Sie kamen schon vor Tagen mit Trillerpfeifen, Megafon und Protestplakaten in den Berliner Tiergarten. Hinter hellen Steinmauern sitzt hier der Gemeinsame Bundesausschuss. Das Spitzengremium im Gesundheitswesen bereitet einen Beschluss vor, gegen den Diabetiker auf die Straße gingen. An diesem Donnerstag soll die Entscheidung fallen. Die rund drei Millionen nicht auf Insulin angewiesene Diabetiker sollen Teststreifen zum Selbstmessen des Blutzuckers im Grundsatz nicht mehr auf Kosten der Krankenkassen bekommen. Hunderte Millionen Euro könnten gespart werden. Die Diabetikerverbände kündigten verschärfte Proteste an.
Diabetiker, die Insulin per Spritze oder Pumpe nehmen, müssen vorher ihren Blutzuckerwert messen - das sollen sie auch weiter auf Kassenrezept machen können. Doch wer sein Leiden mit der Einnahme von Medikamenten in den Griff bekommt, soll diese Teststreifen künftig in der Regel nicht mehr verschrieben bekommen. Denn ein alle paar Wochen vom Arzt gemessener Wert zur längerfristigen Blutzuckereinstellung sei bei den Typ-2-Diabetikern aussagekräftiger und reiche aus. Ausnahmen soll es für Patienten mit instabiler Stoffwechsellage geben.
Die oberersten Arzneimittelprüfer vom unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hatten die sechs einschlägigen Studien zum Thema ausgewertet. Sie kamen zu dem Ergebnis, "dass sich ein Nutzen der Blutzuckerselbstkontrolle durch die verfügbaren Studien nicht belegen lässt".
Auf den Plakaten des Deutschen Diabetiker Bundes heißt es dagegen: "Teststreifen verlängern Leben". Sein Chef Dieter Möhler sagt: "Die Patienten werden künftig darum kämpfen müssen." Musterklagen werde der Verband unterstützten. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Rainer Hess, hielt den Protestlern bei der jüngsten Demonstration entgegen: "Wir haben einen deutlichen Missbrauch in der Verwendung von Blutzuckerteststreifen in der Vergangenheit. Dieser Missbrauch muss beendet werden."
Es geht immerhin um einen Markt von insgesamt 900 Millionen Euro im Jahr allein bei den gesetzlichen Kassen. In den vergangenen Jahren haben sich die Streifen rasant verbreitet - auch weil die Hersteller die kleinen elektronischen Messgeräte günstig abgeben. Mit den Einmal-Teststreifen fallen dann bis zu 500 Euro Kosten pro Patient und Jahr an. "Offenbar nützen die Teststreifen vor allem den Herstellern", sagt der Sprecher des Kassen-Spitzenverbands, Florian Lanz.
Während Kritiker daran zweifeln, dass ständige Selbstbeschäftigung mit den eigenen Blutwerten das Wohlbefinden fördert, scheint das Messgerät für viele Betroffene zum Alltag zu gehören wie ein Handy. Die Geräte lassen sich zur Datenauswertung mittlerweile teils sogar ans iPhone anschließen. Der Diabetiker Bund ruft für Donnerstag zu neuen Kundgebungen vor dem Bundesausschuss und dem wenige Kilometer entfernten Bundesgesundheitsministerium auf unter dem Motto: "Es reicht! Unsere Wut muss eine Stimme bekommen!"


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