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MagnetkrankenhausWofür das Klinikum Osnabrück Rockstars sucht

Seit 2021 ist das Klinikum Osnabrück auf dem Weg ein Magnetkrankenhaus zu werden. Dr. Nadine Steckling-Muschack und Anja Pope berichten, wie sich das Klinikum in diesem Vorhaben schlägt und wofür sie nun Rockstars benötigen.

Die Reise zum Magnetkrankenhaus - Klinikum Osnabrück
Jacqueline Bosse
Den Start der Reise zum Magnetkrankenhaus feierte das Klinikum Osnabrück mit einem symbolischen Flug im Heißluftballon.

Im Rahmen des EU Projekts Magnet4Europe (M4E) profitieren 20 deutsche Kliniken von Interventionen, um die Anforderungen der Magnetkrankenhaus-Zertifizierung zu erreichen. Das Klinikum Osnabrück hatte vor Projektbeginn im Sommer 2021 wenig konkrete Magnetgedanken – jetzt ist der Baum jedoch gepflanzt und die Reise symbolisch mit einer Heißluftballonfahrt gestartet. Spätestens die Initiierung einer Partnerschaft mit zwei amerikanischen Magnetkrankenhäusern brachte den Lernprozess in Schwung.

Die Mitarbeitenden, die in einem Gewinnspiel ausgelost wurden und in die Luft steigen durften, werden seit jeher im Projekt als so genannte Magnetbotschafter*innen um Rat gefragt. Involviert sind jedoch zunehmend mehr Kolleg*innen. Denn das haben wir  in Osnabrück schnell von unseren amerikanischen Partnerkrankenhäusern, auch Drillingspartner genannt, gelernt: Jeder Mitarbeitende im Magnetkrankenhaus hat eine Stimme, die gehört werden muss, um das zu erreichen, wovon Krankenhäuser träumen – Mitarbeitende und Patienten*innen „magnetisch“ anzuziehen.

Zugegeben, die Umsetzung ist alles andere als einfach und zwei Jahre nach dem M4E Interventionsstart ist trotz aller Bemühungen noch keine signifikante Zunahme der Anziehungskraft sichtbar geworden. Aber warum eigentlich nicht? Carla Borchardt, Magnet Program Director des Avera McKennan Hospital & University Health Center in Sioux Falls, South Dakota, hat uns einen Teil der Antwort mit einer Gegenfrage vor Augen geführt: Wo sind eure Daten?  

Daten! Daten! Daten! 

Magnetkrankenhäuser machen Erfolge ebenso wie Optimierungspotentiale durch regelmäßige Erhebungen von Daten sichtbar. Diese werden nicht nur der Managementebene vorgelegt, sondern zeitnah und kontinuierlich den Mitarbeitenden zugänglich gemacht, um Veränderungen transparent zu gestalten. Die Belegschaft wiederum kann so auf die Informationen reagieren und Veränderungen unmittelbar bewirken.

Magnetkräfte des Klinikums Osnabrück
Jens Lintel
Dass die Gesamtheit der Mitarbeitenden das Große und Ganze des Magnet-Konstrukts versteht und schätzen lernt, ist bisher noch nicht gelungen – für das Klinikum Osnabrück jedoch kein Grund zum Aufgeben.

Ob eine Reduktion von Stürzen, von im Krankenhaus entstandenen Dekubitalulcera oder von katheterassoziierten Infektionen – all dies kann durch eine Pflege nach Standard als Ziel avisiert werden. Für Magnetkrankenhäuser ist aber entscheidend, ob die pflegerischen Maßnahmen tatsächlich einen messbaren positiven Einfluss haben. Solange keine Daten erhoben werden, kann die Wirksamkeit der Umsetzung eines Standards zur Sturzprophylaxe auch nicht belegt werden. Diese Daten müssen sowohl innerbetrieblich zur Qualitätsentwicklung genutzt wie auch im nationalen Benchmark bewertet werden.

Durch die Etablierung eines Datawarehouse-Systems, welches vorhandene Daten in unserem Hause für die weitere Verwendung aus den einzelnen Softwareprogrammen für unterschiedliche Zielgruppen zusammenstellen wird, geht das Klinikum Osnabrück einen großen Schritt in Richtung Magnetkrankenhaus. Darüber hinaus profitieren wir nicht zuletzt in Bezug auf Daten von dem M4E-Netzwerk, da die in diesem Rahmen angestoßene Benchmark Initiative, B-IN-Pflege, den Weg ebnet, um pflegesensitive Daten standardisiert zu erheben und im nationalen Vergleich einschätzen zu können

Die Selbstverständlichkeit der Sichtbarkeit

Sichtbarkeit ist nicht nur in Bezug auf Daten ein großes Thema. Bereits bei der ersten virtuellen Begegnung mit einem unserer amerikanischen Partnerkrankenhäuser hatten wir diese Lektion gelernt. Die Kollegen*innen stellten ihr Krankenhaus auf einer ganz anderen Ebene vor, als wir es mit unserem taten. Eine Auflistung von Innovationen, die entweder zuerst eingeführt wurden oder bislang nirgendswo anders anzutreffen sind, hat der Sichtbarkeit der Erfolge die Krone aufgesetzt. Unsere Vorstellung hingegen war der deutschen Zurückhaltung und Bescheidenheit zum Opfer gefallen. Highlight: Ein Foto des Klinikums von oben.

