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TransparenzverzeichnisKritik am Klinik-Atlas: Falsch, veraltet, irreführend

Ein „Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“ – so lautete das Versprechen von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach zum Bundes-Klinik-Atlas. Inzwischen wächst die Kritik an dem Tool. Immer mehr Kliniken beklagen fehlerhafte Daten. 

Kritik
Dilok/stock.adobe.com
Symbolfoto

Der Bundes-Klinik-Atlas, der am vergangenen Freitag vorgestellt wurde, sollte vor allem für Transparenz sorgen und Orientierung bieten. Als „Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“ wurde das Tool von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach vorgestellt. Doch die Kritik wächst. Immer mehr Kliniken beklagen fehlerhafte Daten, die die Patienten in die Irre führen würden. 

„Lauterbachs Klinik-Atlas erfüllt leider nicht ansatzweise sein Versprechen, mehr Transparenz in der Krankenhausbehandlung zu schaffen. Im Gegenteil, zahlreiche falsche und fehlende Daten leiten Patientinnen und Patienten massiv in die Irre“, sagt Dr. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Die DKG rate Informationssuchenden zum jetzigen Zeitpunkt, den Atlas mit größter Vorsicht zu behandeln und unbedingt Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu halten sowie auf eine bewährte Plattform zurückzugreifen. „Das Bundesgesundheitsministerium fordern wir auf, Fehler so schnell wie möglich zu korrigieren und den Atlas mit einem Hinweis auf noch zu behebende Fehler zu versehen“, so Neumeyer weiter. 

Auch bei diesem Atlas hat er bewusst auf die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern verzichtet.

Unzählige Meldungen aus Kliniken in allen Bundesländern hätten die DKG erreicht. In diesen ging es um falsche Angaben zu Ausstattungen, Notfallstufen und vor allem immer wieder um zu niedrig angegebene Fallzahlen. Ebenso würden Kliniken mit einer roten Ampel dargestellt, obwohl sie noch nie die Personalvorgaben unterschritten hätten. An der fehlerhaften Realität des Klinik-Atlas zeige sich ein weiteres Mal, welche Folgen die Konfrontationspolitik des Bundesministers habe. „Auch bei diesem Atlas hat er bewusst auf die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern verzichtet“, heißt es seitens der DKG. 

Solche Fehler sind grob fahrlässig und irreführend.

Verschiedene Kliniken in Deutschland kritisieren, dass die Daten fehlerhaft seien und so der Vergleich von Kliniken verzerrt werde. Diese Kritik kommt beispielsweise von den Niels-Stensen-Kliniken, vom Christlichen Kinderhospital Osnabrück und vom Klinikum Osnabrück. Demnach seien zum Beispiel die Fallzahlen einzelner Abteilungen der Niels-Stensen-Kliniken veraltet. Das betreffe etwa die Anzahl von Geburten oder die Anzahl eingesetzter künstlicher Kniegelenke. Zudem werde für ein Krankenhaus im Verbund eine Notfallversorgung ausgewiesen – obwohl es dort gar keine gibt. „Solche Fehler sind grob fahrlässig und irreführend“, sagt Werner Lullmann, Geschäftsführer der Niel-Stensen-Kliniken. Patienten würden mit diesem Atlas in ihrer Suche nach Transparenz getäuscht.

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Laut Michael Richter, Geschäftsführer des Christlichen Kinderhospitals Osnabrück (CKO), seien die im Klinik-Atlas dargestellten Zahlen „interpretationsbedürftig“. So würde man in der jetzigen Darstellung der sogenannten Pflegelast lediglich die durchschnittliche Pflegeausstattung einer Klinik sehen, nicht aber die der einzelnen Fachabteilungen. „Auf diese Weise vergleichen wir Äpfel mit Birnen, denn die Pflegelast und der Personaleinsatz unterscheiden sich innerhalb der Abteilungen einer Klinik deutlich“, so Richter.

Die Idee des Klinik-Atlas sei nicht generell falsch. Laut Frans Blok, Geschäftsführer des Klinikums Osnabrück, sei er grundsätzlich ein wertvolles Instrument zur Transparenz und Orientierung im Gesundheitswesen. „Das ist aber nur dann möglich, wenn die Daten aktuell, präzise und verlässlich sind, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können“, sagt Blok im Hinblick auf die aktuelle Version des Tools. 

Fehlende Behandlungsfälle

Weitere Kritik kommt aus dem Hochsauerlandkreis in Nordrhein-Westfalen. Demnach werde das Versorgungsangebot in der Region „absolut unzureichend und in Teilen grob falsch“ abgebildet, sagt Dr. Peter Lütkes, Medizinischer Direktor im Klinikum Hochsauerland. Ganze Leistungsbereiche des Klinikums würden nicht dargestellt.

Unter anderem würden im Klinik-Atlas rund 10 000 Behandlungsfälle fehlen, rund ein Viertel des gesamten Versorgungsspektrums und somit zentrale Versorgungsangebote der Region. Hierzu gehörten alle bis 2023 im Klinikum Hochsauerland am Standort Marienhospital durchgeführten Versorgungsleistungen der Kliniken für Innere Medizin, Neurochirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie (mit Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung) in Alt-Arnsberg. Im Zuge der Eröffnung des neuen Notfall- und Intensivzentrums sind die genannten Kliniken im Herbst 2023 vom Standort Marienhospital an den Standort Karolinen-Hospital (Neurochirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie) bzw. St. Johannes-Hospital (Innere Medizin) verlagert worden. 

