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E-HealthTeleradiologie als Chance

2016 tritt das E-Health-Gesetz in Kraft. Es ist ein grober Rahmen für einen Wirtschaftsbereich, der die Gesundheitsversorgung in kleinen, schnellen Schritten revolutioniert. Mit der Verbreitung der flächen­de­ckenden Vernetzung durch schnelle Daten­lei­tungen sind die Voraus­set­zungen für Telera­dio­logie-Anwen­dungen bereits heute nahezu überall gegeben. Das zeigen Projekte in Hamburg, Heidelberg und Berlin.

Tatsächlich funktio­niere die Telera­dio­logie in Deutschland sehr gut, sagt Norbert Hosten, stell­ver­t­re­tender Präsident der Deutschen Röntgen­ge­sell­schaft: "Es gibt unter­schied­liche Anbieter und mehrere Hundert Projekte.” Noch deutlich weiter als hierzu­lande gehe die Vernetzung in Flächen­ländern, zum Beispiel in Skandi­navien. Hier arbeiten an den meisten Stand­orten gar keine Radio­logen mehr. Das habe aber auch Nachteile, da ohne Expertise die Gefahr unsin­niger Unter­su­chungen und Strah­len­be­lastung steige. In Deutschland werde der Strah­len­schutz sehr viel ernster genommen, erklärt Hosten: "Das deshalb in der Röntgen­ver­ordnung (RÖV) veran­kerte Regio­nal­prinzip hält die Projekte klein­teilig und behindert die Entstehung großer Firmen.” Insgesamt profi­tiere die Radio­logie aber von der Entwicklung, so der Experte.

Ein zentraler Aspekt bei der Weiter­ent­wicklung der Vernetzung sei aller­dings die Daten­si­cherheit, sagt Hans-Peter Bursig, Geschäfts­führer des Fachver­bands Elektro­me­di­zi­nische Technik: "Wir brauchen ein anderes Verständnis von Daten­schutz. Es geht ja nicht darum, Daten zu schützen, sondern Persön­lich­keits­rechte und Privats­phäre. Heute muss jeder Prozess neu vom Daten­schützer auf Lände­r­ebene freige­geben werden. Das ist sehr aufwendig und erfordert ständig neue Prüfungen.” Technisch sei vieles möglich, betont Bursig. Ob es gesund­heits­po­li­tisch auch gewollt ist, erfordere eine gesell­schaft­liche Debatte und Entscheidung. Wir zeigen Beispiele aus Hamburg, Heidelberg und Berlin.

Telera­dio­logie im Asklepios-Konzern­verbund
Bereits seit Ende 2007 nutzen die Radio­logen der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg die Telera­dio­logie in Zusam­men­arbeit mit ihren Kollegen vom Inter­na­tional Neuro­s­cience Institute in Hannover, berichtet Chefarzt Roland Brüning: "In Hannover sind radio­lo­gische Kollegen vor Ort, die brauchen also keine klassische Telera­dio­logie, aber Unter­stützung in bestimmten Bereichen. Hier teilen wir uns die Arbeit in enger Absprache sinnvoll auf. Daneben erstellen wir aber auch für die Asklepios Kliniken Lich und Bad Tölz telera­dio­lo­gische Befunde im Nacht- und Woche­n­end­dienst.” Die Einführung der Telera­dio­logie habe mehrere Dimen­sionen, erläutert Brüning: "Zunächst müssen Personal und die Zuweiser damit vertraut gemacht werden, dann muss die technische Dimension natürlich stimmen.” Und schließlich müsse für jedes Telera­dio­lo­gie­projekt ein Antrag an die zuständige Landes­re­gierung gestellt werden. Für Brüning ist die Telera­dio­logie ein Erfolgs­modell: "Hier in Barmbek befunden wir einige Tausend Unter­su­chungen pro Jahr.” Die Patien­ten­auf­klärung übernehmen die klini­schen Kollegen vor Ort, sie wurden dafür gesondert geschult. Die Zusam­men­arbeit mit den Kollegen in Süddeut­schland führt in Hamburg sogar hin und wieder zu ungewohnten Einsätzen: "Im vorigen Winter haben wir per Telera­dio­logie in Bad Tölz einen Patienten unter­sucht, der einen Unfall mit einer Pisten­raupe hatte.” Brüning sieht die Telera­dio­logie vor allem als Chance, für mehr Qualität in der Fläche zu sorgen. Gerade in Zeiten von Sparz­wängen an kleinen wie an großen Häusern solle die Technik genutzt werden: "Die bessere Auslastung durch die Telera­dio­logie finan­ziert sogar einige zusätz­liche Arzts­tellen. Alle sollten davon profi­tieren, sodass die Perso­nal­si­tuation und die Versor­gungs­qua­lität im Vorder­grund stehen.”

MRT-Nerven-Diagnostik der Uniklinik Heidelberg
Ein anderes teleme­di­zi­ni­sches Pilot­projekt in der Hamburger City versetzt die Neuro­ra­dio­logen des Univer­sitäts­k­li­nikums Heidelberg in die Lage, erkrankte Nerven ihrer norddeut­schen Patienten darzu­s­tellen und so die Ursache ihrer Leiden zu erkennen: Der hier instal­lierte Kernspin­to­mograf bildet selbst winzige Struk­turen ab. "Wir stellen den Nerv in seinem Verlauf dar, sehen also das erkrankte Organ direkt”, erklärt der Heidel­berger Neuro­ra­diologe Martin Bendszus. Da die Beurteilung dieser hochauf­ge­lösten Bilder aller­dings viel Erfahrung mit diesem Verfahren voraus­setzt, wurde die sogenannte MR-Neuro­grafie lange nur vor Ort in Heidelberg angeboten. Seit Oktober 2014 unter­suchen die Heidel­berger Experten nun auch Patienten in Hamburg – per Bildüber­tragung und Video­kon­ferenz. Der MRT-Scanner vor Ort wird von speziell geschulten Assis­ten­tinnen bedient. Die Kernspin­to­mo­grafie kommt ohne ionisie­rende Strahlung aus und fällt somit nicht unter die Röntgen­ver­ordnung, daher muss kein Radiologe vor Ort anwesend sein. Aus dem Kernspin­to­mo­grafen in Hamburg werden die Bilder in Echtzeit nach Heidelberg übertragen und dort von Bendszus und seinem Team befundet: "Per Video­kon­ferenz sprechen wir vor der Unter­su­chung mit den Patienten, die in Hamburg im Konfe­renzraum sitzen, und erklären ihnen auch die Befunde. Bei Bedarf können Spezia­listen aus aller Welt an der Video­kon­ferenz teilnehmen, sodass wir unsere Patienten gemeinsam beraten können.” Die Resonanz der Patienten sei sehr positiv, berichtet Bendszus: Selbst ältere Patienten hätten kaum Probleme, ihrem Arzt per Video­kon­ferenz zu folgen.

Ein Berliner Diagnos­tik­markt­platz und Bilder aus Nigeria
Einen innova­tiven Ansatz verfolgt auch das Berliner Unter­nehmen Medneo, indem es das Carsharing-Modell auf die Mediz­in­technik anwendet. "Verfüg­barkeit ist wichtiger als der Besitz – Teilen ist das neue Haben”, erklärt André Glardon, einer der drei Gründer und Geschäfts­führer der 2011 gegrün­deten Firma. Die Idee, die dahinter steckt: "Wir verkaufen klinische Bilder, keine Geräte.” Medneo baut Diagnos­tik­platt­formen in ganz Deutschland auf, die von Kliniken, Medizi­ni­schen Versor­gungs­zentren und Ärzten genutzt werden. Für diese entfallen die Inves­ti­tionen in Geräte und Infra­struktur sowie die laufenden Betriebs- und Perso­nal­kosten – abgerechnet wird pro Unter­su­chung. Die Ärzte bleiben selbst­ständig, und Kranken­häuser behalten ihre eigenen Radio­logen. So können sich Ärzte auf die Medizin konzen­trieren und sich zudem im telera­dio­lo­gi­schen Netzwerk auf lukrative Weise gegen­seitig unter­stützen. "Als eine Art Markt­platz bringt unser Netzwerk Angebot und Nachfrage zusammen”, erläutert Glardon: Bei spezi­ellen Frage­stel­lungen übernimmt ein Radiologe aus dem Netzwerk die Zweit­be­fundung. Mit Kranken­kassen wie der AOK Nordost hat Medneo Verträge zur Zweit­be­fundung von Kinder-MRTs abgesch­lossen, um die Kennt­nisse von Kinder­ra­dio­logen auch anderenorts nutzbar zu machen. Die Expertise der derzeit rund 50 Radio­logen im Netzwerk werde sogar in Nigeria oder im arabi­schen Raum genutzt, berichtet Glardon. Dafür werden die in den staat­lichen Hospitälern aufge­nom­menen Bilder nach Deutschland übertragen und hier befundet, da es vor Ort vor allem an erfah­renen Radio­logen mangele. Auf diese Weise verbessert die Telera­dio­logie hier direkt die medizi­nische Versorgung der Bevöl­kerung.

Die Beispiele zeigen, wie gut Telera­dio­logie funktio­niert. Auch die Befürchtung, dass Ärzte in Zukunft ohne direkten Kontakt zu Radio­logen auskommen müssen, entkräftet Hosten: "Es wird sicher eine Aufspaltung geben: Fernbe­fun­dungen bei leichter erkrankten Patienten und die Kommu­ni­kation mit Radio­logen in den Kliniken bei Krebs­pa­ti­enten.”

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