Die breite Öffentlichkeit solle sich von "interessengeleiteter Geschichtsklitterung" distanzieren, sagte der Direktor des Stuttgarter Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung am Mittwoch in Berlin. Dazu soll der nun vorgelegte erste Gesamtüberblick des Forschungsstands zum Thema seit Jahren dienen, das Buch "Medizin und Nationalsozialismus".
Jütte kritisierte, dass beispielsweise der NS-Arzt Ernst Günther Schenck in dem von Bernd Eichinger produzierten Film "Der Untergang" als letzter Vertreter der Vernunft im Führerbunker gezeichnet werde. Dabei habe Schenck im Konzentrationslager Mauthausen Hungerexperimente mit Menschen gemacht.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, sagte: "Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken mitgewirkt." Sie hätten sich auch an der Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen beteiligt. Die Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus sei noch nicht ausreichend aufgearbeitet. Es gebe trotz einer fast unüberschaubaren Fülle an Studien noch große Forschungslücken, sagte Jütte.
Wenig untersucht sei etwa das Schicksal von vielen Tuberkulosekranken und Alten in Sanatorien. Ebenfalls nicht erforscht sei die Lage in den 18 jüdischen Krankenhäusern in Deutschland sowie die Rolle von 700 der 8.000 jüdischen Ärzte, die 1938 noch als "Krankenbehandler" von Juden arbeiteten.
Ein Forschungspreis zur Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus ging unter anderem an die Forscherin Susanne Rueß, die anhand von Einzelschicksalen das an jüdischen Ärzten begangene Unrecht beschreibt. Der Preis wurde zum dritten Mal vom Bundesgesundheitsministerium, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verliehen.


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