Das Immunsystem schützt den Menschen vor den Attacken von Viren und Keimen. Das Nobel-Komitee 2011 ehrt mit seiner Nominierung Forscher, die grundlegende Mechanismen dieser lebenswichtigen Abwehrschlacht aufklärten. Ärzten gaben sie damit neue Waffen in die Hand.
Der Mensch ist beständig einem Milliardenheer gefährlicher Schädlinge ausgesetzt. Viren, Bakterien, Parasiten - viele unserer Feinde streben danach, sich im Körper zu vermehren. Bedrohliche Krankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose oder auch Krebs sind die Folge. Dagegen setzt sich der Körper mit seinem Immunsystem zur Wehr. Der Nobelpreis für Medizin ehrt in diesem Jahr drei Wissenschaftler, die bedeutende Teile dieser Abwehr geklärt haben. Bruce Beutler und Jules Hoffmann teilen sich eine Hälfte, sie beschrieben Mechanismen der angeborenen Immunität.
Ralph Steinman wird posthum geehrt, wie die Nobelstiftung am Montagabend bekanntgab. Der Wissenschaftler hatte die dendritischen Zellen entdeckt, eine Art Kommandozentrale für das Immunsystem. Der Forscher aus Kanada war am 30. September an Krebs gestorben. Die Nobel-Jury hatte von seinem Tod zunächst nichts gewusst.
Steinman war 1973 fündig geworden. Weil von den von ihm beschriebenen Zellen winzige Auswüchse ausgehen, sprach er von dendritischen Zellen - vom lateinischen Wort dendriticus für verzweigt. Sie stammen von Vorläuferzellen aus dem Knochenmark. Über das Blut gelangen sie in fast alle Organe, etwa Lungen, Haut, Verdauungstrakt, Herz oder Leber. Besonders viele dendritische Zellen finden sich in den Schleimhäuten, unseren Kontaktstellen zur Außenwelt. Dort nehmen sie Erreger oder deren Teile auf, zerlegen sie und präsentieren die Bruchstücke auf ihrer eigenen Oberfläche.
Dies ist eines der wichtigsten Alarmsignale der Biologie: Treffen andere Immunzellen auf diese beladenen dendritischen Zellen, erkennen und merken sie sich die präsentierten Bruchstücke. Fortan fahnden sie nach den zugehörigen Erregern. Auf diese Weise "erklären" dendritische Zellen ihren Helfern, wonach sie zu suchen haben und was sie unschädlich machen müssen. Diese These stieß zunächst auf Skepsis - inzwischen ist sie vielfach belegt und steht im Lehrbuch. "Herr Steinman hat da Bahnbrechendes geleistet", urteilt auch Thomas Boehm vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg.
Und mehr noch: Viele Mediziner versuchen, die dendritischen Zellen mit einem Impfstoff gezielt gegen die Feinde des Menschen zu richten, etwa gegen Krebszellen oder das Aidsvirus HIV. Der Plan: Man schiebt den dendritischen Zellen künstlich Bruchstücke des jeweiligen Gegners unter, um das Immunsystem künstlich zu alarmieren. Die Arbeit von Steinman hat also zugleich einen neuen Zweig der Immunmedizin eröffnet. Zudem liefert das Wissen um die dendritischen Zellen Ansätze zum Kampf gegen Autoimmunkrankheiten, bei denen das Immunsystem irrtümlich das eigene Gewebe attackiert.
Die dendritischen Zellen sorgen für die spezifische, nach der Geburt erworbene Immunantwort. Dem gegenüber steht die angeborene Immunität, mit der sich Beutler und Hoffmann befassen. Bereits vom ersten Tag an können sich die Immunzellen von Neugeborenen gegen Eindringlinge zur Wehr setzen. Ohne weitere Anleitung erkennen diese Zellen häufige Muster auf Krankheitserregern - zum Aktivieren der angeborenen Immunabwehr ist also keine Präsentation durch dendritische Zellen nötig. Für dieses "Training" hätten neugeborene Tiere und Menschen schließlich gar keine Zeit.
Mit mehreren genetischen Tricks lässt der Körper auf vielen seiner Immunzellen eine große Zahl unterschiedlicher Rezeptoren wachsen. Durch ihre schiere Zahl ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass eine dieser Zellen einen Eindringling erkennt. Diese verraten sich durch wiederkehrende und im Lauf der Evolution kaum veränderte Kohlenhydrate oder Fette auf ihrer Oberfläche. Beutler und Hoffman fanden in Fruchtfliegen und Mäusen das erste Empfängermolekül ("Toll-like receptor", Toll-ähnliche Rezeptoren, TLR), mit denen das angeborene Immunsystem die Gefahr erkennt. Inzwischen sind gut ein Dutzend TLR bei Mensch und Tier bekannt. Menschen, bei denen die TLR defekt sind, haben ein erhöhtes Risiko für bestimmte Infektionen.
"Die Entdeckungen, die mit dem Nobelpreis 2011 ausgezeichnet werden, haben neue Einsichten in die Aktivierung und Funktion des Immunsystems geliefert. Sie machen neue Methoden zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten möglich, etwa verbesserte Impfstoffe gegen Infektionen oder zum Attackieren von Tumoren" - so die Jury-Begründung. Noch mehr Lob für die Forscher kommt vom Vizechef des Medizin-Nobelkomitees, Urban Lendahl: "Die komplette Impfstoffindustrie auf der Welt hat wohl ihre Erkenntnisse verarbeitet."
Um einen Impfstoff auf Basis dendritischer Zellen zu schaffen, werden sie aus den Patienten isoliert und mit den verräterischen Teilen von Krebszellen oder Erregern beladen. Diese Ansätze befinden sich zurzeit weltweit in Erprobung im Rahmen von Forschungsprojekten, erklärt die Deutsche Krebsgesellschaft. Ihr zufolge wurde in den USA ein Präparat zur Behandlung bestimmter Prostatakarzinome zugelassen ("Sipuleucel-T" der US-Firma Dendreon).


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