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IT-Leiter„Wir sind ein bisschen wie Don Quichotte”

Die Krankenhaus-IT ist selten Treiber von Innovationen, sondern meistens Getriebener, moniert Michael Thoss. Der Sprecher des Verbands der Krankenhaus-IT-Leiter und IT-Chef der DRK Kliniken Berlin erklärt in diesem Beitrag, warum das so ist.

Wir befassen uns im folgenden Beitrag mit drei Schlagworten, deren Kontext für die allgemeine Entwicklung der IT im Krankenhaus oftmals verkannt wird und deren Auswirkungen im Krankenhausmanagement noch nicht in vollem Umfang angekommen sind.

Digitale Transformation: Vieles ändert sich radikal
Was verbirgt sich hinter „Digitaler Transformation” tatsächlich? Unter dem Begriff verstehen wir im Allgemeinen den Wechsel von analogen auf digitale Verfahren. Zum Beispiel, wenn Papier durch Software ersetzt wird. In diesem Fall wird ein bisher langlebiges Verfahren mit geringen Änderungshäufigkeiten durch eine Software mit einem intensiven Veränderungsmanagement ersetzt. Wir tauschen also bewusst ein eher statisches Verfahren gegen ein sehr dynamisches und berücksichtigen den Aufwand aus dieser Dynamik in der Regel nicht. Digitale Transformation findet auf allen Ebenen statt, oftmals getrieben vom „Consumer”-Bereich schaffen es Technologien in den „Business”-Bereich. Die digitale Transformation stellt zwangsläufig an irgendeinem Punkt der Entwicklung Ansprüche an die Unternehmensorganisation und zwar sowohl im Aufbau als auch im Ablauf. Wesentlich bedeutsamer sind jedoch die Auswirkungen auf die Finanzierung von Dienstleistungen der IT.

Technologische Konvergenz: Freifläche im Keller nimmt zu
Unter dem schwer zu fassenden Begriff „Technologische Konvergenz” verstehen wir den Wechsel einer Technologie auf eine – von der Vergangenheit abweichende – neue Plattform. Beispiele der letzten Jahre finden sich in unterschiedlichsten Bereichen und bezeichnen zumeist die Überleitung auf die „IP”-Plattform. IP steht für Internetprotokoll und definiert eine bestimmte Art von Datenübertragung. In der Praxis war die prägendste Veränderung sicher die Einführung von Voice over IP (VoIP). Neben der Einführung von Telefonie über das Internet haben Kliniken ganze Telefonanlagen ausgetauscht, hunderte von Endgeräten ersetzt und oftmals die Zuständigkeit von der Haustechnik (Versorgungstechnik) gleich mit auf die IT übergeleitet. Bei IT-Netzen auf IP-Basis kann es – wie bei der Highlander-Saga im gleichnamigen Film – eben nur einen geben. Einen Betreiber. Dieser ist kompetenzbedingt die IT. Im Ergebnis sind heute Telekommunikationsanlagen (TKA) keine „Schränke” mehr, sondern Server und die Freiflächen in Kellerabteilen haben deutlich zugenommen.

Weitgehend unbemerkt finden unter diesem Begriff aber noch weitere Entwicklungen statt. Videoüberwachung erfolgt heute mittels IP-Kameras und nicht mehr über analoge „Zwei-Draht”-Verkabelungen. Daraus leiten sich wiederum Netzwerk- und Serverbetrieb mit Folgelasten wie Sicherheit und Datensicherung für die IT ab. Beim Patientenentertainment (Fernsehen, TV) haben wir die gleiche Stoßrichtung, unter anderem durch sogenannte Patient Bedside Terminals (PBT), neun bis 15 Zoll große Betten-Fernseher für den Komfort unserer Patienten und die Bereitstellung von Zusatzdiensten wie Speisenversorgung oder WLAN-Internetangebote. Ebenso ist es kaum noch vorstellbar, dass neue Medizintechniksysteme keine Daten an die elektronische Patientenakte (EPA) liefern. Was bedeutet das aber, wenn wir einen Blick auf ein „kleines” Detail werfen?

Stellvertreterkampf der IT-Leiter
Tauscht die Medizintechnik heute ein analoges (altes) Ultraschallsystem nach fünf bis sieben Jahren Standzeit aus und nimmt das Folgegerät im Sinne einer Ersatzbeschaffung im Krankenhaus in Betrieb, so verändert sich weder am Bestand noch an den Verfahren der Medizintechnik etwas (vielleicht abgesehen von Risikomanagementprozessen im Rahmen der DIN 80001).

In der IT verändert sich dahingegen einiges: Für die physikalische Integration der Geräte werden Netzwerkanschlüsse (Ports) benötigt, für die logische Integration ein bis n Schnittstellen für die Übermittlung von Patientendaten (HL7), von Arbeitslisten (DICOM) oder Bilddaten / Befunden (DICOM/HL7). Es entstehen außerdem zusätzliche Sicherheitsanforderungen – beispielsweise für den Schutz vor Viren – und das Volumen der Datenhaltung sowie der davon abhängigen Datensicherung nimmt zu. Unglücklicherweise sind das alles Kostentreiber im Sekundärbereich (Primärbereich und Auslöser ist die Medizintechnik als Handlungsanstoß). Somit werden sowohl personelle als auch wirtschaftliche Ressourcen der IT je Gerät stärker beansprucht. Was in der Regel im Rahmen der Wirtschaftsplanung für das Folgejahr erstmalig auffällig wird und nicht während der Planung im Vorjahr für das laufende Geschäftsjahr kalkulatorisch berücksichtigt wurde. Oftmals führt daher der IT-Leiter bei der Verteidigung „seines” Budgets einen Stellvertreterkampf bei der Darstellung der Sekundärkosten. Es ist ein wenig wie Don Quichotte und meistens mit vergleichbar schlechten Aussichten.

