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Babytod im Evangelischem Klinikum Bielefeld„Den Kliniken fehlen Sicherheitsverfahren, um solche Unglücke zu verhindern”

Zwei Jahre nach dem Tod eines Säuglings durch eine Spritze mit unsteriler Lösung hat das Landgericht Bielefeld einen Mediziner jetzt in zweiter Instanz wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Das Gericht sieht auch Versäumnisse bei der Klinik. Kma-online fragte den Piloten und Risikoberater der Luxemburgischen Assekurisk, Hans Härting, wie Krankenhäuser derartig traurige Ereignisse vermeiden können.

Der Chefarzt sagte vor Gericht, der damals 29-jährige Student im Praktischen Jahr habe "ein Blackout" gehabt. Wie überzeugend finden Sie die Begründung?
Ein "Blackout" ist keine geeignete Erklärung für die Ereignisse. Human Factors veranlassen Menschen, schlimmste Fehler zu begehen, jederzeit an jedem Ort. Es liegt in der Verantwortung des Systems, die Mitarbeiter dahingehend zu schulen, dass diese "Blackouts", die jeder von uns schon mal erlebt hat, nicht zu solchen Ergebnissen führt. Wenn ein Blackout ein solches Ergebnis produziert, ist das ein Alarmsignal, dass die Organisation unzureichend und nicht mehr zeitgemäß organisiert ist. In der Luftfahrt würde ein Blackout eines Piloten nicht zu einem solchen Schaden führen, weil das System komplett abgesichert ist. Warum werden Trainings über die einfachsten Sicherheitsregeln und Teamarbeit in der Medizin nicht gesetzlich gefordert? Experten sind der Meinung, dass sich dadurch sogar volkswirtschaftlich Einsparungen ergeben würden. In den USA wird dieses Thema viel offensiver angegangen, wohl auch aufgrund der Versicherungsproblematik. In Mitteleuropa gibt es keine Zahlen zu Fehlern in der Medizin. Hier wird das Problem nicht ernst genommen. Wie viele solcher verzweifelter Eltern muss es noch geben?

Wie lassen sich solche Unglücke verhindern?
Durch die Akzeptanz, dass der Mensch an sich fehleranfällig ist. Durch strukturiertes Teamwork, durch klare Sicherheitsprozeduren, durch Training in human factors, durch vernünftige Arbeitszeiten, ausreichend Personal und der Berücksichtigung des Umstandes, dass die menschliche Leistungsfähigkeit rasch ihre Grenzen erreichen kann. Durch einen möglichst hohen Grad an Standardisierung.

Hochsicherheitssysteme haben diesen Sicherheitslevel erreicht. Der Medizin wird das gleiche dringend von allen Fachleuten empfohlen. Derzeit ist jedoch kein Budget dafür vorgesehen. Einige Krankenhäuser oder Träger finanzieren dieses Sicherheitsmanagement aus eigener Kraft. Die meisten allerdings nicht. Solche Unglücke werden leider nicht durch Zertifizierungen und Qualitätsmanagement vermieden. Analog den Hochsicherheitssystemen muss jeder einzelner Mitarbeiter in diesen für die Medizin neuen Themen trainiert und ausgebildet werden und die Organisationen müssen Verfahren entwickeln, die Sicherheit in kritischen Situationen gewährleisten. Checklisten allein reichen nicht.

Wer hätte in diesem Fall das Medikament applizieren sollen?
Die Frage nach dem "Wer" ist nicht zielführend. Die Frage muss lauten: Welches Verfahren für das Verabreichen von Medikamenten wird in der Organisation unterrichtet, geprüft, verlangt. Wie werden dort Medikamente verabreicht und was ist vor der Verabreichung in jedem Fall zu überprüfen. Wenn diese Verfahren nicht unterrichtet werden, ist es letztendlich egal, wer den tragischen Fehler macht. Es könnte jedem passieren. Wer schuld ist, dass dies passiert ist, ist völlig egal. Es muss dafür gesorgt werden, dass niemand in diese Falle tappt. Hinzu kommt: Stress, Arbeitslast, steile Hierarchie, Müdigkeit, Zeitdruck, schlechte Einschulung sind sehr gefährliche Begleiter. Die juristische Frage sollte nicht lauten "Wer hat den Fehler gemacht" sondern: Warum hat die Organisation seine Mitarbeiter nicht in human factors, Teamwork und Sicherheitsverfahren ausgebildet? Sie können davon ausgehen, dass der betroffene Arzt diesen Fehler nie mehr wiederholen wird. Dazu muss er nicht verurteilt oder bestraft werden. Hunderte anderer Ärzte werden aber möglicherweise in anderen Krankenhäusern in diese Falle tappen. Unausgebildet in Sicherheitsstrategien, unbeschützt von der Organisation, ohne Bewusstsein für die Gefahren.

In Spritzen wird nach meinem Eindruck gern Verschiedenes aufgezogen – Spülungen etwa oder Hustensäfte für Kinder und Menschen mit Schluckbeschwerden. Sollten Spritzen grundsätzlich i.v.Lösungen vorbehalten bleiben?
Die Verwechslungsgefahren müssen reduziert werden. Die besten Lösungen sind technische Lösungen. Sie sind die letzte Barriere. Eine Spritze ist ein leicht zu handhabendes Instrument für viele medizinische Tätigkeiten. Deswegen wird sie auch für vieles verwendet. Ein anerkannter Lösungsvorschlag wäre einer, bei dem die Anschlüsse der Spritzen für i.v. Zugänge sich unterscheiden von epiduralen oder anderen Zugängen. Eine Spritze, in der etwas aufgezogen wird, das intravenös zu verabreichen ist, sollte nur in einen i.v.-Zugang passen und in irgendeinen anderen. Das ist noch immer kein Industriestandard. Was verwechselt werden kann, wird verwechselt werden. Etwas, das nicht zu einer Injektion bestimmt ist, soll nicht in Spritzen aufgezogen oder vorbereitet werden dürfen.

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