Der Gesetzgeber plant, dass Kassenärzte und Kliniken jeweils ihre eigenen offenen Standards definieren sollen. Behindert das den Datenfluss nicht eher, als dass es hilft?
Absolut. Interoperabilität kann nur sichergestellt werden, wenn nicht jeder Sektor für seinen Bereich eigene Vorgaben definiert, ohne dass es eine übergreifende Koordination gibt. Zudem ist es wichtig, neben den Organen der Selbstverwaltung auch die Wissenschaft und die Industrie einzubinden.
Das KV-Safenet soll als Bestandsnetz an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen werden. Bei vielen Beteiligten herrscht deswegen Angst vor einem Staat im Staat. Ist die Angst berechtigt?
Mit dem KV-Safenet gewährleisten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) heute eine sichere Kommunikation zwischen Ärzten. Dasselbe plant mittelfristig die Gematik mit ihrem Dienst KOM-LE. Als Provisorium ist dieser Zustand legitim, zudem soll KV-Safenet an die TI angeschlossen werden. Auch tauchen in der Debatte jetzt Begriffe wie Investitionsschutz für Ärzte und Bestandsschutz für Bestandsnetze auf. Langfristig ist das aber nicht Sinn der Übung. Die KOM-LE als Dienst der TI und KV-Safenet sind absolut kompetitiv. Auch wenn man sie im „Vertrauensraum” der TI zusammenführen kann – am Ende bleiben es Parallelstrukturen. Und diese kosten doppelt Geld – direkt oder indirekt Geld der Versicherten. Handelte es sich bei dem eingesetzten Geld um Steuern, würden sich vermutlich der Bundesrechnungshof oder der Bund der Steuerzahler in dieser Sache äußern. Hier muss es mehr Koordination und Strategie geben. Dies beginnt schon beim jetzigen E-Health-Gesetzentwurf: Der Gesetzgeber will einen Anreiz für die Verwendung des elektronischen Entlassbriefs wie auch für den elektronischen Arztbrief schaffen. 50 Cent soll ein Arzt für die Entgegennahme eines elektronischen Entlassbriefs und 55 Cent pro Versand eines elektronischen Arztbriefs bekommen. Letzteres auch dann, wenn er ihn über das KV-Safenet versendet. Das ist im Grunde auch ein richtiges Signal. Man muss aber schon heute aufpassen, keine Fehlanreize zu setzen, mit denen man langfristig Doppelstrukturen manifestiert.
Demzufolge hat der verzögerte Aufbau der Telematikinfrastruktur fatale Folgen. Wo gibt es außerdem noch Parallelstrukturen?
KV-Safenet ist nur ein Beispiel. Ähnlich sieht es mit AMTS-Projekten aus. Gar nicht zu reden von den vielen regionalen Projekten mit Elektronischen Patientenakten (EPA). Es ist heute nur noch schwer vorstellbar, eine einheitliche EPA einzuführen, ohne nicht in massive Interoperabilitätsprobleme mit regionalen Projekten hinein zu laufen. Deshalb ist aber die Konsentierung und Nutzung internationaler Standards so wichtig. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass ein unabhängiger Expertenrat eingesetzt wird, der in diesen Fragen klare Empfehlungen ausspricht.
Die Koalition plant einen Expertenrat, den die Gematik einsetzen soll ...
Nach dem Gesetzentwurf kann die Gematik Experten zu bestimmten Themen befragen – doch dieser Weg ist kontraproduktiv. Denn die Art der Frage bestimmt oft die Antwort. Fragen, die aus den Sektoren im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht gefragt werden, können nach diesem Modus auch nicht beantwortet werden. Dies ist sicher nicht zielführend. Nicht umsonst haben die Autoren der Interoperabilitätsstudie einen unabhängigen E-Health-Rat gefordert, der auch eigene inhaltliche Impulse geben kann.
Wer sollte Ihrer Meinung nach in einem Expertenbeirat sitzen?
Hierzu macht der aktuelle Gesetzentwurf schon sehr zielführende Vorschläge. Natürlich müssen die Vertreter der Selbstverwaltung darin sitzen. Außerdem Vertreter aus Industrie, Forschung und den Fachgesellschaften. Diskussionen, bei denen aktive Fachärzte mit am Tisch sitzen, könnten ganz anders verlaufen als reine Verbandsrunden. IT-Experten müssen mit Ärzten und Wissenschaftlern Konsens erzielen, um die reale Anwendung von Standards voranzubringen.
Die Verfasser des BMG-Gutachtens fordern ein E-Health-Institut. Der Gesetzgeber hat dafür jetzt die Gematik auserkoren. Ist das aus Ihrer Sicht die richtige Wahl?
Die Gematik soll den sicheren Betrieb des Netzes verantworten und notwendige Schnittstellen und Standards umsetzen. Daran will niemand etwas ändern. Entsprechend muss die Gematik inhaltlicher Auftraggeber für Expertisen und Empfehlungen sein. Man darf aber nicht vergessen, dass die Gesellschafter der Gematik selber – nicht zuletzt nach dem aktuellen Gesetzentwurf – die Aufgabe haben, sektoral Schnittstellen zu definieren. Mithin sind sie diejenigen, die beraten werden sollen und auch mit unliebsamem Ratschlag offen umgehen müssen. Entsprechend muss der Expertenrat unabhängig von der Gematik und ihren Gesellschaftern aufgehängt sein.
Das geplante Interoperabilitätsverzeichnis soll außer für KV-Ärzte kostenpflichtig und nicht verpflichtend sein. Wer hat davon einen Nutzen?
Niemand. Soll zum Beispiel der Verein HL7 für Geld alle seine Standards in das Verzeichnis eintragen, damit seine Nutzer jetzt da rein schauen? Ich bezweifle, dass hieran ein ernsthaftes Interesse bei den betreffenden Institutionen besteht, zumal es nationale Übersichten bereits gibt. Schauen Sie mal auf die Webseiten von HL7 oder IHE – dort finden Sie alles. Auch ist die Frage, welchen Sinn der Eintrag in das neue Verzeichnis haben soll, wenn damit keinerlei Verbindlichkeit in der Anwendung verbunden ist. Wenn es letztlich nur darum geht, ein Register von allem, was es gibt, zu machen, hätte man auch das DIMDI beauftragen können, eine Webseite anzulegen, auf der alle Primärquellen zu Standards und Profilen verlinkt sind.
Sie fordern in Ihrer Stellungnahme, die medizinische Forschung müsse im E-Health-Gesetz berücksichtigt werden. Warum ist das so wichtig?
Bislang laufen die IT-Welten von Patientenversorgung und Forschung auseinander. Das ist aber volkswirtschaftlich zunehmend problematisch. Insbesondere Versorgungsforschung lässt sich ohne durchgängige IT-Infrastruktur nicht betreiben. Medizinische Forschung und der öffentliche Gesundheitsdienst müssen daher bei der Ausgestaltung der Telematikinfrastruktur stärker berücksichtigt und bei den Festlegungen zur Interoperabilität einbezogen werden.


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