„Die Versorgungsangebote sind damit aber natürlich nicht entfallen, sondern werden vollumfänglich und gebündelt mit weiteren medizinischen Leistungen der umfassenden Notfallversorgung am größeren und nach modernsten Gesichtspunkten ausgestatteten Standort Karolinen-Hospital vorgehalten. Im Bundes-Klink-Atlas werden die Leistungen aber nicht ausgewiesen, ganz so als wären die Kliniken geschlossen“, so Dr. Lütkes. Dies betreff beispielsweise Eingriffe an Knie-, Hüft- oder Schultergelenk oder Operationen an Wirbelsäule, Kopf und Gehirn.

Würden Patienten dem Atlas vertrauen und in vermeintlich bessere Kliniken abwandern, wären diese aufgrund mangelnder Pflege unter Umständen gar nicht in der Lage, diese zusätzlichen Patienten zu behandeln.


In der Folge würden im Bundes-Klinik-Atlas aktuell wichtige Versorgungsangebote des Klinikums Hochsauerland entweder gar nicht oder in einer deutlich geringeren als der tatsächlich erbrachten Fallzahl ausgewiesen, so Lütkes. Das Ziel des Bundes-Klinik-Atlas „mehr Transparenz für die Patientinnen und Patienten“ sei vor diesem Hintergrund zumindest im Sauerland nicht erreicht. Besonders absurd, so Lütkes: „Würden Patienten dem Atlas vertrauen und in vermeintlich bessere Kliniken abwandern, wären diese aufgrund mangelnder Pflege unter Umständen gar nicht in der Lage, diese zusätzlichen Patienten zu behandeln.“

Spezialisierungen nicht berücksichtigt

In einem anderen Fall macht der Klinik-Atlas aus einer spezialisierten Klinik mit zahlreichen Qualitätsmerkmalen eine Klinik mit Gelegenheitsversorgung. Das betrifft etwa den Standort Gehrden der KRH-Kliniken Siloah und Gerden. Für radikale Prostatektomien wird im Klinik Atlas eine Fallzahl von vier ausgewiesen – tatsächlich sind es aber 156. Das führt dazu, dass das Krankenhaus trotz Spezialisierung in der Ergebnisliste gar nicht angezeigt wird, wenn ein Laie mit verwandten Suchbegriffen arbeitet.

DDG fordert Aufnahme von Zertifikaten

Aus Sicht der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist das Portal durch seinen "unfertigen Charakter" nur wenig aussagekräftig. So sei die Volkskrankheit Diabetes mellitus darin kaum abgebildet. Die rund drei Millionen Menschen, die jährlich stationäre Versorgung benötigen, würden nur unzureichend Informationen über die bundesweite diabetologische Klinikexpertise erhalten. Die Gesellschaft fordert daher schnelle Nachbesserung. Dazu gehört auch die Aufnahme behandlungsrelevanter Zertifikate, ohne die das Portal nutzlos sei. Das BMG kündigte diesen Schritt jedoch erst für das kommende Jahr an.

Bisher zeigt der BMG-Atlas ein völlig verzerrtes Bild der Daten. Insgesamt werden 700 Kliniken angezeigt, die die Krankheit überhaupt behandeln – dies häufig aber nur mit Patientenzahlen im einstelligen Bereich. „Das sind völlig unrealistische Zahlen“, kritisiert DDG Präsident Professor Dr. med. Andreas Fritsche. Dadurch suggeriere das Portal, dass Diabetes in deutschen Kliniken gar nicht statt findet. Das sei ein fatales Signal in Anbetracht massiv steigender Diabetesfallzahlen einerseits und einer stetig sinkenden Diabetesexpertise andererseits.

Zertifikate sind der Grundstein für Patientensicherheit und Transparenz.

Laut Klinikatlas würden auch nur vier Kliniken eine besondere Diabetesexpertise vorhalten. Dabei gibt es in Deutschland rund 350 stationäre Einrichtungen mit einer DDG-Zertifizierung für Diabetes Typ 1 und 2 sowie für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms. „Zertifikate sind der Grundstein für Patientensicherheit und Transparenz. Es ist unverständlich, warum diese wichtige Information nur kleckerweise ins Portal fließt. Bis es soweit ist, können Menschen mit Diabetes mellitus – insbesondere diejenigen mit Folge- und Begleiterkrankungen – im Klinik-Atlas keine für sie passenden Behandlungseinrichtung finden. Das konterkariert die Ansprüche, die Professor Lauterbach an sein neues Register stellt“, so Müller-Wieland.

Atlas vermittelt falsche Sicherheit

Laut DKG würden die irreführenden Fehler Häuser aller Größen betreffen, unter anderem auch das Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Nur sechs Fälle in der Frühgeborenen-Versorgung soll das Haus vorweisen können. In der Realität sind es aber im Durchschnitt mehr als 75 pro Jahr. „Hier handelt es sich um Fehler, die im Zweifel entscheidend in das Leben eines Menschen eingreifen können“, urteilt die DKG. 

Die sich abzeichnende Fehlerhaftigkeit und die Falschinformationen des Bundes-Klinik-Atlas seien kein Grund zur Freude und würden das Vertrauen in Gesundheitsinformationen schädigen. Der Atlas hätte sich Transparenz auf die Fahne geschrieben, suggeriere den Patienten in der Realität aber falsche Sicherheit, resümiert die DKG.

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