
Als Axel Jahnz zum ersten Mal von der Idee hörte, hat er direkt angebissen. Dem Oberbürgermeister von Delmenhorst gefiel die Vorstellung: „Ich dachte sofort an die hohe Identifikation, die das bewirkt.“ Auch deshalb sind die Beschäftigten des Krankenhauses in dem 80 000-Einwohner Städtchen im Norden Niedersachsens jetzt wie Gesellschafter am wirtschaftlichen Erfolg ihres Hauses beteiligt. Wer mit Gert Prahm darüber spricht, merkt schnell, wie sehr er diesen kleinen Triumph genießt, auch wenn die Nachricht in Pandemie-Zeiten ein wenig unter dem Radar blieb. Prahm war bis Ende 2020 Betriebsratsvorsitzender in dem 2018 rekommunalisierten Haus, das seit kurzem Delme Klinikum Delmenhorst (DKD) heißt. Zusammen mit seinem ehemaligen Co-Vorsitzenden hatte er die Idee zu der Beteiligung.
Gut drei Jahre hat es gedauert, sie in eine juristisch saubere Betriebsvereinbarung zu gießen, die alle rund 830 Beschäftigten, die auf 685 Vollzeitstellen tätig sind, gleich bedenkt. Alle werden die gleiche Ausschüttung bekommen – egal ob sie in der Pflege, im medizinischen Bereich, in der Verwaltungs- und Service-Gesellschaft oder im MVZ des Klinikums arbeiten. Die Botschaft dahinter ist Geschäftsführer Florian Friedel wichtig: „Krankenhaus ist Teamarbeit, und der Beitrag jedes einzelnen wird gleichermaßen wertgeschätzt.“ Dieses Prinzip gelte auch schon bei der leistungsorientierten Bezahlung.
Als Arbeitgeber abgrenzen
Friedel sieht die Vereinbarung vor allem als gute Möglichkeit, sich als Arbeitgeber im Wettbewerb mit den anderen kommunalen Kliniken in der Region abzugrenzen, attraktiver zu werden. Zudem werde so jedem bewusster, „dass wir wirtschaftlich arbeiten müssen“, hofft Friedel. Verschwendung etwa könne jeder vermeiden oder bei Bestellungen auf gleichwertige günstigere Produkte achten. „Im Kleinen können alle daran arbeiten. Wenn wir das in die Köpfe bekommen, ist ein Rieseneffekt möglich.“ Gert Prahm, mittlerweile im Ruhestand, dem Haus als Datenschutzbeauftragter aber noch verbunden, geht es hauptsächlich um eine Perspektive für die Beschäftigten. Prahm arbeitet seit mehr als 30 Jahren für die Klinik und hat in der Zeit mittlerweile 18 Geschäftsführer erlebt. Sanierung ist in Delmenhorst seit vielen Jahren ein Dauerzustand – nicht erst seit dem Jahr 2015.
Damals fusionierten das Städtische Klinikum (zu der Zeit 247 Betten) und das katholische St. Josef-Stift (damals 163 Betten) zum Josef Hospital Delmenhorst (JHD) und wurden Mitte 2016 am jetzigen Standort in der Wildeshauser Straße im Stadtteil Deichhorst zusammengelegt. Mit der Fusion der beiden defizitären Häuser übernahm die katholische Stiftung St. Josef die Mehrheit, die Stadt blieb lediglich mit zehn Prozent beteiligt. Rund lief es trotzdem nicht. 2017 meldete die Klinik Insolvenz an, ihr Minus lag damals bei mehr als zwölf Millionen Euro.
Die Stadt hält jetzt alle Anteile
Aufgeben, Privatisierung oder Rückkauf? Die Kommune entschied sich für letzteres, seit Mai 2018 hält sie alle Anteile. Für ihr Konsolidierungskonzept, das den Insolvenzverwalter überzeugte, hat die Stadt seit 2019 rund 14 Millionen Euro hingelegt. Sechs weitere Millionen fließen in den Brandschutz des alten Klinikgebäudes. Um alles zu finanzieren wurden unter anderem die Steuern erhöht. Im Stadtrat wurde deshalb heftig debattiert. Es brauchte zwei Anläufe und eine viel beachtete Rede des OB, bis der für die Rekommunalisierung nötige Nachtragshaushalt durchging.
