Tatsächlich funktioniere die Teleradiologie in Deutschland sehr gut, sagt Norbert Hosten, stellvertretender Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft: "Es gibt unterschiedliche Anbieter und mehrere Hundert Projekte.” Noch deutlich weiter als hierzulande gehe die Vernetzung in Flächenländern, zum Beispiel in Skandinavien. Hier arbeiten an den meisten Standorten gar keine Radiologen mehr. Das habe aber auch Nachteile, da ohne Expertise die Gefahr unsinniger Untersuchungen und Strahlenbelastung steige. In Deutschland werde der Strahlenschutz sehr viel ernster genommen, erklärt Hosten: "Das deshalb in der Röntgenverordnung (RÖV) verankerte Regionalprinzip hält die Projekte kleinteilig und behindert die Entstehung großer Firmen.” Insgesamt profitiere die Radiologie aber von der Entwicklung, so der Experte.
Ein zentraler Aspekt bei der Weiterentwicklung der Vernetzung sei allerdings die Datensicherheit, sagt Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des Fachverbands Elektromedizinische Technik: "Wir brauchen ein anderes Verständnis von Datenschutz. Es geht ja nicht darum, Daten zu schützen, sondern Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre. Heute muss jeder Prozess neu vom Datenschützer auf Länderebene freigegeben werden. Das ist sehr aufwendig und erfordert ständig neue Prüfungen.” Technisch sei vieles möglich, betont Bursig. Ob es gesundheitspolitisch auch gewollt ist, erfordere eine gesellschaftliche Debatte und Entscheidung. Wir zeigen Beispiele aus Hamburg, Heidelberg und Berlin.
Teleradiologie im Asklepios-Konzernverbund
Bereits seit Ende 2007 nutzen die Radiologen der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg die Teleradiologie in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen vom International Neuroscience Institute in Hannover, berichtet Chefarzt Roland Brüning: "In Hannover sind radiologische Kollegen vor Ort, die brauchen also keine klassische Teleradiologie, aber Unterstützung in bestimmten Bereichen. Hier teilen wir uns die Arbeit in enger Absprache sinnvoll auf. Daneben erstellen wir aber auch für die Asklepios Kliniken Lich und Bad Tölz teleradiologische Befunde im Nacht- und Wochenenddienst.” Die Einführung der Teleradiologie habe mehrere Dimensionen, erläutert Brüning: "Zunächst müssen Personal und die Zuweiser damit vertraut gemacht werden, dann muss die technische Dimension natürlich stimmen.” Und schließlich müsse für jedes Teleradiologieprojekt ein Antrag an die zuständige Landesregierung gestellt werden. Für Brüning ist die Teleradiologie ein Erfolgsmodell: "Hier in Barmbek befunden wir einige Tausend Untersuchungen pro Jahr.” Die Patientenaufklärung übernehmen die klinischen Kollegen vor Ort, sie wurden dafür gesondert geschult. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen in Süddeutschland führt in Hamburg sogar hin und wieder zu ungewohnten Einsätzen: "Im vorigen Winter haben wir per Teleradiologie in Bad Tölz einen Patienten untersucht, der einen Unfall mit einer Pistenraupe hatte.” Brüning sieht die Teleradiologie vor allem als Chance, für mehr Qualität in der Fläche zu sorgen. Gerade in Zeiten von Sparzwängen an kleinen wie an großen Häusern solle die Technik genutzt werden: "Die bessere Auslastung durch die Teleradiologie finanziert sogar einige zusätzliche Arztstellen. Alle sollten davon profitieren, sodass die Personalsituation und die Versorgungsqualität im Vordergrund stehen.”
