Die Pflegedirektion? Mit dem Fahrstuhl ins Untergeschoss, sagt die Frau an der Rezeption, dann links, wieder rechts und immer geradeaus. Oder so ähnlich … Es geht vorbei an Arztzimmern und Besprechungsräumen, hier und da ein Patient, der im Rollstuhl geschoben wird. Die Direktion ist nicht leicht zu finden. Mit dem Fahrstuhl wieder hoch, zweiter Anlauf. Endlich, „Pflegedirektion“ steht auf einem Deckenschild. Die Türen der dunklen Räume stehen offen. Eine Mitarbeiterin kommt heraus und meint: „Die Pflegedirektorin sitzt nicht hier, sondern drüben auf der anderen Straßenseite in der Villa.“ Pflegedirektion ist nicht gleich Pflegedirektorin? Vielleicht ein erstes Indiz dafür, dass an der Uniklinik Halle in der Pflege manches anders läuft als sonst irgendwo.
Sie sind die jüngste Pflegedirektorin einer Uniklinik in Deutschland. Das erstaunt, denn 39 ist jung, aber nicht gerade blutjung für diese Position – es gibt Kaufmännische Direktorinnen, auch an Unikliniken, die jünger sind als Sie. Wie erklären Sie sich das relativ gesetzte Alter von Pflegedirektoren?
Meistens, so glaube ich, wird Wert darauf legt, dass Pflegedirektoren über lange Berufserfahrung in der Pflege verfügen und die klassischen Karrierestufen über Stationsleitung und Pflegedienstleitung im Krankenhaus durchlaufen. Wenn Frauen Kinder bekommen, verlängert das den Karriereweg noch zusätzlich. Bei mir war das ganz anders: Ich habe eine wissenschaftliche Karriere gemacht und mir dabei eine hohe Projektmanagementkompetenz erworben. Über die bin ich dann in diese Funktion gekommen und konnte damit überzeugen. Da die Akademisierung in Deutschland noch relativ jung ist, konnten noch nicht viele Pflegedirektoren diesen Weg gehen. Ich bin mir aber sicher, sobald es mehr akademisierte Pflegende gibt, die ihre organisatorische Kompetenz beweisen konnten, wird das Alter der Führungskräfte auch in diesen Positionen sinken. Klinisch habe ich auf der anderen Seite natürlich nicht so immense Erfahrung wie andere Pflegedirektoren.
Ist das ein Problem für Sie?
Ich habe lange darüber nachgedacht – nein, für mich ist das kein Problem. Man braucht viel mehr Kompetenzen im Projektmanagement und in der Mitarbeiterführung. Ich glaube, dass für eine Pflegedirektorin die klinische Erfahrung letztendlich nachgelagert ist. Bei mir hat sich das Berufsziel Pflegedirektorin allerdings erst im Laufe der Zeit entwickelt. Ich wollte in der Pflege immer etwas zum Positiven verändern, Projekte entwickeln, die die Versorgungsqualität der Patienten verbessern. Als Wissenschaftlerin hatte ich die Möglichkeit, Ideen in Projekte und Studien zu verwandeln und umzusetzen. Aber nicht immer haben diese die Praxis dauerhaft verbessert, da vor Ort die Infrastruktur fehlte. Mir war schnell klar, dass Pflegewissenschaftler mehr in den Klinikalltag integriert werden müssen, um gute Ideen wirklich zu realisieren. Jetzt kann ich bestimmte Dinge so lenken und leiten, dass das, was in der Pflegeforschung längst bekannt ist, auch tatsächlich beim Patienten ankommt. Dieser Wunsch hat sich letztlich mit dem speziellen Anforderungsprofil der Universitätsmedizin Halle gedeckt, die seit 20 Jahren den Schwerpunkt Pflegewissenschaften hat und die akademische Pflege hier am Standort weiter ausbauen möchte. Da braucht man natürlich jemanden, der von der Pike auf nichts anderes im Kopf hat (lacht), methodisch gut ausgebildet ist und Fragestellungen gut strukturiert aufarbeiten und so zurechtlegen kann, dass sie für die Beteiligten gut abzuarbeiten sind. Manchmal denke ich sogar, es ist gut, dass es in meiner Laufbahn keine längere Phase der praktischen Sozialisierung im Krankenhaus gegeben hat. Denn bei vielen Führungskräften, die eher eine ausgeprägte klinische Erfahrung haben, sehe ich, dass sie sich bestimmte Dinge gar nicht vorstellen können.
Was können Sie sich vorstellen und viele Leitungen nicht? Gibt es ein Beispiel?
Ja, klar. Wir haben beispielsweise entschieden, dass es im allgemeinen Pflegebereich keine Stationsleitung mehr geben wird. Das ist für viele Führungskräfte unvorstellbar gewesen, sie haben es sozusagen als nicht machbar deklariert. Doch wir haben es umgesetzt. Wir haben nur noch übergeordnete Pflegerische Klinikleitungen. Sie leiten Kliniken, die in der Regel aus zwei bis drei Stationen bestehen, und vielleicht auch mal einen Funktionsbereich. Vielen sind 40 bis 60 Mitarbeiter unterstellt, ohne dass es darunter eine weitere ausdifferenzierte Führungsstruktur gibt.