Gemeinsam sei ein Kraftakt gelungen, sagt Jahnz, der auch Aufsichtsratsvorsitzender des DKD ist, „auf den ich wahnsinnig stolz bin“. Auch deshalb war den Politikern der neue Name so wichtig. Mit der Umbenennung in Delme Klinikum am 1. Juli ist das Haus wieder eindeutig das Krankenhaus der Stadt. Viele sehen das als weiteres Zeichen für den Aufbruch. Das passt perfekt, steht in Deichhorst wenige Jahre nach Abschluss des Insolvenzverfahrens doch der Spatenstich für einen kompletten Neubau bevor.
Die Beschäftigten haben in all den Jahren so manche Kröte geschluckt. Sie haben auf Gehalt verzichtet, akzeptiert, dass ihr Haus aus der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ausstieg, und rund 160 Kollegen in zwei neu gegründete Tochtergesellschaften ausgegliedert wurden. Hinzu kam ein schmerzhafter Personalabbau. Viele sind freiwillig gegangen, rund 90 Beschäftigte erhielten damals Kündigungen. „Zumindest haben wir sie nicht mit der Post verschickt“, betont Florian Friedel, „und wir haben allen ein Gespräch angeboten“. Zudem standen Psychologen für die Betroffenen bereit, und Coaches unterstützten diejenigen, die Kündigungsgespräche führen mussten.
Signal an die Beschäftigten
Friedel weiß, dass die Klinik den Mitarbeitern einiges schuldet. Kommt es wirklich zur maximalen Kapitalausschüttung, entspräche das in etwa dem Beitrag, den sie in den Jahren geleistet haben und immer noch leisten, sagt er. Wann erstmals Geld fließen wird, ist allerdings ungewiss. Zwar sei das Haus heute über den Berg, „doch wir sind in die Corona-Talsohle gerutscht“, sagt Friedel. Das erste Quartal 2020 – also in der Zeit vor Corona – habe die Klinik unter dem Strich positiv abgeschlossen. Nach einem durch die Ausgleichszahlungen insgesamt guten Jahr 2020 plane er für 2021 jedoch mit einem negativen Ergebnis. Ab 2022 dagegen sei er „ganz optimistisch“ und rechne in den dann folgenden Jahren mit der ersten Ausschüttung.
Friedel will jetzt zeigen, „dass es machbar ist“, und auch die Skeptiker überzeugen. Zwar habe die neue Betriebsvereinbarung gute Resonanz bekommen, „doch viele werden es erst wirklich glauben können, wenn sie das Geld auf dem Konto haben“, sagt die heutige Betriebsratsvorsitzende Mareike Sudbrink. Für sie ist das Modell ein Signal an die Beschäftigten: „Endlich eine positive Botschaft nach all den Jahren.“ Das war auch Gert Prahm wichtig: „Wir wollten perspektivisch etwas entwickeln.“ Eine Prämie hätte da nicht gereicht.
Florian Friedel ist seit 2017 in Delmenhorst. Der Jurist und Sanierungsexperte arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Klinikmanager und war vor dem Wechsel an die Delme für das Klinikum Hann. Münden und die Deister-Süntel-Klinik in Bad Münder tätig. Der Betriebsrat um Prahm hat ihn kontaktiert, weil das Gremium Zweifel am Sanierungskonzept seines Vorgängers hatte. Friedel sollte für den Betriebsrat ein eigenes Gutachten erstellen – und er ist geblieben. Erst eingesetzt vom Insolvenzverwalter im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit der 2018 gegründeten Hospital Management Group (HMG), den die Stadt dann übernommen hat. Mittlerweile zählt die HMG rund 30 Beschäftigte, die als Klinikleitungen und auf anderen operativen Schlüsselpositionen wie Pflegedienstleitung oder OP-Manager eingesetzt werden. Derzeit ist sie bundesweit in zwölf Kliniken aktiv. Friedel ist Mitgründer und Geschäftsführer der HMG.
