Es soll – in den Weiten des Youtube-Kosmos' – diesen Mitschnitt geben: David Cameron, begleitet von Filmteam und Politiker-Eskorte, steht am Bett eines Krankenhauspatienten, ein gewöhnlicher PR-Termin im Sommer 2011 während seiner ersten Amtszeit als britischer Premierminister. Da stürmt ein wütender Arzt ins Zimmer, deutet abwechselnd auf die Anzugärmel der Politiker und auf seinen eigenen kurzärmligen Kasack, seine nackten Arme. „Warum müssen wir so, und die da dürfen so?“, echauffiert er sich – und wirft den Premier kurzerhand aus dem Zimmer.
„Der Arzt wusste, wen er da vor sich hatte, aber das war ihm egal – wer Hygieneregeln so missachtet und sich nur aufspielen will, gehörte seiner Meinung nach rausgeschmissen.“ Ojan Assadian erzählt diese Geschichte gern, und er erzählte sie auch den 150 Teilnehmern, die zum Hygieneforum in die Rheinhessen-Fachklinik nach Alzey gekommen waren. Seit Anfang 2015 leitet der gebürtige Österreicher das Institut für Infektionsprävention an der britischen Universität Huddersfield – und ist schon jetzt spürbar angetan von der, so sagt er, „pragmatischen“ Art der Engländer, die Hygienestandards im Land anzuheben.
Great Britain: Vom Schmuddelkind zum Keimbekämpfer
Noch vor 15 Jahren seien die nämlich erbärmlich gewesen: „Damals war es in manchen britischen Krankenhäusern so dreckig – Sie hätten dort nicht einmal einen Verbandswechsel machen wollen“, sagt der Mediziner, der 2000 in London sein Diplom in Tropenmedizin und Hygiene gemacht hat. 20 Jahre lang habe Großbritannien gespart, bevor es sich zur Jahrtausendwende entschieden habe, „viel Geld ins Gesundheitswesen zu pumpen“, berichtet Assadian. Das Ziel: nosokomiale und MRSA-Infektionen zu reduzieren. „Da steckt ein massiver politischer Wille, eine Strategie dahinter, es geht um Wählerstimmen.“
Heute können sich die Zahlen sehen lassen: Die MRSA-Rate* sei in Großbritannien von über 40 Prozent in den ersten Nuller Jahren auf 11,3 Prozent im Jahr 2014 gesunken. Assadian wolle nicht falsch verstanden werden: Dass Deutschland es schaffe, das Niveau der MRSA-Infektionen seit Jahren immerhin zu halten, und das relativ niedrig, sei „auch eine Riesenleistung“. „Aber in Großbritannien finden wir heute fast keinen MRSA mehr.“
Während im deutschsprachigen Raum der Fokus auf Prävention liege, arbeiteten die Briten – wie die US-Amerikaner auch – stark reaktiv: Etwa mittels eines einsehbaren Erfassungssystems, das die genaue Keimbelastung für jedes britische Krankenhaus dokumentiere – tagesaktuell: „In Deutschland redet Ihr noch darüber, in England ist das heute schon alles höchst-transparent.“
Facharztbezeichnungen in Deutschland: „Lächerlicher Schwachsinn“
Auch die Zahl der Isolierzimmer sei in britischen Krankenhäusern laut Assadian vier- bis sechsmal höher als in Deutschland. Zudem seien auf der Insel heute doppelt so viele Hygienekräfte und fünf Mal so viele Mikrobiologen angestellt als in deutschen Krankenhäusern. „Und diese Fachkräfte werden gut bezahlt und haben gute Job-Aussichten“, so Assadian. Dass es in Deutschland und Österreich für Hygieneärzte bis zu fünf verschiedene Facharztbezeichnungen gebe, bezeichnete Assadian, der auch Präsident der österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene ist, als „lächerlichen Schwachsinn“: „Das sollte alles zusammen gelegt werden“, so wie in England: Dort gebe es eine einheitliche Ausbildung zum sogenannten „Consultant Microbiologist“, der für alle Hygienebelange zuständig sei, sowohl im Labor stehe als auch am Patientenbett, wo immer er gerade gebraucht werde.
Richtig lernen: Youtube-Videos statt Frontalvorträge
Außerdem nutzen die Briten Onlinemedien, um die Öffentlichkeit, aber auch Klinikpersonal über Infektionen aufzuklären. Assadian: „Ich ahne doch schon jetzt, wie das in Deutschland aussehen wird, wenn im Herbst die neuen Krinko-Richtlinien herauskommen: Zeile für Zeile wird dann in Frontalschulungen jedes Wort durchgenommen werden.“ Die Engländer würden sich stattdessen überlegen, wie sie Inhalte „cool und einprägsam“ rüber bringen. „Dort gibt es auf Youtube einminütige Zeichentrickfilme über Bakterien und Hygienemaßnahmen.“
Trotz aller Begeisterung für den britischen Pragmatismus bemühte sich Assadian um Diplomatie: „Das soll hier kein Streitgespräch werden“, betonte er, ein „besser“ oder „schlechter“ gebe es nicht. Ob proaktive oder reaktive Strategien – beide hätten ihre Vorzüge und Einschränkungen. „Und Sie als Kliniker“, richtete er sich ans Publikum, „tun gut daran, sie alle zu beherrschen“.
* Die MRSA-Rate sagt aus, wie viele der isolierten und geprüften Staphylococcus-aureus-Stämme tatsächlich methicillin-resistent, also MRSA sind. Die "MRSA-Rate" ist mittlerweile unter Klinikern ein fester Begriff und wird als Vergleichsgröße zwischen Ländern (und Kliniken) angewandt.


Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen