Das deutsche Embryonenschutzgesetz enthält mit die strengsten Richtlinien der Welt für Forschung und Medizin. Aber die 20 Jahre alten Formulierungen bringen Ärzte inzwischen teilweise an die Grenzen des Strafrechts. Das sagt der Reproduktionsmediziner Christian Thaler von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Doch statt auf Rechtssicherheit und klarere Regeln zu pochen, fürchten Mediziner, dass eine umfassende Reform des Embryonenschutzgesetzes, die über eine Regelung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) hinausgeht, keine Liberalisierung, sondern noch strengere Regeln bringt.
"Das Gesetz war in seiner Zeit, vor 20 Jahren, ein durchaus verantwortungsvolles und visionäres Gesetz. Es hat Missbrauchsmöglichkeiten und mögliche Schwierigkeiten der In-Vitro- Fertilisation erkannt und klare Regeln vorgegeben", sagte der Professor der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Seither haben sich aber die Methoden soweit verbessert, dass es heute teilweise zu Schwierigkeiten in der Interpretation des Gesetzes kommt."
Vor kurzem entschied der Bundesgerichtshof, dass die PID laut Embryonenschutzgesetz nicht verboten ist. Ein Gynäkologe hatte sich selbst angezeigt, um Rechtssicherheit zu erlangen. Thaler berichtet, dass Ärzte ähnliche Unsicherheit bei den Vorgaben zur maximalen Zahl von im Mutterleib einsetzbaren Embryonen empfinden. "Das Gesetz limitierte die Zahl von übertragbaren Embryonen, nämlich auf drei. Also wurde lange Zeit als richtige Lesart des Gesetzes interpretiert, dass nur drei Embryonen, die maximale Zahl, die man auch zurücksetzen darf, entstehen dürfen."
"Jetzt gibt es mittlerweile eine liberalere Lesart", erklärt Thaler. Neue Techniken ermöglichte den Ärzten, Embryonen gut zwei Tage später einzusetzen und damit diejenigen auszuwählen, die die besten Entwicklungschancen haben. Denn nur 20 bis 40 Prozent seien am fünften Tag nach der Befruchtung noch entwicklungsfähig.
Aber genau hier liege das Problem, sagte Thaler: "Wahrscheinlich hält sich der große Teil der Mediziner an die buchstabengetreue Lesart, um sich nicht dem Risiko auszusetzen, womöglich doch das Gesetz zu übertreten - aber mit eben eingeschränkten Chancen für die Patienten." Denn die Chancen auf eine Schwangerschaft seien nach der Auslese um 10 zu 15 Prozent höher.
Gerade wegen der unsicheren Interpretation des Gesetzes habe sich diese Methode nur in einigen Landesteilen durchgesetzt, weiß Thaler. In Bayern lege die Landesärztekammer das Gesetz weniger dogmatisch aus, weshalb dort Ärzte mehr als drei Zellen kultivieren.
Doch statt auf klare Formulierungen zu pochen, herrsche unter den Ärzten Angst vor einer umfassenden Gesetzesreform. "Es wäre eine Konkretisierung des Gesetzes im Sinne der liberalen Interpretation wünschenswert", betonte Thaler. "Aber es besteht großen Skepsis im Fachbereich, ob der Gesetzgeber diese fachlich begründete Forderung erfüllen kann oder ob dann nicht schnell ein Gesetz entsteht, dass vielmehr restriktiv ist und so die Möglichkeiten der heutigen Behandlungen einschränkt."


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