Internet der Dinge: Daten auf der Suche nach Sinn und Zweck
Bereits heute kommunizieren Heizungsanlagen („Dinge”) via Internet mit ihrem Hersteller, um Wohlbefinden und Unwohlsein mitzuteilen. Das nennt sich dann vielleicht Präventivwartung. Den meisten Kunden dieser Komfortfunktion ist allerdings nicht bewusst, dass sie sich damit Sicherheitslücken einhandeln, die im Internet via entsprechende Websites standardisiert für jedermann zugänglich sind. Mit minimalem Aufwand können Sie bereits heute wildfremden Leuten die Heizung herunterdrehen. Letztendlich verbirgt sich hinter dem Begriff „Internet der Dinge” der Trend, nahezu jedes vorstellbare Gerät mit anderen kommunizieren zu lassen. All das auf Basis des Internetprotokolls (IP), der Kernkompetenz der IT jedes Unternehmens. Auf dieser Grundlage wechselt zukünftig die Gebäudeleittechnik mit immer mehr Komponenten in die IT und fordert deren Übertragungswege (Bandbreite) mit mehr Volumen, höherer Geschwindigkeit und anspruchsvolleren Servicevereinbarungen sowie Servicequalitäten. Demnächst möchte der Patient vermutlich die Verdunkelung seines Einzelbettzimmers regeln können, ohne das Bett zu verlassen. Vielleicht helfen solche Dienste aber auch der Schwester im Dienstzimmer, um Wege zu sparen und knappes Personal zu entlasten.

„Wearables” sind der derzeit aktuellste Trend. Sozusagen der Gesundheits- und Wellnessartikel für den Selbstzahler, seien es Fitnessarmbänder, Uhren oder andere tragbare Geräte. Nicht wenige möchten diese Daten Medizinern zugänglich machen, so wie bereits bei Herzschrittmachern üblich. Eine weitere Entwicklung ergibt sich durch Ideen rund um das Ambient Assited Living, auch hier fallen Daten an, die noch einen weitergehenden Sinn und ein Ziel suchen.

Großes Missverhältnis: Mehr Verantwortung, gleiches Budget
Wie zuvor dargestellt, nehmen die Aufgaben der IT fremdbestimmt zu: Server- und Speicherbetrieb, die Zunahme an unterschiedlichen Schnittstellen und deren Betrieb, Sicherheitsanforderungen und Risikomanagement. All das löst bereits Ressourcenprobleme aus, da ein Verantwortungswechsel beim Technologiebetrieb in den seltensten Fällen mit der Verschiebung von Budgets (inklusive Personal) einhergeht. Gleichzeitig nehmen die Qualitätsanforderungen an das Veränderungsmanagement der IT zu. Ist ein Gerät erst einmal integriert, betrachten die Nutzer jede Unterbrechung der Verfügbarkeit als extreme Einschränkung. Hier zeigt sich jedoch ein Problem der schönen digitalen Welt: Die Handhabung von fünf Softwarewerkzeugen ist ungleich komplizierter als die Nutzung von fünf DIN-A4-Belegen. Bei Software gibt es weder eine einheitliche Bedienlogik, noch eine einheitliche Benutzeroberfläche, noch oftmals eine ähnliche optische Erscheinung. Auch dieser Ausbildungsaufwand benötigt eine ständige Versorgung mit Mitteln des Wirtschaftsplans. Ansonsten laufen sich kostenintensive Investitionen in kürzester Zeit tot.

IT lebt von Weiterentwicklung – das gilt auch für die Mitarbeiter
Die IT ist heute nur noch bedingt Treiber von Innovationen. In den meisten Fällen ist sie Getriebener durch Entscheidungen in anderen Kompetenzbereichen, im Schwerpunkt durch die Medizintechnik und zunehmend durch die Versorgungstechnik. Die Betriebskostenkalkulationen sind dagegen oftmals unvollständig, weil sie zwar die Anschaffungskosten und deren Pflegeaufwand berücksichtigen, nicht jedoch die Kosten des Veränderungsmanagements durch wiederkehrende Überarbeitungen von Software (Updates) inklusive der Weiterbildungskosten des Personals. Mitarbeiter können nicht einmalig im Rahmen eines Projektes geschult werden. Dieser Prozess muss ständig fortgesetzt werden. Nur dann kommen Mehrwerte „unter die Leute” und entfalten Nutzen.

Foto: DRK Kliniken Berlin

Michael Thoss ist seit 1996 bei den DRK Kliniken Berlin als IT-Chef für Strategie, Konzeption und IT-Betrieb verantwortlich. Seit 2009 sitzt er im Vorstand des Bundesverbandes der Krankenhaus-IT-Leiter.

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