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PsychoonkologieÖkonomie ist nicht alles

Patienten, die sich nicht an den Krankenhausbetrieb ausgeliefert fühlen, geht es nicht nur psychisch besser. Sie fühlen sich auch körperlich eher in der Lage, die oft anstrengenden Behandlungen durchzustehen. Der Psychoonkologe Günter Tessmer hat dafür das Konzept der „vorausschauenden Kommunikation” entwickelt.

kma-Interview mit Günter Tessmer

Sie haben den Ansatz der "vorausschauenden Kommunikation” entwickelt. Es ist ein altes Lied, dass die Kommunikation an den Krankenhäusern besser werden muss. Brauchen wir dafür tatsächlich ein weiteres Konzept?
Jeder, der hört, dass es schon wieder ein neues Kommunikationskonzept gibt, rollt erst einmal mit den Augen. Ich bin trotzdem der Überzeugung, dass wir vorsorgend kommunizieren müssen. Wir können nicht nur reagieren, wenn Patienten Fragen stellen. Viele Patienten haben Angst vor dem, was mit ihnen passieren könnte. Oft kommen ihnen Gedanken, die sie in der Folge noch mehr ängstigen. Dann schlafen sie schlecht, halten nachts die Schwestern auf Trab, klopfen am nächsten Tag mehrfach beim Arzt an die Tür, bitten um die eine oder andere kurze Erklärung, rufen danach ihre Angehörigen an, die dann wieder neue Fragen ins Spiel bringen, ihrerseits beim Arzt um Aufklärung bitten … Manch eine Ehefrau ist schlecht informiert, weil ihr Ehemann sie vor beängstigenden Informationen schützen will. Auf diese Weise sind Missverständnisse und Konflikte nahezu vorprogrammiert. Das kann viel Arbeitszeit binden. Wir planen deshalb – zumindest an einschneidenden Wendepunkten der Behandlung – feste Gesprächstermine ein und bitten die Angehörigen ausdrücklich hinzu: beim Aufklärungsgespräch, bei der ersten Entlassung nach Hause, in sogenannten Progresssituationen, wenn die Krankheit trotz Behandlung voranschreitet, beim Übergang zur rein symptomatischen Behandlung, wenn die Tumortherapie von einer Palliativtherapie abgelöst wird. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus erhalten unsere Patienten überdies eine Informationsmappe, der unter anderem ein Formular beiliegt für eine Vorsorgevollmacht ausschließlich für die Gesundheitssorge. Es ist enorm hilfreich, sich an einen Vorsorgebevollmächtigten wenden zu können, sofern ein Patient auch nur vorübergehend seinen Willen nicht persönlich äußern kann.

Heißt vorausschauend kommunizieren, Patienten vorbeugend zu informieren?
Unsere Patienten suchen immer wieder ein Stück Lebensperspektive. Wir kommen nicht umhin, mit ihnen in die nahe Behandlungszukunft zu schauen. Sie müssen unsere medizinischen Handlungen ja letztlich erlauben. Eine Behandlung kann nur im Konsens mit ihnen begonnen werden. Um Patienten eine gute Entscheidung zu ermöglichen, müssen wir gemeinsam mit ihnen Möglichkeiten und Risiken abwägen, den Behandlungsnutzen für ihr zukünftiges Leben herausarbeiten. Bei der vorausschauenden Kommunikation geht es demzufolge nicht nur darum, Patienten zu informieren, sondern vielmehr, sie zu aktiven Mitgliedern des Behandlungsteams zu machen.

Können Sie das erläutern?
Wenn wir Antonovskys Konzept der Gesundheitsförderung zugrunde legen, spielt sich das menschliche Leben zwischen zwei Polen ab: zwischen den Polen "krank” und "gesund”. Ein kranker Mensch hat immer auch Gesundes in sich, denn wenn er 100-prozentig krank wäre, dann wäre er tot. Es ist für unsere Patienten ganz wichtig zu erkennen, dass sie nicht nur krank sind, sondern aktiv sein können, ihr Leben wirklich führen können. Sie lernen in unseren Gesprächen, ihre wichtigen Lebensbelange mit der Behandlung gleichberechtigt zu kombinieren. So sind sie dem Zeittakt der Chemotherapie nicht gänzlich ausgeliefert. Sie können auch mitsteuern, was ihre Lebensqualität bewahrt und eine erfolgreiche Behandlung begünstigt.