Jens Lintel
Autorin Dr. Nadine Steckling-Muschack leitet die Stabsstelle Magnetkrankenhaus des Klinikums Osnabrück.

So kam es zu Überraschungen, als im Mai 2022 fünf Vertreterinnen unserer amerikanischen Drillingspartner in Osnabrück zu Besuch waren. Die Gäste staunten über die Vielzahl vorhandener Magnetkräfte, die wir selber als gegeben oder Selbstverständlichkeiten für nicht erwähnenswert gehalten hatten. Nach und nach wurde uns deutlich, dass wir zu vielen Anforderungen der fünf Kapitel des Magnet-Handbuchs etwas vorzuweisen haben.

Mehr als die Magnetanforderungen

Um Beispiele zu nennen: Mentoring findet bei uns statt. Nicht strukturiert, nicht formell, bislang eher beiläufig, aber es ist da. Bei uns gibt es Aktivitäten zur Förderung der Diversität von Mitarbeitenden. Wir haben hervorragende Beispiele für patienten- und angehörigenorientierte Maßnahmen wie ein Tagebuch für nicht ansprechbare Patienten*innen oder eine „Bushaltestelle“ in der Notaufnahme als Maßnahme für dementiell erkrankte Patienten.

Eine besondere Stärke sind unsere umfangreich qualifizierten und engagierten Teams, die unser Pflege-Leitbild, mit Achtsamkeit und Fachlichkeit, sowie unseren Klinikums-Slogan, mit Herz und Verstand, leben. Für unsere amerikanischen Besucher ist zudem eine besondere Stimmung in den Teams deutlich geworden, die teilweise ganze Stationen einnimmt. Unsere Stabsstellen für Kinaesthetics sei eine Wohltat, ebenso wie unsere Lage im Grünen und bauliche Besonderheiten, die bei täglicher Nutzung zwar guttun, aber auch einfach mal als Selbstverständlichkeit zu oft als besondere Erwähnung vergessen werden.

Anja Pope
Jens Lintel
Autorin Anja Pope ist stellvertretende Pflegedirektorin am Klinikum Osnabrück.

Auch best practice Beispiele auf der Managementebene ließen sich finden, wie ein Speed Dating der Auszubildenden mit der Pflegedirektion zur Förderung der Mitarbeitendenbindung. Die klare Empfehlung von Magnetkrankenhäusern, Erfolge sichtbar zu machen und sich mit seinen Lorbeeren zu schmücken, ist bei uns angekommen. Dennoch fällt uns die Umsetzung nicht immer leicht.

Team-Erfolge sollen gewürdigt werden 

Ein typisches Magnetinstrument zur Sichtbarmachung von Erfolgen ist die für Magnetkrankenhäuser nahezu obligatorische Verleihung des DAISY Awards zur Würdigung besonders engagierter Pflegefachpersonen, was mittlerweile auch in Deutschland Einzug gefunden hat. Von einer spontanen Verleihung in unserem Hause, angeregt durch unsere Partnerkrankenhäuser, haben wir jedoch zunächst abgesehen.

Ein Magnetkrankenhaus zu werden geht mit einem Kulturwandel einher. Am Beispiel des DAISY Awards haben wir diese andere Kultur bislang am stärksten wahrgenommen. Bevor wir den Entwicklungsschritt der Auszeichnung von Einzelpersonen durch subjektive Nominierungen erreichen, sehen wir in unserem Haus Optimierungspotential bezüglich der Würdigung von Team-Erfolgen sowie persönlicher objektiver Erfolge. Ob der DAISY Award zukünftig eine Option für uns ist, oder ob für uns andere Wege der Anerkennung von Einzelpersonen geeignet sind, werden wir im Austausch mit unseren Mitarbeitenden herausfinden.

Findet die Rockstars

Erin Klinge, Magnet Program Director des University of Pittsburgh Medical Centers (UPMC) Hamot, und ihre Kollegen*innen haben es uns schon oft gesagt: „Ihr müsst die Rockstars in eurem Klinikum identifizieren und für die Magnetidee gewinnen. Nur so kann die große Anzahl an Mitarbeitenden erreicht und der Magnetgedanke verbreitet werden.“

Ihr müsst die Rockstars in eurem Klinikum identifizieren und für die Magnetidee gewinnen. Nur so kann die große Anzahl an Mitarbeitenden erreicht und der Magnetgedanke verbreitet werden.

Die sogenannten Rockstars zeichnen sich als Sympathieträger dadurch aus, dass sie mit kreative Ideen und Sachverstand Probleme lösen. Sie verstehen es zu netzwerken und haben die Power und das Durchhaltevermögen, um Ziele zu erreichen. Bei genauer Betrachtung sitzen uns derartige Rockstars bei unseren zweiwöchentlichen Videocalls mit den amerikanischen Partnern direkt gegenüber. Und auch hausintern lassen sich aus dem Gedächtnis schnell Kandidaten*innen für das informelle Amt identifizieren.  