Warum haben Sie entschieden, auf jede Art von Teamleitung auf Station zu verzichten?
Stationsleitungen müssen sich oft zerteilen: Sie arbeiten am Patienten, kümmern sich um die Belegung und um Führungsaufgaben. Das ist unrealistisch. Außerdem hat man als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf Station immer das Wohl des Patienten im Blick und wird die anderen Aufgaben eher vernachlässigen. Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen hauptamtliche Führungskräfte, die keine Pflege am Patienten mehr erbringen, es sei denn, sie tun es zu Qualitätssicherungs- oder Personalentwicklungszwecken. Das bedeutet auch eine Wertschätzung der Mitarbeiter, weil wir stärker auf ihre Bedürfnisse eingehen. Denn eine hauptamtliche Führungskraft kann sich besser um ordentliche Dienstpläne, ein gutes Arbeitszeitmanagement und eine solide Personalentwicklung kümmern – die Klinikleitungen sitzen übrigens trotzdem auf den Stationen vor Ort und haben eine große Nähe zu den Pflegenden. Uns war auch wichtig, dass es in so einem großen Haus einfacher wird, Information von der Pflegedirektion an die Mitarbeiter zu leiten. Und das sehe ich jetzt mehr als erfüllt, weil die Kommunikationswege viel kürzer und klarer geworden sind.
Haben Sie eigentlich direkten Kontakt zu Mitarbeitern auf Station?
Ja, ich gehe oft auf Station und informiere über bestimmte politische und gesetzliche Zusammenhänge. Zum Beispiel erkläre ich, wie ein Krankenhaus finanziert wird und warum bestimmte Dinge, etwa die Einstellung von zusätzlichem Pflegepersonal, gerade nicht realisiert werden können. Gerade Letzteres ist wichtig, weil uninformierte Mitarbeiter zum Teil kein Verständnis für Entscheidungen ihrer Vorgesetzten entwickeln können. Dies macht Mitarbeiter unzufrieden. Wenn ich dann mit einfachen Worten den Hintergrund für wirtschaftliche Entscheidungen erkläre, erhalte ich häufig positives Feedback und erfahre oft konstruktive Lösungen auch in eng gesetzten Rahmen. Ich hatte schon immer den Drang, Menschen mitzunehmen und für Sachen zu begeistern.
Ein anderes großes pflegepolitisches Thema neben der Kammer ist die Akademisierung der Krankenpflege, Sie sprachen sie vorhin schon an. Was unternehmen Sie, um sie voranzutreiben?
Im Oktober haben wir einen Studiengang „Evidenzbasierte Pflege“ für die primärqualifizierende Krankenpflegeausbildung aufgesetzt, in dem Pflegende wie Mediziner ganz normale Studenten sind. Es handelt sich um ein Modellvorhaben, das das Gesundheitsministerium, das BMG, erst freigeben musste und das ganz anders organisiert ist als der ausbildungsintegrierende Pflege-Bachelor. Diese Pflegestudenten bekommen keine Ausbildungsvergütung mehr, sondern gegebenenfalls BAföG. Sie sind an der Hochschule immatrikuliert und schließen als Gesundheits- und Krankenpfleger ab, haben aber zusätzlich die Möglichkeit, heilkundliche Aufgaben eigenständig auszuführen. Außerdem beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir akademisch ausgebildete Pflegekräfte in den Klinikbetrieb sinnvoll integrieren können, um auch die Patientenversorgung zu verbessern. Das ganze Qualifikationsgefüge auf den Stationen wird sich ändern müssen. Was machen die bisher dreijährig Ausgebildeten, was die akademisch ausgebildeten Bachelor? Oder gar diejenigen, die mit einem Master oder einem PhD abgeschlossen haben? Das alles ist bisher nur vage umrissen, wir müssen zügig Karrieremodelle entwickeln, denn zurzeit pilgern aus den über hundert Studiengängen ganz viele akademische Pflegekräfte auf den Markt, die in andere Strukturen abzuwandern drohen und leider viel zu selten in der direkten Patientenversorgung tätig werden.
Zur Person
Christiane Becker (39) kam schon 1998 an die Uniklinik Halle. Nach ihrer Krankenpflegeausbildung arbeitete sie hier vier Jahre auf einer internistisch-nephrologischen Station. Parallel begann sie mit dem Studium der Pflege- und Gesundheitswissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Danach wurde sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. 2012 ist sie in die Uniklinik Halle zurückgekehrt: zunächst als wissenschaftliche Leiterin des Projekts „Pflege 2014“, später als Leiterin der Pflegeentwicklung und -koordination. Seit Juli 2016 ist die Görlitzerin – nach eineinhalb Jahren kommissarischer Phase – Pflegedirektorin und Vorstandsmitglied.(Foto: Schünemann)
Dieses Porträt ist in der kma Dezember-Ausgabe erscheinen.


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