Sparringspartner im Aufsichtsrat
Der 50-Jährige mag es, die Dinge anders zu machen. Das war seine Bedingung, als er nach Delmenhorst kam: „Ich mache es nur so, wie ich mir das vorstelle.“ Dazu gehörte auch, dass er eine Initiative von Politik und Verwaltung zum Umbau des Aufsichtsrates unterstützt.
In dem nun sieben Mitglieder zählenden Kontrollgremium sitzen jetzt neben OB Jahnz, einem Arbeitnehmervertreter und Abgesandten der zwei größten Stadtrat-Fraktionen drei ausgewiesene Experten. Barbara Schulte, Geschäftsführerin Finanzen und Infrastruktur des Klinikum Region Hannover (KRH), steht für das kaufmännische Know-how, ein ehemaliger Richter des Amtsgerichts für die juristische Expertise und Dr. Christoph Titz, Delmenhorster Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, für den medizinischen Part. Für Florian Friedel sind das „herausfordernde Sparringspartner“, doch ihm helfe „ihr Gespür für das, was operativ wichtig ist“, sagt er.
Dass die Kommunalpolitiker die Neubesetzung zuließen, sei nicht schwierig gewesen, versichert Axel Jahnz: „Es ist sinnvoll, kompetente Leute in den Aufsichtsrat zu holen, die etwas von der Materie verstehen. Wir mussten neue Voraussetzungen schaffen und neu denken. Da darf das Ego nicht im Vordergrund stehen.“ Auch die Frage, wem die Besetzung der Chefarztposten obliegt, ist seitdem eindeutig geregelt. „Das ist für die Gestaltung der Zukunft des Krankenhauses immens wichtig und deshalb allein Sache der Geschäftsführung“, betont Friedel.
Die Klinik südwestlich von Bremen positioniert sich als „großer Grund- und Regelversorger mit relativ breitem Spektrum“. Dazu zähle die Thoraxchirurgie genauso wie regelmäßige Pankreas-OPs und eine große Notaufnahme mit zwei dort stationierten Notarztfahrzeugen. Bei einem Einzugsgebiet von rund 120 000 Menschen stehe die Existenzberechtigung seiner Klinik außer Frage, ist Friedel überzeugt – trotz der Nähe zu zahlreichen Krankenhäusern in der Hansestadt und in Oldenburg.
Der Fluch des Niels Högel
Ein Grundproblem für die Schieflage in Delmenhorst war das, was für diverse Krankenhäuser gilt: Die Kosten passten nicht zu den Erlösen. Zudem sank die Zahl der Patienten nach der Fusion um 15 Prozent, während die Personalkosten um sieben Prozent stiegen. Viel wurde damals mit dem Namen Niels Högel erklärt. Der ehemalige Krankenpfleger arbeitete von 2002 bis 2005 in Delmenhorst und hat in der Zeit mehr als 60 Menschen getötet. Högel wurde zuletzt 2019 zum zweiten Mal zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Dass sein Name noch immer mit der Klinik verbunden ist, macht den Verantwortlichen zu schaffen – „das liegt so lange zurück“, sagt Mareike Sudbrink. Doch wann immer wieder ein Prozess das Geschehen thematisiert – wie zuletzt Ende April, als es um die Rolle von leitenden Mitarbeitern des Klinikums Oldenburg ging, in dem Högel bis 2002 arbeitete – kocht alles erneut hoch. Florian Friedel allerdings ist die Mordserie als Erklärungsmuster nicht genug: „So etwas geht nicht spurlos an einem Haus vorbei, aber es war nicht der alleinige Grund für die bestehenden Probleme“, sagt er. Zudem mache man es sich damit zu einfach, „das hieße ja, dass man an der Situation wenig ändern kann“.
