
Die Ambitionen sind groß, Deutschland peilt in puncto Klimaschutz genaue Zielvorgaben an: Bis 2030 sieht das Klimaschutzziel der Bundesregierung vor, dass die Treibhausgasemissionen sich um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringern sollen. 2040 soll dieser Betrag mindestens 88 Prozent ausmachen und bis 2045 wird dann schließlich die Treibhausgasneutralität angestrebt. Was genau das Gesundheitswesen dazu beitragen kann, das wird in der öffentlichen Diskussion bislang jedoch eher nebensächlich behandelt.
Die Arbeit in den Kliniken wird mit der Patientenversorgung verbunden, aber nicht mit dem Verursachen von klimaschädlichen Emissionen. Dabei sind Krankenhäuser rund um die Uhr im Betrieb, eine ununterbrochene Stromversorgung ist erforderlich. Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass der jährliche Energiebedarf pro Krankenhausbett dem jährlichen Energieverbrauch von zwei Haushalten in Deutschland entspricht. Das Gesundheitswesen, wovon die Bewirtschaftung von Krankenhäusern einen großen Teil ausmacht, verursacht 5,2 Prozent der nationalen CO2-Gesamtemissionen Deutschlands. Damit folgt es knapp hinter der Stahlindustrie, für die ein Wert von etwa sechs Prozent ermittelt wurde.
Welchen Beitrag also können Krankenhäuser in Zukunft leisten, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden und entsprechend weniger Treibhausgase zu erzeugen? Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen hat dafür zwei Gutachten in Auftrag gegeben, um die neue Landesregierung auf die Dringlichkeit dieser Aufgabe aufmerksam zu machen und gleichzeitig Handlungsempfehlungen sowohl für Klimaschutzmaßnahmen als auch für deren Finanzierung bereitzustellen. Veröffentlicht wurden diese Ende März dieses Jahres.
Es ist ein Fahrplan, der durchaus bundesweit übertragbar wäre. Denn es gibt zwar vereinzelt Krankenhäuser, die sich dem Ziel Klimaneutralität bereits verschrieben haben und mit verschiedenen Maßnahmen Einsparungen von Treibhausgasen erzielen können. Ein gemeinsamen Ziel des Gesundheitswesens hingegen gibt es nicht. Und gerade in Krankenhäusern kann die Vielzahl von Stellschrauben, an denen für den Klimaschutz gedreht werden kann, überwältigend sein. Wo macht es Sinn, Veränderungen einzuleiten und welchen Einfluss haben Krankenhäuser damit tatsächlich?
Kliniken können nicht überall auf den Klimaschutz einwirken
„Ein Krankenhaus ist ein komplexes Gebilde. Dort findet quasi alles statt, was in einer Stadt, in einer Kommune auch stattfindet: Wir haben Mobilität, Stromverbrauch, Wärmeverbrauch, verschiedene Ressourcen, komplexe Außenbeziehungen. Das heißt, ein Krankenhaus ist viel komplexer als andere gewerbliche Bereiche“, sagt Oliver Wagner. Er ist einer der Autoren des Gutachtens „Zielbild: Klimaneutrales Krankenhaus“, das vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie verfasst wurde. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben deshalb verschiedene Bereiche herausgearbeitet, in denen im Klinikalltag Treibhausgase emittiert werden.
Dabei wird deutlich, dass Kliniken nicht überall Einfluss auf den Klimaschutz ausüben können. Im sogenannten Scope 1 – der Bereich beinhaltet Emissionen, die direkt von den Einrichtungen zum Beispiel durch deren Fahrzeuge oder gasbefeuerte Heizungsanlagen ausgehen – können Krankenhäuser mit bestimmten Maßnahmen ihren Weg in die Klimaneutralität konkret steuern und damit die größten Wirkungen erzielen. In den beiden weiteren Bereichen hingegen wird das schon komplizierter.
Im Scope 2 werden indirekte Emissionen aus den bezogenen Energiequellen wie Strom und Fernwärme berücksichtigt, der Scope 3 fasst all jene Emissionen zusammen, die in der Versorgungskette durch Produktion, Transport sowie Entsorgung von Waren und Dienstleistungen entstehen. Dazu zählt beispielsweise auch die Herkunft von Arzneimitteln und anderen Chemikalien, Lebensmitteln, medizinischen Geräten und Instrumenten sowie die Anfahrten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Patientinnen und Patienten sowie Besuchern des Krankenhauses. Gerade dieser dritte Bereich macht mit etwa zwei Dritteln der Treibhausgase im Gesundheitswesen einen großen Teil aus, liegt aber nur bedingt im Einflussbereich der Kliniken. Es besteht hier aber die Möglichkeit, unter anderem durch das Formulieren von Beschaffungskriterien, also zum Beispiel durch die Berücksichtigung der CO2-Bilanz bestimmter Produzenten oder deren Nachhaltigkeitsstrategien, Änderungen im Energie- und Ressourcenverbrauch der Krankenhäuser zu bewirken.
