
Die Partikeltherapie in Marburg stand 2014 schon einmal kurz vor dem aus. Nach zähen Verhandlungen mit dem Land Hessen gründeten damals der private Klinikbetreiber und Träger der Uniklinik Marburg, die Rhön Kliniken AG, und die Uniklinik Heidelberg eine Betriebsgesellschaft, an der Heidelberg 75,1 Prozent hält und Rhön 24,9 Prozent. Die Uniklinik bringt viel Erfahrung mit, denn sie betreibt in Heidelberg seit 2009 eine Anlage für Partikeltherapie. Bei der Partikeltherapie werden Tumore mit einem Ionenstrahl beschossen. Krebszellen können so punktgenau zerstört werden, das umliegende Gewebe wird geschont.
Herr Jones, Sie haben letzte Woche für das Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrums (MIT) Insolvenz beantragt – ist das Zentrum zahlungsunfähig?
Nein, der Grund ist eine negative Fortführungsprognose. Das MIT ist überschuldet und es ist nicht absehbar, dass in den nächsten Monaten genügend Geld reinkommt.
2016 bestrahlte das MIT 171 Patienten, 2017 schon 286. Wo liegt die Prognose für 2018?
Bei etwa 220 Patienten, geplant waren 350.
Die Kassen zahlen zwischen 20 000 und 30 000 Euro für die Bestrahlung. Wie viele Patienten wären nötig, um den Standort am Leben zu halten?
320 Patienten wären ausreichend, um die Anlage gerade kostendeckend betreiben zu können. Für Weiterentwicklungen und Forschung wäre dann aber kein Raum. Wir brauchen 4 Millionen Euro, um die Anlage in Marburg stabil zu betreiben, denn die Fixkosten sind enorm. Allein für Strom bezahlen wir pro Monat 100 000 Euro. 38 Mitarbeiter kümmern sich allein um den technischen Betrieb.
Das Zentrum in Heidelberg (HIT) betreibt eine ähnliche Anlage und kommt auf 600 Patienten – wieso klappt das nicht in Marburg?
In Heidelberg funktioniert die überregionale Vernetzung mit den Leistungserbringern besser. Das Zentrum rekrutiert Patienten auch überregional bspw. aus Freiburg oder München. Marburg konkurriert mit den Krebszentren in Essen, Dresden und Göttingen. Aber aus dem mitteldeutschen Raum kommen zu wenige Patienten.
Warum funktioniert das nicht?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Bestrahlung mit Ionen ist bei vielen Krankheitsbildern erwiesenermaßen effektiver und schonender als die klassische Photonenbestrahlung. Doch Niedergelassene Ärzte, die selber Patienten bestrahlen, verlieren natürlich ein Geschäft, wenn Sie an uns überweisen. Da muss man Überzeugungsarbeit leisten. Im Vergleich zu Marburg sind in Heidelberg deshalb viele der Patienten in Studien eingebunden. So erschließen wir Zuweiser mit dem Transfer von Know-how. Die wissenschaftliche Teilhabe ist eine Motivation der Niedergelassenen, die man nicht unterschätzen sollte. In Marburg gibt es solche Studien nicht.
… weil die Strahlenbiologie in Marburg nicht so renommiert ist?
Wir sind 2014 als Betreiber in Marburg eingestiegen und da wurde vertraglich festgehalten, dass das Land Hessen etwas mehr als eine Millionen Euro pro Jahr für strahlenbiologische Forschung an der Universität Marburg einbringt und damit ein Lehrstuhl für Strahlenbiologie geschaffen werden sollte. Das Geld fließt seit 2014 an die Universität – also bis dato rund 5 Millionen Euro – im MIT ist bis heute nichts angekommen. Die Berufung eines Professors für Strahlenbiologie läuft seit über 4 Jahren, das ist schon erklärungsbedürftig. Bis heute ist deshalb kein einziges Forschungsprojekt mit Patienten in Marburg angeschoben worden.
Wie geht es jetzt für die Mitarbeiter weiter?
Die Gehaltszahlungen sind für die nächsten drei Monate garantiert, aber die Mitarbeiter wollen in den nächsten 4 Wochen ein Ergebnis sehen, sonst sind viele weg. Denn unsere Techniker, Physiker und MTAs werden keine Probleme haben, einen neuen Job zu finden.
Die Gemengelage ist heikel: Das MIT ist eine Tochter der Uniklinik Heidelberg (75,1 Prozent) und der Rhön Klinikum AG (24,9 Prozent) und wird von der Landespolitik bezuschusst. Wie sehen die Lösungsszenarien gibt es?
Entweder Rhön schießt Geld zu oder das Land bzw. ein Dritter. Klar ist auch: Die Anlage können nur wir betreiben, die Lizenzrechte für die Quellcodes liegen beim Uniklinikum Heidelberg.
Schließen Sie ein Quersubvention durch Heidelberg aus?
Die Uniklinik Heidelberg baut gerade überwiegend mit Eigenmitteln für eine Milliarde Euro. Nicht zuletzt deshalb hat der Aufsichtsrat in Heidelberg klargemacht, dass kein Geld nach Marburg fließen darf – das ist eine rote Linie.
Die Anlage hat 100 Millionen Euro gekostet. Die Uniklinik Kiel hat ein ähnliches Bauwerk verschrottet, das hat dem Vernehmen nach rund 20 Millionen Euro gekostet. Droht dieses Ende auch dem MIT?
Das ist der worst case. Wir arbeiten daran, das zu verhindern, um das innovatiove Behandlungsangebot auch den Patientinnen und Patienten in Hessen zu erhalten.





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