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TextilienAufgabe eines Statussymbols

Hunderttausende Patienten stecken sich jedes Jahr in deutschen Krankenhäusern mit Keimen an. Die Krankheitserreger haften oft auch auf der Klinikkleidung. Ein ausgeprägtes Hygienebewusstsein und präventive Maßnahmen können das Infektionsrisiko senken.

Der Arztkittel, das Statussymbol der Mediziner, ist in manchen Krankenhäusern inzwischen schon verboten. Untersuchungen hatten ergeben, dass besonders die Ärmel mit verschiedenen Erregern belastet waren. Dabei hilft es dann auch nicht, wenn sich der Arzt gründlich die Hände desinfiziert. Der Klinikkonzern Asklepios zog daraus die Konsequenzen und kleidet Ärzte und Pflegepersonal in seinen rund hundert Einrichtungen deutschlandweit neu ein. Der klassische langärmelige Arztkittel wird seit diesem Jahr ausgemustert. Stattdessen sind kurze Ärmel und Knopfleiste angesagt. Damit reagiere man auf die Sorge der Patienten vor einer Ansteckung mit multiresistenten Keimen, erklärte Konzerngeschäftsführer Kai Hankeln. Eine vom Konzern durchgeführte Umfrage vom September des vergangenen Jahres hatte ergeben, dass Patienten bei Krankenhausaufenthalten vor allem vor der Infektion mit multiresistenten Keimen Angst haben. Studien hätten gezeigt, dass die Ärmel der Arztkittel besonders stark mit Keimen belastet seien, resümiert Hankeln. Denn Ärzte gehen jeden Tag von Patient zu Patient und untersuchen sie. „Die langen Ärmel haben immer wieder Kontakt zu den Patienten. Die Hände desinfiziert der Arzt, aber er wechselt nicht jedes Mal den Kittel.“

Empfehlungen der WHO

Asklepios ist nach eigenen Angaben der erste große Klinikbetreiber in Deutschland, der sich zur Abschaffung der langärmeligen Kittel entschlossen hat. Kliniken in den Niederlanden und Großbritannien haben schon länger kurze Ärmel eingeführt. Das entspricht auch Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Einige Kliniken in Deutschland gehen mittlerweile ebenfalls nach dem „Konzept ‚bare-below-elbow‘ am Patientenbett vor“, erklärt Christian Brandt, Leiter der Krankenhaushygiene im Universitätsklinikum Frankfurt. Neben langen Ärmeln gehöre auch der Verzicht auf Armbanduhren, Ringe oder Freundschaftsbänder dazu. Im Universitätsklinikum Frankfurt gibt es deshalb kurzärmelige Oberteile unter den langärmeligen Kitteln. Letztere wurden nicht ganz abgeschafft, weil die Ärzte sich damit auch im Freien von Klinik zu Klinik bewegen. „Für die Arbeit am Krankenbett bleibt der Kittel aber draußen vor der Tür“, sagt Brandt. Die gleichen Vorgaben gelten beispielsweise auch im Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg.

In Operationssälen und auf Intensivstationen ist kurzärmelige Kleidung längst Standard. Auf den normalen Stationen sei der langärmelige weiße Arztkittel dagegen bislang ein Erkennungszeichen und Statussymbol gewesen, stellt Hankeln fest. Für die Abschaffung habe die Konzernleitung deshalb viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Das Gegenargument von betroffenen Ärzten: Der „Placebo-Effekt“ des Arztes könne gemindert werden, wenn er nicht mehr dem klassischen Erscheinungsbild entspräche. Bei gründlicher Abwägung habe der Konzern dann aber den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Hygiene und Patientensicherheit den Vorrang eingeräumt. Jüngeren Medizinern dagegen falle der Abschied vom traditionellen Kittel im Prinzip leichter.

Nutzen antimikrobieller Textilien

In Kliniken können allerdings nicht nur Arztkittel Keime übertragen. Eine aktuelle Studie des William-Küster-Instituts für Hygiene, Umwelt & Medizin hat die Praxistauglichkeit und den Nutzen antimikrobieller Textilien in Pflegesituationen untersucht. „Textilien im Gesundheitssektor müssen je nach Anwendungsbereich steril oder keimarm zur Verfügung gestellt werden“, erklärt Anja Gerhardts vom William-Küster-Institut. Die gesetzlichen Vorgaben bezögen sich deshalb hauptsächlich darauf, dass eine Sterilisation durchgeführt wird oder Textilien in einem desinfizierenden Waschprozess aufbereitet werden, erläutert die Medizinerin.

Durch die Benutzung der Textilien lässt sich dann allerdings nicht vermeiden, dass sie mit Keimen kontaminiert werden. Deshalb gebe es funktionalisierte Textilien mit antimikrobiellen Wirkstoffen, die die Besiedlung von Textilien mit Bakterien oder anderen Krankheitserregern verhindern sollen. Durch das Abtöten der Keime an der ausgerüsteten Faser wird indirekt auch die Keimverschleppung durch das Textil minimiert. Getestet wurden in der Studie verschiedene auf dem deutschen Markt erhältliche, antibakteriell ausgerüstete Textilien unter praxisnahen Bedingungen. „In der Praxis werden Keime in einer organischen Substanz übertragen, also in Blut, Speichel oder Wundsekret. Diese Substanzen stabilisieren die Keime und machen sie resistenter gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen“, stellt Gerhardts fest. „Wir haben also ganz verschiedene Testkeime in organischer Belastung mit kurzen Einwirkzeiten untersucht, um realistischere Bedingungen im Labortest zu schaffen.“ Ergebnis der der Untersuchung: Nur wenige der Testmuster zeigten unter den verschärften realitätsnahen Bedingungen noch eine signifikante Wirksamkeit gegen die Testkeime. Die besten Wirksamkeiten erzielten dabei Silber- oder Biguanidbasierten Ausrüstungen.

Praxisnahe Bedingungen

Für die Praxistauglichkeit antibakterieller Textilien ist dann wichtig, dass der Wirkstoff zum einen an der Faseroberfläche zur Verfügung steht, um schnell mit den Bakterien in Wechselwirkung zu treten, und zum anderen ausreichend fest gebunden ist, um gleichzeitig eine gute Waschpermanenz und Haltbarkeit der Ausrüstung zu erzielen. „Dennoch haben unsere Ergebnisse gezeigt, dass der Einsatz antibakterieller Bekleidung oder Bettwäsche im Gesundheitswesen als hygienische Zusatzmaßnahme genutzt werden kann“, fasst die Hygieneexpertin die Untersuchungsergebnisse zusammen. Medizintextilien und antibakterielle Klinikwäsche sind ein „Zukunftsthema, dort wachsen wir mit unserer Branche am stärksten“, fasst Bertram Höfer, Hauptgeschäftsführer der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie“, die Ausgangslage für seinen Verband zusammen. Als Beispiele nennt Höfer beispielsweise Socken mit einem Anti-Zecken-Wirkstoff, einen Reizstrom-Body gegen Rückenschmerzen oder antibakterielle Bettbezüge für Kliniken, um das Ausbreiten von Keimen zu verhindern. Auch für die Zukunft prognostiziert der Textilienexperte „angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung an einen wachsenden Bedarf für innovative Medizin- und Gesundheitstextilien“.

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