Interview mit Thomas Eschenhagen
Herr Eschenhagen, vor einigen Jahren galt "Tissue Engineering" – die Technik, mit der man gezielt menschliches Gewebe nachzüchten kann – als Heilsbringer in der Medizin. In letzter Zeit ist es stiller darum geworden. Sie beschäftigen sich in Ihren Forschungsarbeiten genau damit. Worum geht es da?
1987 wurde der Begriff des Tissue Engineering geprägt. Zwei Ideen stecken dahinter – zum einen die Möglichkeit, neues Gewebe als Ersatz für erkranktes zu züchten, zum anderen der Ansatz, Testsysteme zu entwickeln, die dem menschlichen Organismus möglichst nahe kommen. Haut und Knorpel beispielsweise lassen sich mittlerweile ganz gut herstellen, Wie so häufig in den letzten Jahrzehnten einer immer verkäuferischer agierenden Wissenschaft wurden mit dem Tissue Engineering gegenüber der Öffentlichkeit jedoch viel zu große Erwartungen geweckt. In den 90er Jahren bereits haben manche von einem "kompletten künstlichen Herzen" gesprochen. Was für eine Hybris. Doch tatsächlich kann man mit dem Tissue Engineering wahrscheinlich die Biologie etwas besser nachahmen, den Mangel an guten Tiermodellen ausgleichen und der menschlichen Realität näher kommen – für Testsysteme ebenso wie für Gewebeersatz. An beiden arbeiten wir hier in Hamburg, speziell mit Blick auf unterschiedliche Herzerkrankungen. Allerdings muss einem als Wissenschaftler immer klar sein, die menschliche Natur ist komplex und alles andere als einfach nachzuahmen. Wir kommen voran, aber in kleineren Schritten als die erste Euphorie vermuten ließ.
Was sind diese kleinen Schritte?
Unser Anspruch ist es, durch Gewebezüchtungen einen guten "Gewebeflicken" herzustellen, nicht gleich ein ganzes "künstliches Herz". Und das ist heute möglich. Bei Affen hat sich gezeigt, dass es gut funktioniert, Milliarden aus humanen embryonalen Stammzellen gezüchtete Kardiomyozyten erfolgreich zu implantieren. Und seit einigen Jahren kann man über die Technik der induzierten pluripotenten Stammzellen von jedem Patienten Herzmuskelzellen nahezu unbegrenzt züchten. Wir in Hamburg machen Versuche an Meerschweinchen, da diese ein Herz haben, das dem des Menschen deutlich ähnlicher ist als das von Maus oder Ratte mit einer viel höheren Herzfrequenz. Und auch das sieht erstaunlich gut aus. Trotzdem ist der Weg zum Menschen noch weit. Vor allem müssen die Gewebe erheblich größer werden und es müssen sehr aufwändige Sicherheitsprüfungen erfolgen. Beispielsweise muss man sicherstellen, dass sich in den implantierten Geweben definitiv kein Tumor bildet, und der gesamte Herstellungsprozess muss einen hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandard erfüllen, der im normalen Laborbetrieb nicht gegeben ist.
Doch wenn es klappte, könnte es ein Segen sein. Herz-, Kreislauferkrankungen sind unverändert in der westlichen Welt der Killer Nummer 1. Welchen Patienten meinen Sie, mit den neuen Erkenntnissen künftig helfen zu können?
Bei den kardiovaskulären Gewebezüchtungen haben wir vor allem Menschen mit einer Herzschwäche vor Augen, bei denen beispielsweise in Folge eines Herzinfarktes so viel an Herzgewebe zerstört wurde, dass die Herzleistung deutlich vermindert ist. Aber es könnte natürlich auch bei anderen Herzkrankheiten zum Einsatz kommen.
Sie züchten künstliches Herzgewebe nicht nur, um es einem erkrankten Menschen zu re-transplantieren, sondern um es als Modell nutzen zu können, kranke von gesunden Herzen zu unterscheiden.
Sie sprechen das von dem europäischen Forschungsrat ERC geförderte Projekt IndivuHeart an, das 2014 startet. Hier wollen wir von Patienten mit angeborenen Herzkrankheiten und von gesunden Kontrollen über die oben genannte Technik Herzmuskelgewebe herstellen, diese aufwändig untersuchen und parallel dazu ihren klinischen Verlauf über fünf Jahre verfolgen. Mein Anliegen als Pharmakologe ist es, zu verstehen, welche Arzneimittel bei wem wie wirken und welche neuen eventuell entwickelt werden müssten. Ziel dieses Projektes ist es, bei Menschen mit unterschiedlichen angeborenen Herzkrankheiten die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zu erkennen und Aussagen über den Verlauf der Erkrankung machen zu können. Wir wissen heute, dass bestimmte Mutationen eine Herzkrankheit verursachen können. Wir wissen aber nicht, warum die Herzkrankheit beim einen Menschen mit der Mutation ausbricht, beim anderen mit derselben Mutation aber nicht oder deutlich später. Die Hoffnung ist, dass wir den Verlauf der Erkrankung durch die Untersuchungen an den individuellen Herzmuskeln besser vorhersagen können als nur mit einer genetischen Untersuchung. Außerdem können wir an diesen künstlichen Herzmuskeln sehr gut die Wirkung bekannter und neuer Medikamente testen.
Wie werden Sie genau vorgehen?
Wir werden den Patienten eine kleine Hautbiopsie in lokaler Narkose entnehmen – 3x10 Millimeter groß ungefähr – und daraus eine Zellkultur anlegen. Wenn wir genügend dieser erwachsenen Zellen haben, werden diese reprogrammiert, damit sie sich anschließend zu Herzmuskelzellen ausdifferenzieren können. Der gesamte Vorgang dauert ca. drei Monate. Aus den Herzmuskelzellen machen wir künstliche Herzmuskeln und haben damit letztlich für jeden Patienten und die gesunden Kontrollen ein individuelles Testmodell, an dem wir bestimmte Abläufe untersuchen und auch die Wirkung von Substanzen prüfen und simulieren können. Parallel dazu werden wir uns die Patienten am Anfang und nach 4-5 Jahren sehr genau anschauen: Wir werden sehen, wer von ihnen bereits wie stark erkrankt ist und wie sich die Krankheit spontan bzw. unter der zurzeit normalen Therapie entwickelt. Im Laufe der fünf Jahre hoffen wir festzustellen, in welchem Umfang unsere Untersuchungen an den individuelle Herzmuskeln dazu beitragen, den natürlichen Verlauf die Krankheit vorherzusagen und ob es uns gelingt, Arzneimittel zu identifizieren, die bei dem einzelnen Patienten besonders günstig oder auch besonders kritisch sind. Damit hätten wir einen großen Schritt getan.
Terminhinweis:
Die Medica Education Conference 2013 findet als Bestandteil der Medizinmesse Medica vom 20. bis 23. November in Düsseldorf statt. Unter anderem steht das Thema "Personalisierte Medizin" während der vier Kongresstage im Fokus. Am 21. November spricht Sir John Burn von der Universität Newcastle in seiner Keynote-Lecture über Möglichkeiten und Herausforderungen umfangreicher Genomuntersuchungen sowie über personalisierte Therapieansätze auf Basis von genetischen Untersuchungen.


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