Wie können Psychologen im Behandlungsteam hilfreich sein?
Unsere Patienten wollen sich jenseits der Kontakte zum behandelnden Arzt immer mal wieder ergänzend beraten zu kniffligen Fragen. Sie wollen sich an jemanden wenden, der über ihre Krankheit und deren Behandlung gut Bescheid weiß und ärztlicherseits ohne Einschränkung respektiert wird. Viele sagen ausdrücklich, sie wollen keine Psychotherapie absolvieren. Die Patienten lernen mich aufgrund der Empfehlung anderer Patienten oder der medizinischen Kollegen kennen, und zwar oft noch vor dem Aufklärungsgespräch. Im Aufklärungsgespräch selbst, bei dem ich regelhaft dabei bin, kann ich die Patienten unterstützen, ihre drängenden Fragen zu stellen, die sie in der Aufregung manchmal vergessen, ich kann alltagssprachliche Erläuterungen beifügen und vergewissernd nachfragen, ob etwas verstanden wurde. Am nächsten Tag gehe ich zu den Patienten und rekapituliere mit ihnen die Kernpunkte des Aufklärungsgesprächs. Wir nennen das "nachgehende Verständnissicherung”. Ich übermittle dem behandelnden Arzt, wo es noch Klärungsbedarf gibt. Das erhöht die Handlungssicherheit auf beiden Seiten. Das ist sehr aufwendig. Eine nachhaltige Aufklärung erleichtert alles Weitere, das heißt auch: spart später Zeit. Unsere Ärzte und Schwestern bestätigen mir, dass sie sehr viel seltener von den Patienten zwischendurch angehalten und befragt werden. Wenn es verlässlich vereinbarte Gesprächstermine gibt, heben sich die Patienten ihre Fragen in der Regel bis zu diesem Termin auf. Sie klagen weniger über innere Unruhe oder Angstzustände, brauchen seltener Schlafmittel und sind dadurch auch physisch belastbarer.

Weil sie sich ernsthaft beteiligt fühlen?
Ja, ich bezeichne das als "kooperative Expertise”. Wir müssen die Patienten als Subjekte, nicht als Objekte der medizinischen Behandlung betrachten, und sie in ihrem Erfahrungswissen als Mitexperten ernst nehmen. Patienten, die sich von Anfang an eingeladen fühlen mitzusprechen, können wertvolle Behandlungshinweise geben, wodurch sich Arbeitsdopplungen oder gar Fehlbehandlungen vermeiden lassen, die im Nachgang zeitaufwendig korrigiert werden müssen. Ganz davon abgesehen wirkt es sich positiv auf die medizinischen Mitarbeiter aus, wenn sie ihre Patienten in motivierter Teilhabe erleben. Das bekräftigt auch ihre Motivation.

Und das senkt die Krankschreibungsrate?
Nun, das bleibt abzuwarten. Wir planen mittelfristig eine Studie zur allseitigen Lebensqualität im Behandlungsprozess. Dann könnten wir einer belastbaren Antwort näher kommen. Unsere Mitarbeiter sagen immer wieder, dass es ihnen durch die vorausschauende Kommunikation besser geht, aber wer kann schon sagen, ob die Krankschreibungen am Ende deshalb zurückgehen? Natürlich machen Zahlen das Ganze stichhaltiger, aber ich würde mir wünschen, dass man untrüglichen Arbeitserfahrungen und -erkenntnissen bis dahin mehr Gewicht beimisst. Warum kann man einen Satz wie "Ich erlebe diese Arbeitssituation als befreiend” nicht einfach mal würdigend stehen lassen?

Weil man die Kosten, die dadurch entstehen, rechnerisch rechtfertigen muss.
Ich glaube, dass wir manchmal eine sehr verkürzte Vorstellung von Ökonomie haben, die wir uns auf Dauer vielleicht gar nicht werden leisten können. Natürlich kann ich immer noch eine Krankenschwester einsparen. Aber wenn wir die Case-Mix-Punkte stetig erhöhen, also immer mehr Patienten mit komplizierten Krankheitsgeschehen sehen, dann müssen wir Bedingungen schaffen und bewahren, die sowohl die Patienten und ihre Angehörigen als auch die medizinischen Mitarbeiter physisch und psychisch gut verkraften können. Die Ökonomie kann dauerhaft nur gelingen, wenn es eine möglichst ökologische ist, das heißt in unserem Falle, dem Wohlbefinden der beteiligten Menschen zuträglich.

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