
Dass sie mit am Pranger stehe, sei ein aus rechtlicher Sicht nicht unübliches Vorgehen, sagt Dr. Rafaela Korte – das, worum es geht, betreffe allerdings Zeiträume vor ihrer Amtszeit als Geschäftsführerin des Klinikums Wilhelmshaven. In dem kommunalen 661-Betten-Haus an der niedersächsischen Küste könnte es so schwerwiegende Behandlungsfehler gegeben haben, dass unter anderem fünf Menschen deswegen starben.
Dazu jedenfalls ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg, denn ihr liegen zwei anonyme Strafanzeigen vor. Der Polizeidirektion Oldenburg zufolge haben die Staatsanwaltschaft und die Polizei Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung in bislang 13 Fällen und des Verdachts der fahrlässigen Tötung in bislang fünf Fällen aufgenommen. Die Ermittlungen richten sich demnach gegen sechs Personen des Klinikums Wilhelmshaven.
Durchsuchung im April
„Die Schilderungen in den Strafanzeigen geben Anlass zur Nachforschung, ob die medizinische Behandlung und Pflege von Patientinnen und Patienten in diesen Fällen sachgerecht gewesen ist oder gegebenenfalls Versäumnisse vorlagen, die ursächlich für eingetretene Körperschäden sein können“, erklärt die Polizeidirektion auf Anfrage von kma. Im April hätten im Klinikum zur Sicherung von Beweismitteln Durchsuchungen stattgefunden. Dabei seien im Wesentlichen Daten, Datenträger und medizinische Unterlagen sichergestellt worden. Zu weiteren Details und Hintergründen der Ermittlungen könnten aus ermittlungstaktischen Gründen noch keine weiteren Angaben gemacht werden.
Es ist unsere Aufgabe, zu prüfen, inwiefern die in den Schreiben erhobenen Vorwürfe auch tatsächlich bestätigt werden.
„Die Staatsanwaltschaft und die Polizei sind natürlich dazu verpflichtet, den anonym eingegangenen Hinweisen nachzugehen“, erklärt die Leitende Oberstaatsanwältin Kathrin Krüger: „Es ist unsere Aufgabe, zu prüfen, inwiefern die in den Schreiben erhobenen Vorwürfe auch tatsächlich bestätigt werden.“
Neues Personalkonzept für die Notaufnahme
Die aktuellen Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Patientenumgang erschütterten sie und das ganze Haus, erklärt Rafaela Korte, die seit Dezember 2022 Geschäftsführerin des Klinikums ist. Sie erlebe die Kollegen „als absolut gewissenhaft, hochengagiert und stets dem Patienten verpflichtet“.
Trotzdem sah Korte offenbar Handlungsbedarf: Unmittelbar nach ihrem Einstieg habe sie im Januar 2023 die Zentrale Notaufnahme aufgrund einer schon langfristig bestehenden angespannten Personalsituation gebeten, ein umfassendes Personalkonzept zu entwickeln, sagt Korte. Ziele seien „mehr Fachärzte, weniger Rotationsärzte und damit ein ärztliches Kernteam der Zentralen Notaufnahme“.
„Peer-Review“-Verfahren bei Auffälligkeiten
Im März habe sie dann mit den Mitgliedern der Geschäftsleitung entschieden, „bei Auffälligkeiten in der Patientenversorgung ein sogenanntes ‚Peer-Review‘-Verfahren für die Fälle, deren Behandlung eines zweiten kritischen Blickes unterzogen werden sollten, einzuleiten“. Dies sei bereits vor den Ermittlungsverfahren Anfang April unter der Leitung des Ärztlichen Direktors initiiert worden, so Korte.
Die in den anonymen Strafanzeigen vorgeworfenen, mutmaßlichen fahrlässigen Tötungsdelikte beträfen die Zeiträume vor ihrer Amtszeit, betont die Geschäftsführerin. Der Anzeigenerstatter habe sich dennoch dazu entschlossen, sie in die Strafanzeige miteinzubeziehen, entsprechend führe die Staatsanwaltschaft Korte auch als Beschuldigte.
Kooperation ist der einzige und absolut richtige Weg.

Für das Klinikum und Korte persönlich gelte: „Kooperation ist der einzige und absolut richtige Weg, um diese insbesondere für Patienten und Angehörigen belastende Thematik zügig und umfassend aufzuklären.“ In Bezug auf die Vorwürfe der fahrlässigen Körperverletzung würden die Fälle „derzeit intensiv medizinrechtlich überprüft“.
Stadt schießt zusätzliche Millionen zu
Die Ermittlungen treffen das Klinikum in einer ohnehin schwierigen Zeit. Das Haus ist finanziell stark angeschlagen und von der Zahlungsunfähigkeit bedroht. Deshalb muss die Stadt Wilhelmshaven ihrem Klinikum ein weiteres Mal Mittel aus dem Haushalt bereitstellen. „Im äußersten Fall müssen bis zu 24,1 Millionen Euro ins Klinikum gegeben werden“, teilt die Kommune mit. Auf jeden Fall rechne die Verwaltung aber mit einer Summe in Höhe von 12,5 Millionen Euro, um das Eigenkapital der Gesellschaft zu stärken.
Der Entschluss ist ein klares Bekenntnis für eine Weiterführung in kommunaler Trägerschaft.
Die Entscheidung fällte der Rat der Stadt nach intensiver Diskussion, heißt es. Die Verwaltung und ihre beratenden Anwälte und Wirtschaftsprüfer hätten den Politikern deutlich gemacht, dass dies die einzige Möglichkeit sei, um die unmittelbar drohende Insolvenz abzuwenden. Der Entschluss sei „ein klares Bekenntnis für eine Weiterführung in kommunaler Trägerschaft“, so Wilhelmshavens Oberbürgermeister Carsten Feist, der auch Klinik-Aufsichtsratsvorsitzender ist.
Dass der Ratsbeschluss auch einen Auftrag an die Verwaltung zur Prüfung einer strategischen Partnerschaft und/oder Beteiligung Dritter beinhalte, sei ein juristisch notwendiger Schritt. Das sei dem im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz verankerten Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit einer Kommune geschuldet, betont Feist. Dieser Schritt sei ausdrücklich ergebnisoffen und keine Vorentscheidung in Richtung Privatisierung.





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