Klimaschutzmaßnahmen
Das Wuppertal Institut hat in seinem Gutachten zehn Klimaschutzmaßnahmen erarbeitet, die zentral für das Erreichen der Klimaneutralität in Krankenhäuser sind. In Klammern steht der jeweilige Umsetzungshorizont, der für die jeweilige Maßnahme veranschlagt wird.
- Klimaschutzmanagement (3 Jahre)
- Fotovoltaik (2 Jahre)
- Wärme- und Kälteerzeugung (5 bis 10 Jahre)
- Gebäudehüllensanierung (5 bis 10 Jahre)
- LED-Beleuchtung (2 Jahre)
- Heizungspumpensanierung (5 Jahre)
- Lüftungsanlagen (5 bis 10 Jahre)
- Ohne Auto zum Krankenhaus (1 Jahr)
- Ausbau E-Mobilität (3 Jahre)
- Narkosegas (2 Jahre)
Klimaneutral mit zehn Maßnahmen
Für jeden Bereich hat das Wuppertal Institut Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Herausgekommen sind insgesamt zehn Maßnahmen, die für ein klimaneutrales Krankenhaus unerlässlich sind und für die ein besonderer Handlungsbedarf besteht. „Wir wollten deutlich machen, wo viel Potential für Veränderungen steckt, wo dringend etwas passieren muss – und das ist der Bereich Gebäude-Energie-Effizienz. Die Gebäude müssen viel effizienter aufgestellt werden, zum Beispiel durch Wärmedämmung der Dächer und Fassaden, Einbau besserer Fenster oder Modernisierung der Lüftungsanlagen“, erklärt Oliver Wagner, der Projektleiter von „Zielbild: Klimaneutrales Krankenhaus“ ist und Co-Leiter des Forschungsbereichs Energiepolitik am Wuppertal Institut. „An den Gebäudehüllen muss viel gemacht werden, weil dort sprichwörtlich zum Fenster rausgeheizt wird.“
Die Gebäudesanierung stellt im Gutachten die mit Abstand einflussreichste Maßnahme dar, ist aber gleichzeitig auch die kostenintensivste. Deshalb deckt der Maßnahmenkatalog ebenfalls Punkte ab, die mit weniger Budget gemeistert werden können. „Erste Schritte sind wichtig und die können selbst mit wenig Geld realisiert werden, wie zum Beispiel in der Anästhesie oder im Bereich der Beleuchtung. Auch bei der Kühlung, die in Krankenhäusern generell eine große Rolle spielt, können Ersatzinvestitionen getätigt werden. Der Kauf einer besonders sparsamen Anwendung ist zwar teurer in der Anschaffung, aber schlussendlich refinanziert sich das über die Energieeinsparung“, erläutert Wagner.
Er selbst war im Zuge der Studienrecherche überrascht davon, welchen Einfluss die Wahl der Narkosegase auf die Treibhausgasbilanz von Krankenhäusern hat. Die Nutzung von Narkosegasen kann einen Anteil von rund 35 Prozent an der Treibhausgasemission eines Krankenhauses ausmachen. Ohne zeitlichen und finanziellen Aufwand könne hier durch den Ersatz bestimmter Narkosegase eine große Wirkung erzielt werden: „Eine Umstellung der eingeschliffenen Routinen hätte keine Nachteile für Patienten und da sollte man auf jeden Fall schnell anfangen, zumindest eine Aufklärungskampagne starten. Denn vielen, die Narkosegase einsetzen, ist vielleicht gar nicht bewusst, wie klimaschädlich diese sind und welch hoher Anteil an den Emissionen eines Hauses damit verbunden ist.“
Hohe Investitionen sind nötig
Auch, wenn die individuellen Voraussetzungen und Bedingungen sowie der aktuelle Stand der Technik sich in jedem Krankenhaus unterscheiden, macht Wagner deutlich, dass das Abarbeiten des Maßnahmenkataloges nur das Mindeste ist, um tatsächlich Klimaneutralität erreichen zu können. Es braucht generell ein Umdenken im Gesundheitswesen, um etwas zu bewirken. Dabei spielt das Klimamanagement an den Häusern eine große Rolle. Deshalb müsse die wichtige Position von Klimamanagern auf Managementebene angesiedelt sein, um auf Augenhöhe mit der Klinikleitung über Investitionsentscheidungen diskutieren zu können.
