Der IT-Hersteller Visus hat vergangene Woche ein Symposium veranstaltet, zu dem die großen KIS-Hersteller Cerner, Compugroup, I-Soft, Meierhofer, SAP, Siemens und Telekom ihre Führungskräfte geschickt haben. Das war insofern interessant, da es im Markt für Krankenhausinformationssysteme (KIS) in den zurückliegenden Monaten spektakuläre Besitzerwechsel gegeben hat. Für die größte Überraschung sorgte dabei Cerner. Der KIS-Gigant aus den USA hat sich im August die Healthcare-IT-Sparte von Siemens für 1,3 Milliarden Euro einverleibt. Im KIS-Markt der USA ist Cerner die Nummer zwei, in Deutschland hat das Unternehmen bisher kaum Fuß gefasst. Nun besitzt der Konzern den zweitgrößten deutschen KIS-Anbieter. Siemens Deutschlandgeschäft war für den fulminanten Deal jedoch nicht ausschlaggebend. Denn den Großteil seines Umsatzes macht Siemens mit seiner Healthcare IT in den USA – und das war offenbar entscheidend für Cerner. Mit der Übernahme will das Unternehmen dem Vernehmen nach auf die wachsende Bedeutung von Selektivverträgen in den USA reagieren, bei denen Gesundheitsanbieter die Verantwortung für die Behandlungen von ganzen Bevölkerungsgruppen einer Region übernehmen. Bei diesen sogenannten Bevölkerungsmanagementmodellen ist die elektronische Steuerung und Verwaltung von zentraler Bedeutung. IT-Anbieter, die in einer Region eine kritische Masse an Leistungserbringern anbieten können, haben höhere Chancen, den Zuschlag zu bekommen. Eingetütet wird der Siemens-Kauf Anfang 2015. Unklar ist noch, was mit ISH-med passiert. Für das KIS aus dem Siemens-Portfolio hat SAP ein Vorkaufsrecht. Der Abrechnungsriese überlegt noch, ob er zuschlägt und damit ins Geschäft mit der klinischen Software einsteigt. Eine Entscheidung soll in den nächsten Wochen oder Monaten fallen.
Peter Herrmann: "Ihr werdet euch den Schnabel verbiegen"
Bereits zum Jahresende 2013 schluckte die Telekom das KIS von Brightone, ehemals Tieto, und im August 2014 erwarb Radiomed die Mannheimer KIS-Schmiede I-Soft. I-Soft-Chef Peter Herrmann nutzte seine Zeit auf der Visus-Bühne, um ein deutliches Lebenszeichen zu geben: "Diejenigen die denken, sie haben ein weidwundes Tier vor sich, kann ich nur warnen: Ihr werdet euch den Schnabel verbiegen." Dass der KIS-Markt zur Ruhe kommt, bezweifeln Szene-Kenner. Denn obwohl es in den vergangenen Jahren mehrere Besitzerwechsel gab, hat sich der Markt nicht wirklich konsolidiert – obwohl dies viele Experten vorhergesagt haben. Mit Cerner ist nun ein mächtiger Player auf dem Parkett. Es bleibt abzuwarten, was das für den deutschen KIS-Markt und die Krankenhäuser bedeutet.
Die Vermessung des Ichs hat begonnen
Was die digitale Zukunft der Gesundheitswirtschaft betrifft, hoben überraschend viele Podiumsteilnehmer der Visus-Veranstaltung die Rolle des Patienten hervor. I-Soft-Chef Herrmann etwa erklärte: "Mit der neuen Software IOS 8 für das Iphone kann jeder Bilder und Patientendaten einfach auf seinem Telefon verwalten. Das ist ein Meilenstein für die Rolle des Patienten im Gesundheitssystem. Damit hat Apple eine Architektur geschaffen, in der der Patient – quasi mit seinem Spieltrieb – die Digitalisierung des Gesundheitssystems vorantreiben kann." Bernhard Calmer, Leiter Business Development Health Services bei Siemens, schlug in dieselbe Kerbe: "Morgens im Flugzeug kann man beobachten, wie Sitznachbarn ihr Armband an den Computer anschließen und dann herunterladen, was es über Nacht alles gemessen hat. Vom Schlafverhalten bis zu Fitnesswerten, es fallen immer mehr Daten an, die Patienten in Zukunft auch zum Arzt mitnehmen. Die Vermessung des Ichs hat begonnen. Technisch stellt sich die interessante Frage: Wie verarbeiten wir die Daten. Gibt es eine Akte oder braucht der Arzt 50 Apps." Als Moderator Wilfried von Eiff einwandte, dass in unserer alternden Gesellschaft schon jetzt 20 Prozent über 65 Jahre sind und die Zahl der Demenz- und Parkinson-Patienten, die mit den Akten ihre Schwierigkeiten haben werden, kontinuierlich steige, entgegnete Christoph Becker von der Compugroup: "Die Angehörigen der Patienten haben Iphones, und die einzubinden, wird eine wichtige Aufgabe in der Zukunft sein."
Schnittstellen: PACS-Hersteller werben mit umfassendem Archiv
Als Bernd Behrend, Klinik-IT-Leiter am Kreiskrankenkhaus Göppingen, den KIS-Leuten die Frage stellte, warum KIS-Hersteller Schnittstellen wie HL7 dazu nutzen, ein "Nachgeschäft zu generieren", blieben die Antworten karg. Eine Schnittstelle ins KIS kann ein 1.000-Bettenhaus wie Göppingen schon mal 70.000 Euro kosten. "Das sind 13 Prozent unseres jährlichen IT-Budgets", so Behrend. Einen flexiblen Schnittstellenansatz proklamieren derweil die PACS-Hersteller. Sie wollen Kliniken ein formatunabhängiges Archiv (vender neutral archive) schmackhaft machen, in dem alle medizinischen Daten zu einem Patienten archiviert und über einen einheitlichen Viewer verfügbar gemacht werden. Das medizinische Archiv sei keine Konkurrenz zum KIS, betonen die Hersteller. "Im Gegenteil, es ist eine enge Integration in das KIS gewünscht und sinnvoll, um dem Anwender alle Daten auf einen Blick bereit zu stellen. Durch die tiefe Integration wird es möglich, dass das System zwar im Hintergrund auf das medizinische Archiv zugreift, der Anwender davon jedoch nichts merkt, weil alles innerhalb der gleichen Benutzeroberfläche stattfindet", so Jörg Holstein, Visus-Geschäftsführer, der aber betont, dass durch die herstellerneutrale Archivierung der Daten in einem einheitlichen Format – beispielsweise DICOM – die Datenhoheit wieder zurück an die Krankenhäuser geht: "Durch die Umwandlung aller medizinischen Daten in ein standardisiertes Format wie DICOM wird eine Datenmigration enorm erleichtert."


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