MRT-Nerven-Diagnostik der Uniklinik Heidelberg
Ein anderes telemedizinisches Pilotprojekt in der Hamburger City versetzt die Neuroradiologen des Universitätsklinikums Heidelberg in die Lage, erkrankte Nerven ihrer norddeutschen Patienten darzustellen und so die Ursache ihrer Leiden zu erkennen: Der hier installierte Kernspintomograf bildet selbst winzige Strukturen ab. "Wir stellen den Nerv in seinem Verlauf dar, sehen also das erkrankte Organ direkt”, erklärt der Heidelberger Neuroradiologe Martin Bendszus. Da die Beurteilung dieser hochaufgelösten Bilder allerdings viel Erfahrung mit diesem Verfahren voraussetzt, wurde die sogenannte MR-Neurografie lange nur vor Ort in Heidelberg angeboten. Seit Oktober 2014 untersuchen die Heidelberger Experten nun auch Patienten in Hamburg – per Bildübertragung und Videokonferenz. Der MRT-Scanner vor Ort wird von speziell geschulten Assistentinnen bedient. Die Kernspintomografie kommt ohne ionisierende Strahlung aus und fällt somit nicht unter die Röntgenverordnung, daher muss kein Radiologe vor Ort anwesend sein. Aus dem Kernspintomografen in Hamburg werden die Bilder in Echtzeit nach Heidelberg übertragen und dort von Bendszus und seinem Team befundet: "Per Videokonferenz sprechen wir vor der Untersuchung mit den Patienten, die in Hamburg im Konferenzraum sitzen, und erklären ihnen auch die Befunde. Bei Bedarf können Spezialisten aus aller Welt an der Videokonferenz teilnehmen, sodass wir unsere Patienten gemeinsam beraten können.” Die Resonanz der Patienten sei sehr positiv, berichtet Bendszus: Selbst ältere Patienten hätten kaum Probleme, ihrem Arzt per Videokonferenz zu folgen.
Ein Berliner Diagnostikmarktplatz und Bilder aus Nigeria
Einen innovativen Ansatz verfolgt auch das Berliner Unternehmen Medneo, indem es das Carsharing-Modell auf die Medizintechnik anwendet. "Verfügbarkeit ist wichtiger als der Besitz – Teilen ist das neue Haben”, erklärt André Glardon, einer der drei Gründer und Geschäftsführer der 2011 gegründeten Firma. Die Idee, die dahinter steckt: "Wir verkaufen klinische Bilder, keine Geräte.” Medneo baut Diagnostikplattformen in ganz Deutschland auf, die von Kliniken, Medizinischen Versorgungszentren und Ärzten genutzt werden. Für diese entfallen die Investitionen in Geräte und Infrastruktur sowie die laufenden Betriebs- und Personalkosten – abgerechnet wird pro Untersuchung. Die Ärzte bleiben selbstständig, und Krankenhäuser behalten ihre eigenen Radiologen. So können sich Ärzte auf die Medizin konzentrieren und sich zudem im teleradiologischen Netzwerk auf lukrative Weise gegenseitig unterstützen. "Als eine Art Marktplatz bringt unser Netzwerk Angebot und Nachfrage zusammen”, erläutert Glardon: Bei speziellen Fragestellungen übernimmt ein Radiologe aus dem Netzwerk die Zweitbefundung. Mit Krankenkassen wie der AOK Nordost hat Medneo Verträge zur Zweitbefundung von Kinder-MRTs abgeschlossen, um die Kenntnisse von Kinderradiologen auch anderenorts nutzbar zu machen. Die Expertise der derzeit rund 50 Radiologen im Netzwerk werde sogar in Nigeria oder im arabischen Raum genutzt, berichtet Glardon. Dafür werden die in den staatlichen Hospitälern aufgenommenen Bilder nach Deutschland übertragen und hier befundet, da es vor Ort vor allem an erfahrenen Radiologen mangele. Auf diese Weise verbessert die Teleradiologie hier direkt die medizinische Versorgung der Bevölkerung.
Die Beispiele zeigen, wie gut Teleradiologie funktioniert. Auch die Befürchtung, dass Ärzte in Zukunft ohne direkten Kontakt zu Radiologen auskommen müssen, entkräftet Hosten: "Es wird sicher eine Aufspaltung geben: Fernbefundungen bei leichter erkrankten Patienten und die Kommunikation mit Radiologen in den Kliniken bei Krebspatienten.”


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