Weil Krankenhäuser selbst nicht über große Investitionen im Hinblick auf Klimaschutz verfügen, braucht es ein politisches Vorgehen. „Es müssten landesseitig Standards gesetzt werden. Und wenn das Land klimaneutral werden möchte, muss es dafür sorgen, dass der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in Nordrhein-Westfalen auch in die Lage versetzt wird, klimaneutral zu sein. Das kostet Geld“, fasst Wagner sein Gutachten zusammen. „Ich fürchte, ohne massiv Geld, auch öffentliches Geld, in die Hand zu nehmen, wird das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichbar sein. Da bleiben wir bei schönen kleinen Einzelerfolgen. Ohne Investitionen würde es Jahrzehnte dauern, bis wir da sind, wo wir eigentlich in 20 Jahren sein müssten.“
Zu diesem Schluss kommt auch die Institute for Health Care Business GmbH (hcb) in ihrem Gutachten „Das klimaneutrale Krankenhaus – Finanzierungsmöglichkeiten von Umsetzungsmaßnahmen“. Durch die duale Finanzierung von Krankenhäusern – Krankenkassen kommen für die Betriebskosten auf, Investitionskosten hingegen werden durch die Bundesländer getragen – gibt es kaum Spielräume dafür, ohne Fördermittel größere Investitionen für den Klimaschutz zu tätigen. Dabei ist der benötigte Investitionsbedarf für das Erreichen der Klimaschutzziele beträchtlich. Im hcb-Gutachten wurde berechnet, dass dieser für Plankrankenhäuser in Nordrhein-Westfalen bei 7,1 Milliarden Euro oder auch bei 23 Millionen Euro pro Haus liegt. Bundesweit wurde eine Summe von 34 Milliarden Euro berechnet. Universitätskliniken sind hier nicht berücksichtigt.
Klimafonds für die Finanzierung
In Nordrhein-Westfalen entfällt ein Großteil dieser Kosten mit 6,3 Milliarden Euro auf die Gebäudehüllen, wobei nur 35 Prozent der Investitionskosten direkt dem Klimaschutz zugeordnet werden können. Die restlichen 4,1 Milliarden Euro stellen zwar Sanierungskosten ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen dar, werden aber zur notwendigen Grundinvestition gezählt. Hinzu kommen nach Berechnungen der hcb noch 0,6 Milliarden Euro für eine dreijährige Anschubfinanzierung nicht-investiver Maßnahmen. Das sind beispielsweise die Etablierung des Klimaschutzmanagements im Krankenhaus oder Anreize für Mitarbeiter, für den Weg zur Arbeit auf das Auto zu verzichten.
Die Wissenschaftler der hcb empfehlen einen „Climate Boost“, um dies alles zu finanzieren. Dafür sollten Klimaschutzmaßnahmen als notwendige Investitionen in der Krankenhausgesetzgebung verankert werden. Über einen Krankenhaus-Klimafonds sollten zudem ausreichend finanzielle Mittel für den Weg zur Klimaneutralität zur Verfügung gestellt werden, also gut 7,7 Milliarden Euro über einen Zeitraum von sieben Jahren. Die Mittel könnten dann zweckgerichtet über eine Klimapauschale oder ein Sonder-Investitionsprogramm verteilt werden. Der Vorteil des Krankenhaus-Klimafonds liegt nach Ansicht der Wissenschaftler auf der Hand: Weil es sich um ein für alle Krankenhäuser einheitliches administratives Verfahren handelt, über das Investitionsmittel für Klimaschutzmaßnahmen beantragt werden können, ließen sich Klimaziele wirksamer und schneller umsetzen, als durch die aktuelle Vielzahl verschiedener Fördertöpfe.
Das Gutachten macht deutlich: Die öffentliche Investitionsförderung der Bundesländer ist seit Jahren unzureichend, es wird immer schwieriger, die Unternehmenssubstanz der Krankenhäuser zu erhalten. Unterbleiben die errechneten Investitionskosten oder werden nur teilweise ermöglicht, dann lassen sich auf diese Weise die Ziele der Bundesregierung nicht erreichen. In Nordrhein-Westfalen wurde die Arbeit der Wissenschaftler von der künftigen Landesregierung wahrgenommen: Im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen, der im Juni vorgestellt wurde, heißt es, dass bestehende Hemmnisse für Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen in Krankenhäusern konsequent abgebaut werden sollen. Auch ein Klimaschutz-Krankenhausfonds soll eingerichtet werden. „Der Fonds soll aus Mitteln des Landes und des Bundes gespeist werden, wozu unmittelbare Verhandlungen mit dem Bund aufzunehmen sind.“ Es ist ein erster Schritt in Richtung klimaneutrale Krankenhäuser, der jetzt gemacht wurde.





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