
Das Arbeitsgericht Hamm hat am 8. August die Klage des Gynäkologen Joachim Volz gegen ein vom katholischen Klinikträger ausgesprochenes Abtreibungsverbot abgewiesen. Damit bleibt eine Dienstanweisung des fusionierten „Klinikum Lippstadt – Christliches Krankenhaus“ in Kraft, die medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche auch in schwerwiegenden Fällen – etwa bei massiven Fehlbildungen des Fötus – grundsätzlich untersagt. Der katholische Träger erlaubt einen Abbruch nur, wenn das Leben der Schwangeren akut bedroht ist. Diese Einschränkung betrifft nicht nur Volz Tätigkeit am Klinikum, sondern auch seine etwa 50 Kilometer entfernte Privatpraxis in Bielefeld.
Ich bin fest überzeugt, dass Vernunft und Menschlichkeit gewinnen werden.
Eine schriftliche Begründung des Gerichts steht noch aus. Der vorsitzende Richter Klaus Griese erklärte lediglich, der Arbeitgeber sei „zu beiden Maßnahmen berechtigt“. Volz kündigte an, die Entscheidung juristisch prüfen zu lassen und vermutlich in Berufung zu gehen: „Ich bin fest überzeugt, dass Vernunft und Menschlichkeit gewinnen werden. Wenn es heute nun nicht sein sollte, dann haben wir einen langen Atem.“
Ein medizinischer Konflikt mit politischer Dimension
Joachim Volz hatte über viele Jahre hinweg im evangelischen Teil des Klinikums im Rahmen der geltenden gesetzlichen Ausnahmen Abbrüche vorgenommen. Nach der Fusion mit dem katholischen Träger wurde dies untersagt. Der Mediziner argumentierte, das Verbot missachte nicht nur das ärztliche Urteil und die Selbstbestimmung der Patientin, sondern auch geltendes Recht: Medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche sind laut §218a StGB ausdrücklich erlaubt – beispielsweise bei Fehlbildungen, nach Vergewaltigungen oder bei Gefährdung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Schwangeren.
Im Gerichtssaal sagte Volz, die neue Klinikleitung habe ihm selbst bei schwersten Schädigungen – etwa einem ungeborenen Kind ohne Schädeldecke – keinen Spielraum gelassen. Auch in solchen Fällen dürfe er keinen Abbruch vornehmen. Eine Frau müsse in schweren Notsituationen aber die Freiheit haben, selbst zu entscheiden. Hinzu komme, das Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen und nach Beratung generell nicht strafbar seien.
Der Klinikträger hingegen beruft sich auf sein sogenanntes Direktionsrecht und seine weltanschauliche Freiheit. Geschäftsführer Hauke Schild sagte, ein Arbeitgeber dürfe „bestimmen, was in seinem Unternehmen gemacht werde und was nicht“.
Breiter Protest und wachsende Kritik an kirchlichem Einfluss
Der Fall hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Eine vom Gynäkologen gestartete Petition mit dem Titel „Ich bin Arzt – meine Hilfe ist keine Sünde!“ wurde bis zum Urteilstag von über 230.000 Menschen unterzeichnet. Volz fordert darin ein Ende der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und der kirchlichen Einflussnahme auf medizinische Entscheidungen.
Ich bin Arzt – meine Hilfe ist keine Sünde!
Rund 2.000 Menschen demonstrierten am Tag vor der Verhandlung in Lippstadt gegen das Abtreibungsverbot. Auf Plakaten wurde unter anderem gefordert: „Kirche, lass die Frauen frei“ und „Selbstbestimmung statt Bestrafung“. Die Organisatorin der Demo, Sarah Gonschorek (Grüne), sagte der dpa, sie empfinde das Verbot als eine große Ungerechtigkeit gegenüber den betroffenen Frauen. Auch aus Bund und Land NRW waren Politikerinnen gekommen, darunter die Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Zu einer angemeldeten Gegendemo seien fünf Menschen gekommen, berichtete die Polizei.
Ein Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen?
Volz warnt davor, den Fall als Einzelfall abzutun. Überall dort, wo politisch gewollte Klinikfusionen katholische Träger in die Trägerschaft bringen, sei zu befürchten, dass Schwangerschaftsabbrüche strukturell nicht mehr angeboten würden. Für Betroffene bedeutet das: längere Wege, erhöhte psychische Belastung, weniger Versorgungssicherheit – und möglicherweise die Notwendigkeit, medizinisch legale Eingriffe im Ausland vornehmen zu lassen.
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing sieht die rechtliche Lage auf Seiten des Trägers: Ein katholisches Krankenhaus habe ein legitimes Interesse daran, dass seine leitenden Ärzte nichts tun, was dem kirchlichen Verständnis von Leben widerspricht. Der neue Träger sei zudem nicht an vorherige Regelungen gebunden.
Doch gerade diese Haltung wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie viel Einfluss darf Weltanschauung in Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge haben – insbesondere dann, wenn dieser Einfluss Patientinnen grundlegende medizinische Leistungen verwehrt?





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