Aber wie gehen wir das jetzt konkret an?  

Festgestellt haben wir bereits, dass, sobald eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Magnet-Konzept erfolgt, die Überzeugung sehr schnell wächst: Mitarbeitende wurden in die Besuchswoche unserer amerikanischen Partner eingebunden. Andere sind nach Antwerpen gereist, um das erste europäische Magnetkrankenhaus bei einer Summer School kennenzulernen. Auch haben mehrere Mitarbeitende in ersten Pilotprojekten von dem Magnet-Konzept profitiert und sind teilweise vielleicht sogar schon überzeugt von den vielen wissenschaftlich belegten Vorteilen

Minutenbewerbung für die Pflege

Auf der Suche nach Rockstars: Mit der „Minutenbewerbung-Pflege“ will das Klinikum Osnabrück noch mehr Fachkräfte „magnetisch“ anziehen. Wie der Begriff es erahnen lässt, zeichnet sich das Bewerbungsverfahren durch seine schlichte und unkomplizierte Art aus.

Dass die Gesamtheit der Mitarbeitenden das Große und Ganze des Magnet-Konstrukts versteht und schätzen lernt, ist bisher noch nicht gelungen – und zudem bei uns noch nicht messbar, aufgrund fehlender Daten. Wie so oft ist der Faktor „Zeit“ sowie die Erreichbarkeit der vielen einzelnen Mitarbeitenden vermutlich ein Problem und speziell im amerikanisch etablierten Thema „Magnet“ kann die Sprache eine Barriere sein. Zudem verursacht ein häufig verwendeter „Magnet-Stempel“ negative Reaktionen, solange der angedachte Change noch nicht akzeptiert und für gut befunden wurde.

Unsere Strategie

Mit Beginn unserer Magnetreise haben wir einen Mehrjahresplan erarbeitet, um die Anforderungen zeitlich zu sortieren. Am Anfang stehen insbesondere Ist-Stand-Erhebungen, ein paar schnell erreichbare Ergebnisse sowie sehr schwierige Themen, deren Etablierung viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Das Thema Daten passt z.B. in die letzte Kategorie. Jährlich folgt dann die Konkretisierung als Jahresstrategie. Für das aktuelle Jahr liegt der Fokus auf der Verbreitung des Magnetgedankens, der umfangreichen Erhebung unserer vorhandenen Magnetkräfte in enger Anlehnung an das Magnet-Handbuch sowie die Identifikation von Rockstars.

Die expliziten Anforderungen der Magnetzertifizierung werden genutzt, um die Meinungen, Geschichten und Erfahrungen der Pflegefachpersonen zu den relevanten Themen direkt auf den Stationen einzufangen und in die Magnet-Struktur zu überführen. Die Mitarbeitenden sollen lernen, dass Einzelheiten ihrer täglichen Arbeit bereits in das Konzept passen und weitergesagt werden müssen, um gute Praxisbeispiele im Haus zu streuen. Rockstars werden identifiziert und dazu motiviert, ihre Leidenschaft für das eine oder andere Thema zu verfolgen.

Unterstützt werden soll die Strategie von Informationsflyern für einzelne Zielgruppen: Was bedeutet es, eine Pflegefachperson, eine Pflegedienstleitung usw. in einem Magnetkrankenhaus zu sein? Zudem setzen wir sehr auf die Unterstützung von Studierenden, die in ihren Abschlussarbeiten den Magnet-Themen eine besondere Aufmerksamkeit widmen können, die im Klinikalltag allzu oft auf der Strecke bleibt.

Fazit

Über die Suche nach positiven bestehenden Strukturen und Gegebenheiten sowie deren Sichtbarmachung erwünschen wir uns ein Empowerment und möchten ermöglichen, dass unsere Mitarbeitenden ihre Rolle im Magnetkrankenhaus erkennen. Ebenso werden über diesen Ansatz Optimierungspotentiale sichtbar, die somit gezielt angegangen werden können. Obwohl wir den DAISY Award noch nicht verleihen und unsere Stärken stärker präsentieren könnten, die hauseigenen Rockstars noch gecastet werden müssen und die Datenerhebung und -nutzung noch gigantisches Ausbaupotential aufweist, so ist uns doch eines bewusst. Der einzige Weg, die Zertifizierung zu meistern, ist dieser: der gemeinsame.

Literatur 

[1] Czäczine R, Wuzel E, Veit C. Interventionsstudie Magnet 4 Europe: Sich dem Vergleich stellen. Die Schwester | der Pfleger 2022;10/2022:64-67. 

[2] Proksch S. Magnetkrankenhäuser vergeben DAISY Award®. Pflegerische Leistung sichtbar machen. Die Schwester | der Pfleger 2020:14-16. 

[3] Rodriguez-Garcia MC, Marquez-Hernandez VV, Belmonte-Garcia T, et al. Original Research: How Magnet Hospital Status Affects Nurses, Patients, and Organizations: A Systematic Review. Am J Nurs 2020;120(7):28-38. doi: 10.1097/01.NAJ.0000681648.48249.16

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