonanlage wechseln, denn oft funktionierte sie nicht mit diesen Entertainmentsystemen. Unsere Terminals müssen das nicht, weil sie einfach umprogrammiert werden können, um mit dem jeweiligen System zu arbeiten”, so Phillip Schmelter, Geschäftsführer von Bewatec.

Vorbild Smartphone-App
Auch die einzelnen Anwendungen der Terminals lassen sich flexibel anpassen, konfigurieren und auswählen. Ermöglicht wird das durch eine eigene Onlineplattform namens Mymedinet. Über sie lassen sich von einem beliebigen Rechner aus alle angeschlossenen Endgeräte einzeln, in definierbaren Gruppen oder im Verbund konfigurieren. Der Zugang ist durch Benutzernamen und Passwort gesichert. Sie enthält ein Managementsystem, über das die Kunden für alle Geräte kostenlose Updates erhalten, den Netzzugang auswählen oder das Erscheinungsbild der Benutzeroberfläche einstellen können. Da die Endgeräte dem Prinzip der Smartphone-Apps folgen, kann ein Krankenhaus über die Onlineplattform auch alle Funktionen auswählen. "Genau wie bei den Apps im iPhone kann man hier aussuchen, welche Zusatzfunktionen die Endgeräte in der Klinik enthalten sollen. Ob sie etwa Videotelefonie mit Skype haben wollen, das Bett über das Terminal steuerbar sein soll oder sie ihr Menü darüber bestellen wollen; alles kann als einzelne Anwendung auf die Endgeräte übertragen werden”, erklärt Schmelter. Über ein Entertainmentsystem, das ebenfalls auf der Onlineplattform zu finden ist, stellt Bewatec zusätzlich über 300 Filme, Hörbücher und Zeitschriften bereit, die ebenfalls einzeln auswählbar sind. "Das Angebot stellen wir durch unsere Kooperationspartner wie Warner Bros., Gruner+Jahr, Universal Pictures, Bertelsmann und andere zur Verfügung”, so Schmelter. Jede Anwendung muss eine Klinik erst bezahlen, wenn auf die Endgeräte übertragen wurde. Auch die Angebote der Kooperationspartner bezahlt ein Patient erst, wenn er sie einzeln auswählt.

Eigenes Entwicklertool
Der zusätzliche Vorteil dieser Systeme ist eine eigene Entwicklungssoftware, mit der auch andere Firmen Anwendungen programmieren können. So kann etwa ein KIS-Anbieter oder ein Hersteller von elektronisch steuerbaren Patientenbetten eine eigene App schreiben, die mit dem System kompatibel ist. "Die taucht dann ebenfalls im Onlineportal auf. Wir entwickeln mit dem Bettenhersteller Völker gerade so eine App. Wenn der Kunde sie anklickt und damit kauft, bekommt Völker das Geld dafür, wir stellen sie nur zur Verfügung”, so Schmelter. Laut Hersteller kostet ein einzelnes Gerät unter 500 Euro.

Allerdings stoßen nicht alle Anwendungen auf breites Interesse – allen voran die Möglichkeit, mit den Alleskönnern auch auf das KIS zugreifen zu können. "Solange es für KI-Systeme keine Oberfläche gibt, die die Eigenschaften des Touchscreens auch wirklich nutzt, setzen wir das nicht ein”, sagt Kleemann. Auch im Lubinus Klinikum sieht man davon ab: "Der bloße Ansatz zu diesem Thema führt unseren Datenschutzbeauftragten schon zur Schnappatmung”, so Träger. Dennoch sind sich alle Beteiligten sicher, dass die Zukunft der Entertainmentsysteme gerade erst begonnen hat.

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