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Schlaraffenland Krankenhaus?Wundversorgung und Wirtschaftlichkeit im Umfeld einer Klinik

Aus Sicht der ambulanten Wundversorgung herrscht in Krankenhäusern Luxus, wenn es um die Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden geht. Doch neben einer oft vorhandenen, standardisierten Materialversorgung und klaren Strukturen gibt es auch hier ökonomische Zwänge.

TVG/Alexander Fischer
Symbolfoto

Die Wundversorgung im Krankenhaus unterliegt, ebenso wie in anderen Settings, vielen Variablen. Die Steuerung der Behandlung von Wundpatienten wird neben der führenden DRG natürlich auch durch Struktur und Qualität des therapeutischen Teams beeinflusst. Die Diagnose „chronische Wunde“ ist schnell gestellt. Hauptsächlich sind es Patienten mit Ulzera an den Unterschenkeln aufgrund von venösen oder arteriellen Erkrankungen, Wunden am diabetischen Fuß und natürlich der Dekubitus.

Dekubitus stellt Kliniken vor Herausforderungen

Einige Patienten kommen aufgrund ihrer schlecht heilenden Wunde oder aus anderen Gründen in eine Klinik – die Wunde ist bei Letzteren eine Nebendiagnose. Eine Untersuchung des Marktforschungsunternehmens DRG Market in Osnabrück aus dem Jahr 2015 liefert Zahlen für die Diagnose Dekubitus. So waren es 2013 immerhin 13 400 Patienten, die mit der Hauptdiagnose Dekubitus ins Krankenhaus kamen – das entspricht einem Anstieg seit 2007 um 35 Prozent. Allerdings brachten im gleichen Jahr insgesamt 189 000 Patienten einen Dekubitus als Nebendiagnose mit.

Wie auch andere chronische Wunden stellt ein Dekubitus die Klinik vor viele Herausforderungen. Nachdem die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus auf mittlerweile 7,3 Tage gesunken ist (Jahr 2017) bleibt den Einrichtungen in der Regel nur wenig Zeit, ihre Patienten kennenzulernen und zielgerichtet zu behandeln. In der Praxis bedeutet das eine Arbeitsverdichtung, die bei gleichzeitig gestiegenen Fallzahlen (plus 12,8 Prozent in den letzten 10 Jahren) auch die Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden betrifft.

Diese sensible Klientel leidet nicht selten unter jahrelanger Mangelversorgung und der berühmten Reise von Pontius zu Pilatus. Einmal im Krankenhaus angekommen, verbessert sich diese Situation nicht zwangsläufig. Es gilt, Zeitdruck beim Personal, Kommunikationsbarrieren und Reibungsverluste durch unterschiedliche interprofessionelle Interessenslagen zu überwinden.2,7 Mio. Wundpatienten gab es laut der Kölner PMV-Studie 2016 im Jahr 2012.

Kausaltherapie vor Lokaltherapie

Wenn multiprofessionelle Akteure gut zusammenarbeiten, Wundstandards eingehalten und klare Strukturen befolgt werden, dann klappt es auch mit der erfolgreichen Wundheilung (s. Praxisbeispiel). Die einfachste Regel lautet dabei: über die Diagnostik zur Diagnose zur Therapie. Umgekehrt funktioniert es nicht. Insofern besteht eine Parallele zu ambulanten Settings. Was ebenfalls in beiden Bereichen gilt: Kausaltherapie vor Lokaltherapie, also Behandlung der Ursachen einer Wundheilungsstörung hat vor der eigentlichen Wundbehandlung den Vorrang.

Wie soll eine Wunde heilen, deren wundheilungshemmende Faktoren nicht erkannt bzw. behandelt wurden? Übrigens: Etwa 60 Prozent der betroffenen Venenpatienten erhalten keine Kompressionstherapie!Was bei chronischen Wundpatienten durchaus als Mangel bezeichnet werden kann, ist das Fehlen von transsektoralen Standards zur Diagnostik und Therapie sowie das Ausbleiben monetärer Anreize zur Behandlung. Die Behandlung durch einen Pflegedienst wird durch die gesetzlichen Krankenkassen mit durchschnittlich knapp 10 Euro (differiert je nach Bundesland und Kasse) bezahlt.

Da bleiben ca. 8 Minuten für eine komplexe Wundbehandlung. In Kliniken wird die Länge des Aufenthaltes durch die Hauptdiagnose und die sog. mittlere/obere (Grenz-)Verweildauer geregelt. Die Kliniken sind gezwungen, zu entlassen, bevor ein zufriedenstellendes Resultat erzielt wurde. Da chronische Wunden etwas für geduldige Behandler sind, kommt die Entlassung dann oft einem Therapiebruch gleich.

Therapiebrüchen entgegenwirken

Therapiebrüche geschehen durch den Verlust von Informationen durch Kommunikationsbarrieren, das Anwenden unterschiedlicher Methoden und das nicht selten fehlende „Ziehen an einem Strang“. Wiedereinweisungen in die Klinik sind vielfach die Folge. Dabei würden, wie in Wundnetzen üblich, gemeinsame Wundstandards und kurze, vertrauensvolle Kommunikation bei der Wundüberleitung allen Beteiligten nutzen. Häufig aber werden zum Beispiel moderne Verbandmaterialien gar nicht verordnet, weil sie das Budget des niedergelassenen Arztes belasten.

Natürlich kosten hochwertige Verbandstoffe deutlich mehr als konventionelle Kompressen – Untersuchungen zeigen aber sehr deutlich, dass die moderneren Verbandstoffe, wenn sie regelkonform eingesetzt werden, die Wundheilungsdauer deutlich senken. Gespart wird also durch den Erfolg der Therapie. Am Beispiel des Ulcus Cruris kann das sehr schön gezeigt werden: Während die durchschnittliche Heilungsdauer nach Vorstellung beim Arzt über 2 Jahre dauert, sind es bei Betreuung in einer spezialisierten Einrichtung (ambulant und stationär verzahnt) nur 5,9 Monate.

Ziel: Vermehrt an Versorgungs-Strategien arbeiten

Einige Einrichtungen verzeichnen sogar Erfolge von 8 bis 12 Wochen bei immerhin 75 Prozent der Betroffenen. Wege aus der Misere: Die Krankenkassen sollten einen Teil ihrer erwirtschafteten Überschüsse zugunsten besserer Strukturen investieren. Bezüglich der Eingangsthese, dass Krankenhäuser in Bezug auf die Wundversorgung ein Schlaraffenland seien, lässt sich festhalten: Einerseits ist die Versorgung im Krankenhaus zwar oft besser organisiert, leider ist aber vielerorts die Weiterversorgung nicht sichergestellt – was häufig zu Therapiebrüchen führt.

Gesetzgeber, Kostenträger, ambulante und stationäre Einrichtungen sowie Arztpraxen sollten den Mut haben, vermehrt an Versorgungs-Strategien zu arbeiten. Lösungen sind notwendig und dringend geboten. Funktionierende Wundnetze (www.wundnetze.de) zeigen, wie es geht. Die über 1 Million Patienten mit chronischen Wunden in Deutschland haben es verdient.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der Klinik Management aktuell erschienen.

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