Er hat stattdessen die anderen Probleme aufgearbeitet – und er hat gehandelt. „Wenn sich schnell etwas verändern soll, müssen alle mitziehen und wieder selber Entscheidungen treffen“, betont Friedel. Deshalb hat er viel Zeit darauf verwandt zu verdeutlichen, was das Ziel ist – und dafür in Chefarztsitzungen zunächst „ausführlich das Thema Verweildauer und deren Wichtigkeit erklärt“. Seitdem wurde der Case Mix pro Belegungstag deutlich gesteigert, indem die Verweildauer gesenkt wurde. Parallel dazu hat er das Berichtswesen deutlich kompakter gestaltet. „Ganz wenige Zahlen berichten – die jedoch sehr regelmäßig und mit klaren Zielvorgaben“, beschreibt er seine Philosophie.
Für 2026 ist der Umzug geplant
Aktuell hat das Haus 290 Planbetten – bei der Fusion waren es noch 340 – „und auf dieser Grundlage entsteht jetzt auch der Neubau“, sagt Friedel. Den fördert das Land Niedersachsen mit 150 Millionen Euro. Zusätzlich hat Friedel einen Eigenanteil von rund 30 Millionen Euro errechnet, den das Krankenhaus im Rahmen seiner Wirtschaftsplanung selbst aufbringen soll. Für Anfang 2026 rechnet er jetzt mit dem Umzug in die neuen Räume – „vielleicht zu Ostern, dann ist die Belegung nicht so hoch“. Das denkmalgeschützte Gebäude, in dem die Klinik derzeit untergebracht ist – 1927 von dem Architekten Fritz Höger entworfen – fällt dann an die Stadt zurück. Dort werde bereits intensiv an einem Konzept für die Nachnutzung gearbeitet, sagt Axel Jahnz.
Florian Friedel mag Aufträge dieser Größenordnung. „Das ist viel spannender als richtig große Häuser“, sagt der 50-Jährige, der an den Wochenenden in seine rund 260 Kilometer entfernte Heimatstadt Schleswig pendelt: „In Delmenhorst habe ich mit allen Unternehmensteilen zu tun, bin sehr nah dran am Geschehen und an den Menschen – und ich kann selbst entscheiden.“ Zudem ist er hier noch nicht fertig: „Ich sehe die Entwicklung als Riesenerfolg und habe Spaß daran gewonnen.“ Weil ihn aber auch sein eigenes Unternehmen, die HMG, zunehmend fordert, wird er den Zeitrahmen für sein Engagement an der Delme nach und nach reduzieren. Als Klinikleiter, der das Haus operativ führt, hat er im Mai 2020 Dr. Christian Peters geholt, der bis dahin medizinischer Geschäftsführer der Diakonissenanstalt in Flensburg war. Friedel selbst widmet sich jetzt vor allem dem Neubau – und Gert Prahm wird auf Geschäftsführer Nummer 19 wohl noch etwas warten müssen.
So werden die Ausschüttungen berechnet
Alle DKD-Mitarbeiter sind über eine Betriebsvereinbarung zu gleichen Teilen an künftigen Gewinnen des Klinikums beteiligt. Gezahlt wird, „wenn wir alle unsere Investitionspflichten erfüllt haben“, sagt Geschäftsführer Florian Friedel. Vom Gewinn vor Steuern – also nachdem Abschreibungen und Zinsen abgezogen sind – werden demnach die ersten 300 000 Euro vollständig ausgeschüttet. Von den folgenden 600 000 Euro gehen 50 Prozent, von weiteren 600 000 Euro 25 Prozent an die Belegschaft. Insgesamt können so maximal 750 000 Euro ausgeschüttet werden. Das entspreche rund 1,5 Prozent der gesamten Lohnsumme, so Friedel.
Sollte das DKD verkauft werden, würden die Beschäftigten ebenfalls wie Gesellschafter am Erlös teilhaben. „So wächst das Gefühl, vollständiger Miteigentümer zu sein“, erklärt Friedel und betont: „Derzeit steht ein Verkauf überhaupt nicht zur Debatte.“ Kommt es zu Ausschüttungen, sind sie jeweils für September vorgesehen. Demnächst sollen alle Beschäftigten noch ein Zertifikat oder ähnliches erhalten, sagt Ex-Betriebsratschef Gert Prahm – „einfach auch etwas Haptisches“.
Erschienen in kma 07-08/21 Jetzt kaufen!





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