Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

Gesundheits-IT„Wir wollen die IT-Durchdringung in Europa zeigen”

Stephen Lieber, Chef der Gesundheits-IT-Messe Himss, spricht im kma-Interview über die Erfolge der Gesetze von Barack Obama und die Aktivitäten seiner Organisation in Europa.

Himss ist die führende Organisation für Gesundheits-IT in den USA. Himss steht für Health Information Management and Systems Society und richtet einmal pro Jahr die gleichnamige Messe aus. Ende Februar fand die diesjährige Himss in Orlando statt.

kma-Interview mit Stephen Lieber, Präsident der Himss

Das Gesetz zur sinnvollen Anwendung von IT im Gesundheitswesen, allgemein "Meaningful Use" genannt, sorgt in der US-Szene für Aufbruchsstimmung. Wie funktioniert das Gesetz genau?

Das Gesetz beinhaltet ein Set von 14 Anforderungen, wie Gesundheitsdienstleister Daten erheben, benutzen und austauschen sollen, um so die Behandlungsqualität zu verbessern. Die Gesundheitsbehörde definiert derzeit verschiedene Stufen. Erfüllt eine Klinik diese Kriterien, bekommt sie Geld. Insgesamt hat die Regierung 19,2 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt.

Wieviel von dem Geld ist denn schon geflossen?

Praktisch noch nichts, weil Kliniken und Ärzte zwar schon Dinge umsetzen, aber noch nicht die erste Stufe erreicht haben. Eine Klinik aus Kentucky hat kürzlich als erster Leistungserbringer Geld bekommen. Die Kriterien für die zweite Stufe werden gerade von der Gesundheitsbehörde definiert.

Wann gibt es Geld?

Eine Institution muss Software installiert und mindestens 90 Tage in Gebrauch haben. Erst dann kommt sie überhaupt für eine Zahlung in Frage. Derzeit gilt es bei knapp der Hälfte aller Krankenhäuser als wahrscheinlich, dass sie die zweite Stufe erreichen werden. Das meiste Geld wird aber erst in ein bis zwei Jahren fließen.

Wie ist insgesamt die Resonanz auf das Gesetz?

Eine Umfrage von Himss Analytics unter IT-Verantwortlichen hat ergeben, dass nur zwei Prozent der Krankenhäuser sich noch nicht mit der Planung oder Umsetzung von elektronischen Patientenakten befasst haben.

David Blumenthal, der nationale Koordinator für Healthcare IT, sprach davon, dass dieses Gesetz eine Infrastruktur aufbaut, die es so weltweit noch nicht gibt. Ist das Gesetz aus ihrer Sicht wirklich so weltbewegend?

Blumenthal stand vor einem US-Publikum und hat seine Rede dementsprechend adressiert. Das Gesetz schafft aber auf jeden Fall einen dramatischen Wandel in kurzer Zeit.

Die USA wollen mit dem Gesetz nationale Standards für Interoperabilität von Software durchsetzen. Fördert das den Export von IT?

Das ist für die heimische Industrie sicher ein Vorteil gegenüber Ländern, in denen solche Standards nicht einheitlich geregelt sind. Aber im Kern geht es um Versorgungsqualität. Denken Sie nur mal an Pandemien, die machen vor Landesgrenzen keinen Halt. In Zukunft muss Gesundheits-IT innerhalb eines Landes, aber auch über die Landesgrenzen hinaus Daten sinnvoll austauschen können. Das ist eine Konsequenz der zunehmend mobilen Gesellschaft.

Blumenthal schätzt, dass in den kommenden Jahren 10.000 neue IT-Fachkräfte pro Jahr in den USA gebraucht werden. Wo kommen die her?

Dieses Problem sehen einige Leute, ich gehöre nicht dazu! Das Gesetz ist eine Herausforderung, sicher. Aber bisher sehen wir nicht, dass Krankenhäuser Software kaufen und niemanden finden, der sie installieren würde. Der Markt wird das regeln.

Im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" werden US-Wissenschaftler zitiert, die vor elektronischen Patientenakten warnen, weil Ärzte so Diagnosen nur noch kopieren und nicht mehr prüfen würden. Bei Fehldiagnosen sei das fatal. Was antworten Sie darauf?

Das ist Angst vor dem Fortschritt! Wir haben auf der Himss ein älteres Video mit einer Krankenschwester gezeigt, die bei der Behandlung keine Handschuhe tragen wollte, weil es Patienten abschrecken würde. Heute ist das Standard. Die Ursachen für Gesundheit und Krankheit eines Menschen sind so komplex, dass sie ein Arzt gar nicht alle im Kopf haben kann. In Zukunft wird Gesundheits-IT Informationen nicht nur speichern, sondern so aufbereiten, darstellen und verknüpfen, dass der Arzt von morgen darauf angewiesen ist, wenn er den diagnostischen Fortschritt umsetzen möchte.

IT sorgt aber vor allem auch für Transparenz. Wann ist das Gesundheitswesen reif für eine erfolgsabhängige Bezahlung der Leistungserbringer?

Das ist ein schwieriges Thema. Die Diskussion ist im Gange, aber bisher hat keiner eine schlüssige Idee, wie man das umsetzen soll. Ansatzweise findet man Antworten bei den Konzepten von Disease-Management-Programmen.

Letztes Jahr hat das Unternehmen Himss Analytics ein Marktforschungsunternehmen aus Leipzig gekauft. Was haben Sie damit vor?

Himss Analytics betreibt seit sechs Jahren Marktforschung im US-Markt. Mit dem Zukauf wollen wir auch für Europa Analysen des Gesundheitsmarkts erstellen. Wir wollen die IT-Durchdringung in Ländern und einzelnen Regionen zeigen. Dafür haben wir 115 verschiedene Applikationen definiert, die wir gerade in europäischen Krankenhäusern abfragen. In Schweden haben wir im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt ausgerollt, nun sollen weitere europäische Staaten folgen.

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen