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Harte Zeiten für AlphatiereEine neue Generation erobert die Führungsetage

Krankenhauskonzerne besetzen die Geschäftsführungen ihrer Kliniken zunehmend mit sehr jungen Geschäftsführern. Das ist auch aus der Not geboren, doch es bringt den dringend notwendigen Kulturwandel in Gang.

Treppe
Elnur/stock.adobe.com
Symbolfoto

Mit ihrem Umzug nach Weißenfels ist Jana Uhlig ihrer Lieblingsstadt Leipzig ein gutes Stück nähergekommen. Dafür hat sie dem sachsen-anhaltinischen Burg bei Magdeburg den Rücken gekehrt. Vier Jahre lang war Uhlig dort Geschäftsführerin der Helios Klinik Jerichower Land. Als sie in Burg antrat, war die gebürtige Brandenburgerin gerade 28 Jahre alt. Jetzt also Weißenfels.

Es ist ihre zweite Station als Geschäftsführerin: ein Haus der Schwerpunktversorgung für das südliche Sachsen-Anhalt mit 600 Mitarbeitern, der nach eigenen Angaben größten Notaufnahme im Burgenlandkreis und medizinischen Schwerpunkten unter anderem in der Behandlung von Brust-, Darm- und Prostatakarzinomen. Auch Uhligs Arbeitgeber ist jetzt ein anderer: Das Krankenhaus in Weißenfels gehört zum Asklepios-Konzern. Angst vor dem Wechsel habe sie nicht gehabt, betont Uhlig: „Ich weiß, was ich kann.“

Nina Heitger hat den ersten Arbeitstag im neuen Job schon etwas länger hinter sich. Seit eineinhalb Jahren ist die 32-Jährige die Geschäftsführerin des Helios Klinikums in Rottweil und damit Vorgesetzte von etwa 500 Mitarbeitern. „Inhaltlich hängt wenig davon ab, dass ich jung bin“, sagt sie. Was ihr vielleicht an Erfahrung fehle, könne sie zum Beispiel durch die im Helios-Netzwerk versammelte fachliche Expertise kompensieren. Das helfe, um sich optimal auf Themen vorzubereiten.

Frischer Wind an der Spitze

Die beiden treten routiniert auf, abgeklärt und smart. Sie sind gut geschult und fokussiert. Und sie stehen stellvertretend für einen neuen Trend in der Führung von Krankenhäusern: Top-Managementpositionen werden durch sehr junge Nachwuchskräfte übernommen, die mehr oder weniger direkt aus dem Studium kommen oder aus sorgfältig konzipierten Traineeprogrammen. „Man sieht diesen Trend vor allem bei privaten Klinikketten deutlich“, sagt Hannes Sommer, Geschäftsführer der Hamburger Personalberatung Sinceritas.

„Angebote, die auf eine solche Position hinführen, erfahren einen hohen Zulauf“, beobachtet auch Gerhard Nienaber, Geschäftsführer der QRC Group Personal- und Unternehmensberatung in Meerbusch.Bei den Helios Kliniken sind aktuell 26 Prozent der Geschäftsführer in den Regionen zwischen 26 und 35 Jahren alt.

Für Karin Gräppi, als Geschäftsführerin der Holding Helios Health zuständig für den Bereich „Wissenstransfer und Innovationen“ und bis Ende vergangenen Jahres Personal-Geschäftsführerin bei Helios Deutschland, belegt das auch den Erfolg eines konsequenten Talentaufbaus: Zwei Jahre durchlaufen die Kandidaten ein strukturiertes Programm, dann folgen etwa zwei bis drei Jahre Assistenz einer Geschäftsführung an einem der Helios-Standorte. In dieser Zeit werden die künftigen Chefs mit ersten Führungsaufgaben betraut.

Unternehmerisches Denken, Sicherheit und Verantwortung im Fokus

Sie besuchen Seminare, erhalten Training in Gesprächsführung und Konfliktmanagement. Darüber hinaus sind sie in Kontakt mit Experten aller relevanten Fachgebiete. „Der Großteil unserer Geschäftsführer kommt bereits aus unserem Nachwuchsführungskräfte-Programm“, betont auch Ulrike Herrmann, Bereichsleiterin Executive Search beim Hamburger Krankenhauskonzern Asklepios. Auch die Asklepios-Talente rotieren durch verschiedene Häuser und übernehmen wechselnde Aufgaben, erhalten Mentoren und regelmäßige Assessments, werden in Projekten in die Verantwortung genommen.

Unternehmerisches Denken sollen sie so erwerben, Sicherheit und ein Gefühl für ihre besondere Verantwortung. 26 Prozent der Geschäftsführer bei den Helios Kliniken sind aktuell zwischen 26 und 35 Jahren alt. Am Ende steht eine neue Generation von Krankenhausmanagern mit modernem Führungsverständnis und einem völlig unverkrampften Verhältnis zur Macht. Statt sich in geduldigem Krebsgang durch die Hierarchien zu arbeiten, beginnen sie gleich mit festem Blick und direktem Kurs auf den Top-Job.

Sie wollen nicht die Leitung des Controllings, und sie möchten auch nicht erst fünf Jahre lang die IT verantworten, um Erfahrung zu sammeln. Diese Absolventen sind perfekt eingestellt auf die Moderation komplexer Entscheidungen, die Lenkung multidisziplinärer Teams und die kompromisslose Ausrichtung auf Exzellenz und Wirtschaftlichkeit. Und zumindest in den privaten Klinikketten werden diese jungen Chefs langsam zur Normalität.

Der Arbeitsmarkt ist leergefegt

Natürlich sei dieser Umstand auch eine Konsequenz des leergefegten Arbeitsmarktes, sagen Headhunter. Die latente Unterfinanzierung im Krankenhaussektor, unrealistisch erscheinende Renditeerwartungen, Fachkräftemangel und steigender Druck führen dazu, dass Kandidaten fehlen, zumal in der Provinz. Außerdem stellt der Nachwuchs natürlich noch moderatere Gehaltsforderungen für den anstrengenden Job. Vor allem für Klinik-Konzerne scheint das Heranziehen von eigenen Management-Talenten eine attraktive Alternative zur Suche nach einer externen Besetzung zu werden.

Voraussetzung ist allerdings eine klare Aufgabenverteilung. Grundlegende Entscheidungen, etwa über hohe Investitionen, werden zentral getroffen oder zumindest im ständigen Dialog mit den Regionalgeschäftsführungen. So ist weniger Erfahrung nötig. Die Leistung vor Ort wird überwacht durch feste Performance-Indikatoren. Es gibt Konzernstandards für Wirtschaftlichkeitsberechnungen oder Bonus-Regelungen für medizinisches Führungspersonal. Für Budget-Verhandlungen rücken Fachleute aus der Zentrale zur Unterstützung an.

Schon aus eigenem Interesse sind die relativ unerfahrenen Jung-Geschäftsführer offen für ein enges Controlling. Sie sind schneller auf Linie und leichter zu lenken. Weil sie emotional zumeist noch nicht festgelegt sind, ist ein Jobwechsel kaum ein Problem. Die Familie hat noch nicht Wurzeln geschlagen, es lockt die nächste Herausforderung: „Diese jungen Geschäftsführer bleiben oft nur relativ kurz an ihrer ersten Stelle. Ihre Juniorität und Lernbereitschaft begünstigen schnelle Wechsel“, sagt Personalberater Hannes Sommer.

Neue Generation bringt Bewegung in klinische Prozesse

Allerdings erleben sie so auch selten die langfristigen Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Und doch nehmen die jungen und unbeschwerten Führungskräfte offenbar wachsenden Einfluss auf die im Medizinbetrieb traditionell hierarchischen und wenig durchlässigen Leitungsstrukturen. „Top-down“, aber mit verbindlichem Auftreten etablieren sie die im Krankenhaus so notwendigen Modernisierungen von Kommunikationskultur und Führungsstilen: „Sie sind neugierig, bereit neue Wege einzuschlagen“, sagt Gerhard Nienaber.

Unvoreingenommen, kaufmännisch und psychologisch bestens geschult, nicht festgelegt – weder auf Geschlechter, noch auf Rollenklischees – und offen für den digitalen Wandel, bringen sie Bewegung in klinische Prozesse und in über Generationen eingeübte Machtrituale.

Ein Grünschnabel als Chef?

„Ich bin aufgewachsen mit einem klaren Rollenverständnis“, sagt Professor Heiko Rath (55), Ärztlicher Direktor der Helios Klinik in Rottweil, in welcher Nina Heitger die Geschäfte führt. „Chefs waren in meiner Jugend Männer, und sie waren älter“, sagt er. Diese Konstellation habe sich als Muster tief eingeprägt. Der Vorgesetzte war irgendwie auch Vaterfigur. So habe er die eigene Rolle schließlich auch interpretiert. Nun ist er konfrontiert mit einer Geschäftsführerin beinahe im Alter seiner Kinder: „Rein intellektuell ist das für mich kein Problem“, betont Rath.

Doch anfänglich habe die ungewohnte Situation schon ein wenig am eigenen Selbstverständnis gerührt.Ohne Konflikte ist die Zusammenarbeit zwischen Chefärzten und den für die wirtschaftliche Strategie zuständigen Geschäftsführen ohnehin selten. Zu unterschiedlich sind Ausbildung, Traditionen und berufliches Selbstverständnis. Hinzu kommen divergierende Interessen: Chefärzte haben ihr Netzwerk vielfach vor Ort, sind dort politisch zumeist gut vernetzt. Die jungen Geschäftsführer betrachten den aktuellen Job als Sprungbrett.

Ihr Blick richtet sich auf die Konzern-Holding, wo sie wahrgenommen und anerkannt werden wollen. Schnelle Wechsel an der Spitze können Organisationen überdies in eine Art Burnout treiben. Bei Helios und Asklepios helfen hausübergreifende medizinische Beiräte und Fachgruppen, Konflikte aufzulösen und Strategien zu formulieren. Sie bieten fachliche Unterstützung für die Mediziner vor Ort ebenso wie für ihre Geschäftsführer.

Größere Lockerheit, weniger Stillstand

Er sei inzwischen dankbar für die Erfahrung und neue Ansätze im Umgangston, in der Art zu kommunizieren – sogar über eine WhatsApp-Gruppe, sagt Professor Rath. Er beobachte eine größere Lockerheit, weniger Stillstand. Und er schätze die guten Moderationstechniken, die Fähigkeit, Wertschätzung zu vermitteln und Beobachtungen zu objektivieren. „Dass die Medizin ein sehr konservatives Fach ist, hat mir zuweilen sogar geholfen“, glaubt Nina Heitger.

Hierarchien werden akzeptiert, auch wenn die Chefs jung sind: „Letztlich punktet immer derjenige, der in Konfliktsituationen die besseren Argumente hat.“Wer als Nachwuchstalent in die Führungsschmieden von Krankenhauskonzernen aufgenommen werden möchte, müsse zeigen, dass er imstande ist, mit Widerstand umzugehen, ohne das fünfte Alphatierchen in der Verwaltung sein zu wollen, erklärt Berater Nienaber. Gefragt sind ein pragmatisches und uneitles Management-Verständnis: „Manchmal“, sagt Nina Heitger, „kann es durchaus von Vorteil sein, wenn die Leute einen wegen des Alters unterschätzen.“

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